Der Berliner Großelterndienst: Liebenswerte Oma zu vermieten
Ohne den Großelterndienst wären viele Eltern aufgeschmissen. Der Service vermittelt schon seit 20 Jahren "Wunschomas" für "Wunschenkel". So kam es auch, dass Stephanie Döll die fünfjährige Emma Helmecke betreut.
Auf dem Fußweg ist es rutschig wie auf einem zugefrorenen See. Stephanie Döll schiebt sich langsam vorwärts. Es ist Freitagnachmittag, kurz vor vier. Stephanie Döll hat es eilig, aber sie muss aufpassen: Sie ist 75 und auf dem Weg zu Emma. Die ist fünf und auf Stephanie Döll angewiesen.
Einmal in der Woche holt Stephanie Döll Emma Helmecke aus der Kita in Friedrichshain ab und bringt sie nach Hause in Karlshorst. In der Kindereinrichtung kennt man die ältere Dame gut, seit sie im April 2007 Emma das erste Mal abholte. Kaum hat sie das Haus betreten, ruft ein kleines Mädchen: "Hallo, Oma Döll." Eine Mutter sagt: "Na, heute Abend wieder im Dienst?"
Auf die Idee mit dem Großelterndienst kam vor zwanzig Jahren eine Sozialpädagogin, die sich beruflich mit der Lage älterer Frauen beschäftigte und als Alleinerziehende oft das Problem hatte, ihre Tochter außerhalb der Kita-Zeiten zu betreuen.
Rund 1.000 "Wunschgroßeltern" hat es seitdem in ganz Berlin gegeben. Momentan betreuen 500 RentnerInnen 600 Familien mit mehr als 800 Kindern. Darunter sind auch 20 "Wunschgroßelternpaare" und 40 "Wunschgroßväter".
InteressentInnen können sich jederzeit beim Großelterndienst melden. Wie, das steht auf
www.grosselterndienst.de.
Die "Wunschgroßeltern" werden eingehend geprüft und vor ihrem Einsatz geschult.
"Oma Döll" ist eine agile und fröhliche Frau. Ihr Leben, sagt sie, soll einen Sinn haben: "Jeden Tag und egal, wie alt ich bin." Oma Döll ist nicht Emmas leibliche Großmutter, sie ist so etwas wie eine "eine "geborgte Oma auf Zeit". Und die kommt immer dann, wenn Emmas Eltern keine Zeit haben für ihre Tochter.
Ihre Bekanntschaft haben Emma Helmecke und Stephanie Döll dem Berliner Großelterndienst zu verdanken. Der ist vor kurzem zwanzig Jahre alt geworden und vermittelt "Wunschgroßeltern und Wunschenkel", wie es lapidar in einer Presseerklärung heißt.
Aber hinter der Idee steckt mehr: Der Großelterndienst ist ein Bekenntnis zu Solidarität, Generationengerechtigkeit und Nachbarschaftshilfe. "Wunschgroßeltern" sind da, wenn die Kita geschlossen ist, wenn die Kinder krank sind und ihre Eltern trotzdem arbeiten müssen. Oder wenn Mutter und Vater einfach mal wieder nur ein Paar sein wollen und Lust haben auf Kino, Tanzen oder Essen gehen.
In den zwanzig Jahren seiner Existenz hatte der Großelterndienst rund tausend Wunschgroßeltern in ganz Berlin. Momentan betreuen 500 Rentnerinnen und Rentner 600 Familien mit mehr als 800 Kindern. Jedes Jahr werden rund 250 neue Patenschaften geschlossen, sagt Helga Krull, die Chefin des Dienstes. Trotzdem stehen 800 Eltern auf der Warteliste. Manche müssen sich drei Jahre lang gedulden, bis die richtige "Oma" oder der richtige "Opa" gefunden ist.
Bei anderen klappt es spontan. "Das hängt von vielen Faktoren ab: Wohnortnähe, Anzahl und Alter der Kinder, was sich die Eltern wünschen", sagt Helga Krull.
Die meisten Wunschgroßeltern sind ein paar Jahre dabei, das Durchschnittsalter liegt bei 65. "Alle sind überaus aktiv", berichtet Helga Krull: "Viele gehen zur Volkshochschule, sind im Sportverein und im Chor."
"Wir wären ohne diesen Service aufgeschmissen", sagt Katja Helmecke, die Mutter von Emma. Die Sozialpädagogin hat oft Spätschichten, Emmas Vater arbeitet bei einem Arzneimittelinstitut und kommt meist nicht vor sieben aus der Firma. Emmas richtige Großeltern wohnen weit weg, in der Nähe von Dresden und in Australien.
Einer aktuellen Untersuchung zufolge sind Großeltern für den Alltag von kleinen Kindern lebenswichtig. Nicht nur für die Betreuung, sondern auch, wenn es um Urlaub und um Ferien geht und darum, persönliche Dinge zu besprechen. Das hat der Ravensburger Familiensurvey "Elterliches Wohlbefinden" herausgefunden. Die Studie, die der Mikrosoziologe Hans Bertram von der HU und Familienökonomin Katharina Spieß von der FU durchgeführt haben, hat nicht nur wie sonst üblich die materielle Lage und Ansprüche von Eltern abgefragt, sondern auch Komponenten wie soziale und familiäre Netzwerke. Fazit: Eine soziale Infrastruktur ist für das Wohlbefinden von Familien mindestens ebenso wichtig wie die materielle Absicherung.
"Wichtig ist, dass die Wunschgroßeltern Zeit haben", sagt Helga Krull: "Sie müssen sich auf die Bedürfnisse der Eltern einstellen. Und sie müssen nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit den Müttern und Vätern zurechtkommen."
Stephanie Döll nimmt für Emma Strapazen auf sich. Sie wohnt in Marzahn und fährt mit der S-Bahn in die Kita, vierzig Minuten braucht sie von Haustür zu Haustür. Stephanie Döll hat einen Mann, zwei Töchter und zwei Enkelkinder, sie ist seit vielen Jahren Rentnerin und hat eigentlich genug zu tun. Doch sie "will keine alte Frau sein, die auf dem Sofa sitzt und Kreuzworträtsel löst, wenn für die Familie alles getan ist".
An diesem Nachmittag trägt sie robuste Schuhe und einen weißen Pelzmantel. In ihrer Handtasche klimpert der Hausschlüssel der Helmeckes. Die "Oma" und die "Enkelin" sind ein eingespieltes Team. "Emma war das erste Kind, das ich über den Großelterndienst kennengelernt habe", erzählt Stephanie Döll: "Wir haben uns auf Anhieb verstanden."
Wenige Minuten später stehen "Wunschoma" und "Wunschenkelin" im Schnee an der Haltestelle. Erst Straßenbahn, dann U-Bahn, dann wieder Straßenbahn und dann noch laufen. Emma erzählt von Fischstäbchen, vom Musikunterricht und vom Sport.
Wenn die beiden zu Hause sind, werden sie malen, basteln, singen. So lange, bis Emmas Vater nach Hause kommt. Dann wird sich Stephanie Döll verabschieden und durch die Nacht nach Marzahn fahren. Für jede Stunde, die sie bei Emma ist, bekommt sie 5 Euro von Emmas Eltern. 4 Euro schreibt der Großelterndienst als Honorar für die ersten fünf Stunden vor, jede weitere Stunde des Tages wird mit 2,50 Euro vergütet.
Manchmal bleibt Stephanie Döll auch zum Abendessen, manchmal kommt sie sogar am Wochenende. "Sie gehört schon fast zur Familie", sagt Katja Helmecke.
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