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Der Beitritt

■ Spurensuche anläßlich eines allseits bekannten Vorgangs

QUERSPALTE

Am 3.Oktober ist es soweit - die DDR „tritt bei“. Die Sprachforscher, die regelmäßig den Neuvokabeln des Jahres auf der Spur sind, werden 1990 am „Beitritt“ nicht vorbeikommen. Bis vor kurzem führte das Wort ein Schattendasein, „Beitritte“ fanden in der Vergangeheit kaum statt, wenn überhaupt, dann war vom Beitritt zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft die Rede. Ansonsten, bei weltlichen Vereinen, Gewerkschaften, Parteien und dergleichen, dominiert der „Eintritt“, der im Unterschied zum „Beitritt“ eine aktivere Bedeutung hat. Während „Eintreten“ eine selbstbewußte, zielgerichtete Handlung impliziert, haftet dem „Beitreten“ etwas Passives an, eine Demutshaltung, mit der sich ein verirrtes Schäfchen einer Glaubensgemeinschaft anschließt, nicht aber ein aktives Mitglied einer neuen Herde. Insofern ist Beitritt das richtige Wort für den avisierten Konfessionswechsel der DDR

-die Brüder und Schwestern im Osten inszenieren keinen dynamischen Eintritt (und erst recht keinen Auftritt), sie treten bei wie die Schäfchen. Verschnarcht bis in die Socken.

Unter „treten“ vermerkt das etymologische Wörterbuch: „althochdeutsch 'tretan‘, gotisch 'trudan‘ mit Schwundstufe, die auch in 'Trott(e)‘ vorliegt; vgl. Tritt. Außerhalb des Germanischen keine gesicherte Entsprechung.“ Die Schwundstufe scheint hier besonders interessant, das Ganze hat mit „Trott“ sehr viel mehr zu tun als mit „Tritt“ - nach 40 Jahren sozialistischem Trott wartet man jetzt, was für neue Diktate von oben kommen. Der Gaul hat denn einen Kutscher abgeworfen und trottet dem nächsten bei - Beitrott der DDR. Inwieweit dieser „Trott“ mit dem „Trottel“ zu tun hat, ist sprachgeschichtlich nicht gesichert: „Ob die Beziehung zu t r o t t e l n 'planlos daherkommen‘ ursprünglich ist, bleibt festzustellen.“ Daß freilich die DDR im wahrsten Sinne des Wortes „planlos“ daherkommt, ist eine kaum zu bestreitende Tatsache - bei diesem Beitrott schwingt „Bei Fuß!“ ebenso wie allgemeine „Betretenheit“ mit, so hatte man sich eine „Vereinigung in Würde“ nicht vorgestellt.

Trotz dieser eher finsteren Assoziationen ist die Vokabel „Beitritt“ auch ein strahlender Euphemismus, eine edle Ersatzbeschreibung für den Begriff, der im Zuge des 9.November immer wieder gebraucht und immer wieder als „übles Schlagwort“ gebrandmarkt wurde: den „Anschluß“. Wer vom „Anschluß“ redete, wer auch nur davor warnte, galt als „vaterlandsloser Geselle“. Je mehr aber die deutsch -deutschen Annäherungen „in Würde“ sich als Konfusion und Chaos herausstellten und alles auf einen lupenreinen Anschluß hinauslief, desto unvermeidlicher wurde ein neuer Begriff - die Karriere des „Beitritts“ begann. Am 3.Oktober wird sie ihren Höhepunkt erleben, allerdings nicht in einer nationalen „Beitrittsfeierstunde“, die gar zu sehr an „Beisetzungsfeierstunde“ gemahnt, sondern ...??? Auch auf die verbalen Folgen des Beitritts dürfen wir gespannt sein.

Mathias Bröckers

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