„Der Beginn einer neuen Weltordnung“

Auch wenn die US-Amerikaner mit dem Säbel rasseln: Ohne Russland können sie Probleme wie das iranische Nuklearprogramm nicht lösen, sagt Sicherheitsforscher Markus Kaim

MARKUS KAIM, 40, leitet seit Juli die Forschungsgruppe „Sicherheitspolitik“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung.

taz: Herr Kaim, was genau meint Condoleezza Rice, wenn sie sagt: Diesmal wird Russland nicht davonkommen wie damals 1968 in Prag?

Markus Kaim: Ich würde diese Äußerung nicht so hoch hängen. Im Moment schlägt die Rhetorik auf allen Seiten Kapriolen. Herr Putin erhob noch letzte Woche den Vorwurf des Völkermords, und die Georgier behaupteten, die Russen stünden vor Tiflis.

Aber es ist doch kein Zufall, dass die Analogie zum Kalten Krieg bemüht wird?

Der Kalte Krieg ist für viele Beobachter seit Langem der Referenzrahmen für die amerikanisch-russischen Beziehungen. Angesichts der Rückkehr Russlands auf die Weltbühne, ist es nicht verwunderlich, dass wir jetzt wieder vor Fragen stehen, die schon in der Zeit des Kalten Krieges zentral waren.

Die da wären?

Etwa: Was machen nicht nur die USA, sondern der Westen insgesamt mit autoritären Regimen? Wie können – mit Russland und China – gemeinsame Ordnungsvorstellungen erreicht werden?

Wofür steht die aktuelle Konfrontation zwischen den alten Feinden?

Es sind vor allem die ersten Zeichen dafür, dass eine neue Weltordnung aufzieht. Wir leben heute in einer multipolaren Ordnung – Russland, China, USA –, die von Rivalität geprägt ist. Und in der die Koalitionen wechseln. In absehbarer Zeit werden noch weitere Länder hinzukommen.

Die EU ist kein Pol?

Grundsätzlich schon. Aber außenpolitisch hat sie bislang zu wenig Gewicht. Bis 1990 hatten wir eine bipolare Weltordnung, dann hatten wir vielleicht – darüber wird viel gestritten – eine unipolare Weltordnung, in denen die USA die einzige Weltmacht waren. Diese Phase ist ganz eindeutig vorbei. China und Russland fordern – wie wir alle wissen – das weltpolitische Primat der USA heraus.

Warum sind wir jetzt von der Eskalation so überrascht?

Weil die deutsche Außenpolitik diesen Veränderungen nur unzureichend Rechnung trägt. Folglich kümmert sich auch die Öffentlichkeit zu wenig um diese neue machtpolitische Lage.

Welchen Handlungsspielraum haben die USA in Bezug auf Georgien?

Begrenzte. Aber Frau Rice wird ihren Besuch in Tiflis nutzen, um den georgischen Präsidenten in die Schranken zu weisen.

Spekulationen, die humanitäre Hilfe der USA könnten militärische Aktionen vorbereiten, sind demnach Unsinn?

Ja! Das würde doch jeder Vernunft widersprechen. Natürlich ist auch den USA klar, dass sie trotz ihrer weltpolitischen Rivalitäten Russland in vielen Fragen brauchen. Ähnlich wie wir Europäer Russland für die Lösung energiepolitischer Fragen benötigen. Die USA können das Problem des iranischen Nuklearprogramms nicht ohne Russland lösen. Ebenso wenig wie das Kosovo-Problem. Und auch die Frage nuklearer Abrüstung könnte ab dem kommenden Jahr wieder für die amerikanisch-russischen Beziehungen an Bedeutung gewinnen.

Warum das?

Weil es einem neuen Präsidenten nach acht Jahren Stillstand in dieser Frage leicht fallen könnte, Russland hier entgegenzukommen.

Ist ein starkes Russland die Voraussetzung dafür, dass die multipolare Welt funktioniert?

Stärke allein reicht nicht. Die Frage ist, ob sich Russland in internationale Regelwerke und Gremien einbinden lässt.

Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich bin da skeptisch.

Warum?

Warum sollte sich ein starker Akteur durch multilaterale Abkommen binden lassen? Dieses Problem haben wir unter anderen Vorzeichen doch auch mit den USA.

Welchen Zeiten gehen Georgien oder die Ukraine nun nach der Eskalation im Kaukasus entgegen?

Entscheidend ist, wie der Westen reagiert: Signalisiert er Russland, dass er Moskaus Hegemonialstreben im postsowjetischen Raum akzeptiert, werden diese Staaten in ihren inneren Transformationsprozess gebremst. Im Fall Georgiens steht zu befürchten, dass der Konflikt weiter die Region destabilisieren wird.

INTERVIEW: INES KAPPERT