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„Der Beginn der Meuterei“

■ Ein verständnisloses Gespräch zwischen BürgerInnen und Senator Von Marco Carini

Wie sollen sie sich nur verstehen? Der Umweltsenator aus dem grünen Millionärsvillenviertel Wellingsbüttel und die BürgerInnen aus Hamburgs Armenhaus Wilhelmsburg. Der müllbewußte Chemiker, der gern damit prahlt, daß er nur Joghurt aus Glasbechern verspeist, und diejenigen, die sich nur Aldi-Einweg-Fraß leisten können.

Gestern trafen der Senator und die WilhelmsburgerInnen im örtlichen Bügerhaus direkt aufeinander, um über die geplante Müllverbrennungsanlage Neuhof an der Nippoldstraße zu streiten und nach einem Königsweg zu suchen. Nur: Sie konnten zueinander nicht kommen, der Müllberg war viel zu hoch.

Vahrenholt spult, inzwischen geübt im Thema, routiniert sein Vortragspensum herunter. Dadurch, daß das „Müllheizkraftwerk“ das vorhandene HEW-Ölkraftwerk ersetze, würde sich die Wilhelmsburger Luftqualität verbessern statt verschlechtern: „Öl ist schlimmer als Müll“. Zu der „dramatischen Umweltverbesserung“ käme noch „eine optimale Energieausnutzung“, da die bei der Müllverbrennung gewonnene Fernwärme von der nahen „BP-Oiltech“ ganzjährlich genutzt wird. Dort wiederum könnten durch die billige Fernwärme 600 ansonsten gefährdete Arbeitsplätze gerettet werden.

Ganz anderes beschäftigt die mehr als 600 AnwohnerInnen, die den großen Saal des Wilhelmsburger Bürgerhauses zum Bersten bringen. Der Stadtteil, dem über 45 Prozent Nichtwähler beim bürgerschaftlichen Urnengang im Herbst das Stigma „apathisch“ einbrachten, zeigt Flagge. Manuel Humburg vom „Zusammenschluß Wilhelmsburger Initiativen“ bringt die Stimmung auf den Punkt: „Es geht um ganz andere Dinge als die Müllverbrennungsanlage. Wenn Voscherau sagt, das Boot Wilhelmsburg ist voll, hat er ja recht: Voll mit strukturellen, ökologischen und sozialen Problemen“.

Doch damit fühlt man sich besonders von dem selbsternannten Ober-Anwalt des „kleinen Mannes“ alleingelassen. Nach der Bürgerschaftswahl haben die Wilhelmsburger Initiativen Henning Voscherau erst angeschrieben und ihm dann 1200 Unterschriften überbracht.

Ihre Forderung: Schicken Sie einen kompetenten Senatsvertreter nach Wilhelmsburg, der mit uns über die Fehlbelegungsabgabe und soziale Probleme diskutiert. Doch Voscherau ließ nicht einmal antworten. Humburg erbittert: „Nun kommt endlich ein Senator, und was hat er im Gepäck: Eine Müllverbrennungsanlage“.

„Wir schämen uns, unseren Bekannten zu sagen, daß wir in Wilhelmsburg wohnen“, beschreibt eine Bürgerin die Situation in dem hafennahen Stadtteil. „Vierzig Jahre sind wir der Abfalleimer Hamburgs gewesen, wurde der Stadtteil durch Industrie und Mülldeponie kaputt gemacht“.

Damit müsse nun Schluß sein, denn die meisten WilhelmsburgerInnen befürchten: „Mit dieser Politik treiben sie den Stadtteil den Rechtsradikalen in die Arme“.

Damit das Wilhelmsburger Boot nicht rechtsseitig leck schlägt, kündigte Bürgerinitiativler Humburg „den Beginn einer Meuterei“ an. Humburg weiter: “Und wenn es denn sein muß, besetzen wir die Köhlbrandbrücke jeden Montag“. Eine ältere CDU-Vertreterin des Ortsausschusses will sich von dort notfalls auch wegtragen lassen: „Die einzige Chance für eine Frau meines Alters, nochmal von einem jungen Polizisten auf den Arm genommen zu werden“.

Ein Dutzend sozial- und wohnungspolitischer Forderungen trugen die WilhelmsburgerInnen dem Umweltsenator auf, für sie Grundvoraussetzungen, um „aus Wilhelmsburg wieder einen liebens- und lebenswerten Stadtteil“ zu machen. Ein Bürger: „Erst müssen sie ihre Verpflichtungen gegenüber dem Stadtteil erfüllen, dann können wir über eine Müllverbrennungsanlage reden“.

Geredet haben sie miteinander, der Wellingsbüttler und die Wilhelmsburger. Verstanden haben sie sich nicht. „Ich habe heute kein Argument gehört, das den Standort für das Müllkraftwerk infrage stellt“, resümierte Vahrenholt sein Gastspiel im Süderelberaum. Das kann man durchaus so sehen. Vorausgesetzt, man hat sich Scheuklappen aufgesetzt.

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