: „Der Aufstand brachte einen Neubeginn“
■ Ein Jahr nach den Unruhen ist Jordanien auf dem Weg zu mehr Demokratie / Wirtschaftlich und außenpolitisch aber ist die Lage schwierig
Amman (afp/taz) - Ein Jahr ist es her, daß Demonstrationen gegen Preissteigerungen und Korruption das politische System Jordaniens ins Wanken brachten. In dem haschemitischen Königreich leitete der Aufstand zwar politische Reformen und einen vorsichtigen Demokratisierungsprozeß ein, die Wirtschaftsprobleme aber blieben dieselben. Zunächst hatten die Demonstranten bei dem spontan in Ma'an, einem etwa 200 Kilometer südlich von Amman gelegenen Ort, ausgebrochenen Aufstand nur gegen die rigorose Preiserhöhung von Grundnahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs aufbegehrt. Schnell aber griffen die Proteste auf zahlreiche Städte und Dörfer im Süden und Westen des Landes über und weiteten sich dabei zu einem Kampf für die Wiederherstellung von bürgerlichen Rechten aus.
Auf der politischen Ebene wurden die Forderungen der Bürger weitgehend erfüllt. Das unpopuläre Kabinett unter Zeid Rifai trat zurück, und im November 1989 kam es zu den ersten freien Wahlen seit 22 Jahren. Anschließend wurden zahlreiche korrupte Beamte gefeuert. Auch einige der elementaren bürgerlichen Rechte wurden wieder zugelassen. Die Verhängung der seit 1967 im Königreich bestehenden Todesstrafe wurde eingeschränkt. Und nach einer Ankündigung von Ministerpräsident Badran soll sie noch 1990 endgültig abgeschafft werden.
Die prekäre Wirtschaftslage des Landes dauert freilich an. Die Auslandsschulden Jordaniens werden offiziell mit 8,3 Milliarden US-Dollar beziffert. 1978 fiel zwar anläßlich des Bagdader Gipfeltreffens arabischer Staaten die Zusage, dem Land innerhalb von zehn Jahren mit zwölf Milliarden Dollar unter die Arme zu greifen. Doch nach Angaben jordanischer Behörden ist bisher nur die Hälfte dieser Summe auch tatsächlich in Amman angekommen. 1989 erhielt das Land von den reichen Brüdern am Golf magere 380 Millionen US-Dollar. Auf die Einlösung der Finanzversprechungen für 1990 wartet man am Jordan immer noch.
Die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) genannten Bedingungen stellen ebenfalls einen Unsicherheitsfaktor für die Regierung dar. Dies gilt vor allem für die vom IWF geforderte Abschaffung der Lebensmittelsubventionen. Wird diese Maßnahme verwirklicht, so steht soziale Not bevor. Die Armutsschwelle in Jordanien liegt nach IWF-Berechnungen bei 80 jordanischen Dinar (gut 190 Mark) monatlich je Familie. Übereinstimmend sind politische Beobachter verschiedener Lager aber der Ansicht, daß es in nächster Zeit nicht wieder zu Aufständen kommen wird.
Der Ammaner Abgeordnete Leith Shubailat nannte dagegen die Situation Jordaniens „schwierig“, weil Armut und Arbeitslosigkeit zunähmen und die Möglichkeiten der Regierung zu deren Bekämpfung sehr begrenzt seien. Dheeb Merji, ein der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ nahestehender Parlamentarier aus Irbid, ist der Ansicht, daß die Aufstände des vergangenen Jahres die „Realität der jordanischen Gesellschaft aufgedeckt und das Land auf einen Weg zu einem solideren Neuanfang gebracht haben“. Für den islamischen Abgeordneten aus dem Aufstandsort Ma'an, Youssef al-Adem, ist klar, daß die Bewohner nicht demonstriert haben, um „das Land zu zerstören, sondern um die Aufmerksamkeit auf ihre Probleme der Armut und der Ungerechtigkeit zu lenken“. Sie hätten heute den Eindruck, daß die Regierung ihnen zuhöre und versuche, ihnen zu helfen.
Außenpolitisch freilich ist die Situation Jordaniens schwieriger geworden. Nach Jahren eines mehr oder weniger engen Zweckbündnisses zwischen Amman und Jerusalem in der Palästinenserfrage ist König Hussein heute zu einem heftigen Kritiker Israels geworden. Vor allem die Masseneinwanderung sowjetischer Juden nach Israel bereitet ihm zunehmend Sorgen. Befürchtet er doch, die Israelis könnten die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete nach Jordanien - das sie ohnehin als den palästinensischen Staat betrachten - abschieben, um so Raum für die Neubürger zu schaffen. Angesichts dieser bedrohlichen Vision hat sich Hussein militärisch starken Gegnern Israels, wie dem Irak, politisch angenähert. Manche sehen in dieser politischen Kursänderung aber bereits den Samen eines neuerlichen militärischen Konflikts in der Region.
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