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■ Der Appell gegen das Holocaust-Denkmal ist ästhetisch antimodern, inhaltlich bedenklich. Und Serras Entwurf ist klüger als seine KritikerAufklärung als Verdrängung

In letzter Stunde – kurz vor der Entscheidung für einen der Entwürfe des Berliner Holocaust- Denkmals, am wahrscheinlichsten den Entwurf von Serra/Eisenmann – hat sich eine eigentümliche Koalition des Protests zusammengefunden. Bei den Unterzeichnern einer Erklärung für ein weiteres Moratorium handelt es sich durchweg um Männer und Frauen, die die geistige Physiognomie der Bundesrepublik bis zum Jahr 1989 geprägt haben. Was eint so aufklärerische Geister wie den Theaterkritiker Peter von Becker, den Rosa Luxemburg verpflichteten Rhetor Walter Jens mit der wertkonservativen Gräfin Dönhoff und den in ihrem Werk wesentlich von Carl Schmitt beeinflußten Historikern Reinhart Koselleck und Christian Meier mit der letzten Ikone des bundesrepublikanischen Intellektuellen, mit Günter Grass?

Ihren eigenen Angaben nach ein begründeter Einspruch gegen die Idee eines zentralen Denkmals, also ein antinationalistischer, antizentralistischer Impuls wider eine zu monumental geratene Gedenkstätte in einer ohnehin unter dem Verdacht des Größenwahns stehenden „Berliner Republik“.

Eine genauere Lektüre der Erklärung sowie die Kommentare eines der Unterzeichner, Walter Jens, zeigen freilich, daß es sich dabei im besten Fall um eine Deckbehauptung handelt. Tatsächlich geht es um zwei sehr verschiedene, hier allerdings verbundene, Einwände. Zum ersten erweisen sich die Unterzeichner als Gegner der abstrakten Kunst, der sie mit höchstem Unverständnis gegenüberstehen, zum zweiten protestieren sie verhalten, aber deutlich dagegen, daß dies ein Denkmal für die ermordeten Juden und nicht für alle Opfer des Nationalsozialismus werden soll. Serras und Eisenmanns Entwurf könne – so befürchten sie – ein „Ort eher der Ablenkung, der Entwirklichung und der kalten Abstraktion“ werden. Über beide Einwände kann und muß getrennt debattiert werden; indem sie jedoch zugleich erhoben werden, offenbaren sie eine fatale Konsequenz: Abstrakte Kunst, die zudem nur den Juden gilt, soll das Bild der Hauptstadt jedenfalls nicht prägen.

Aus den Einreden von Walter Jens, der als wortgewaltiger Redner die monumentale Pose niemals gescheut hat, wird deutlich, daß sie bis heute nicht verstanden haben, worum es bei jenen Ereignissen, die wir als „Holocaust“ bezeichnen, geht. Indem etwa Jens vorschlägt, die Jüdische Rundschau, also die vor dem Krieg erschienene Zeitung der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“, als Gedenkimpuls zu verwenden, gerät ihm aus dem Blick, daß der „Holocaust“ eben etwas ganz anderes war als der Vertreibungs- und Pogromantisemitismus vor 1939. Der Akzent auf einer Zeitung deutscher Juden unterschlägt zudem, daß der „Holocaust“ vor allem ein Mord an den Juden ganz, vor allem Mittel- und Osteuropas gewesen ist. Ein anderer Schluß ist nicht zulässig: Walter Jens ist vor allem an einem – eben nationalen – Gedenken der deutschen Juden gelegen.

Im Gegensatz zu dieser Einengung stoßen sich die Unterzeichner jedoch daran, daß das Denkmal nur den Juden gelten soll, womit sie die Eigentümlichkeit des Holocaust ein zweites Mal verkennen. Die Vernichtung aller Juden war das zentrale weltanschauliche Projekt der Nationalsozialisten. Niemals ging es darum, alle Homosexuellen oder gar ihre Familien auszurotten, nie war daran gedacht, auch die Angehörigen als geisteskrank bezeichneter Menschen zu ermorden. Schon ein oberflächlicher Blick in die weltanschaulichen Schriften führender Nazis zeigt, daß die Vertreibung oder Ausrottung der europäischen Zigeuner nun wahrlich nicht ihr wichtigstes und erstes Ziel gewesen ist.

Nun sind die Absichten der Täter das eine und das Leiden der Opfer ein anderes. Daß das Gedenken deshalb universalisiert werden, daß alle Opfer in ihrem Leiden genannt und anerkannt werden sollen, ist daher ein Vorschlag, über den sich ernsthaft reden läßt. Serras Denkmal steht dem in seiner Abstraktheit aber gerade nicht entgegen.

Kaum noch diskutabel sind daher Einwände, die sich gegen die vermeintliche Kälte und Unanschaulichkeit von Serras und Eisenmanns Entwurf richten. Sie beweisen, daß die gebetsmühlenartig wiederholte Formel von der „Unvorstellbarkeit“ des Holocaust wohl niemals ernst gemeint war. Wie sollte denn ein Mahnmal wirken? Anheimelnd, warm und kuschelig? Wie sollte das, was wissenschaftlich und künstlerisch letzten Endes nicht zu verstehen ist, eine verständige, nicht abschreckende Gestalt erhalten? So verständlich und tröstlich wie Spielbergs „Schindlers Liste“?

Es war Reinhart Koselleck, der gegen die aufgeblähte Statuette von Käthe Kollwitz in der Neuen Wache den zutreffenden Einwand erhoben hat, diese sei ein christliches Symbol, das zudem die Erfahrung des Ersten Weltkrieges mit seinen gefallenen Soldaten, nicht aber den ortlosen Tod in den Gaskammern artikuliere. An diesem Einwand gemessen, erfüllt der Entwurf von Serra und Eisenmann den unmöglichen, aber unaufgebbaren Wunsch, dem nicht Darstellbaren und der Vergeblichkeit, es fassen zu wollen, eine Form zu geben.

Kosellecks Einspruch aus Gründen des moralischen Universalismus gibt seine ästhetischen Einsichten preis. Die meisten anderen Unterzeichner erweisen sich mit dem Appell hingegen als klassizistische Volkspädagogen, die den Umschwung des Gedenkens von der Bildung zur Kunst nicht nachzuvollziehen bereit sind. Selbstverständlich kann und soll ein Kunstwerk im öffentlichen Raum weder ein Museum noch eine Dokumentation, weder eine Vortragsreihe noch ein Gotteshaus ersetzen. Kunstwerke stiften eigene, fremde Wirklichkeiten, sie bündeln und provozieren kollektiv unkontrollierbare Gefühle – in diesem Fall den dauernden Einbruch des Unheimlichen, dem ja wirklich monumentale Eigenschaften zukamen, in eine auf Heimat getrimmte nationale Metropole.

Daß die Unterzeichner sich dagegen, also gegen die auf Dauer gestellte Verbindung von Judenmord, Unheimlichkeit und Fremdheit im Zentrum der Hauptstadt sperren, verbindet sie mit ihrem Adressaten. Bar allen bürgerlichen Selbstbewußtseins kennen sie als deutsche Publizisten und Professoren die Kleiderordnung nur zu gut und appellieren protokollgerecht an wen zuerst? An den Bundeskanzler! An einen Kanzler, dessen törichte Option für Käthe Kollwitz – verglichen mit der hochgeistigen Polemik wider Eisenmann/Serras Monument – beinahe harmlos erscheint. Micha Brumlik

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