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Der Anfang vom Ende der Reagan–Ära

■ Die demokratische Mehrheit im Senat macht die letzten zwei Reagan–Jahre zu einer Übergangszeit

Die „Grand Old Party“ (GOP), die Partei Abraham Lincolns und Teddy Roosevelts, hat verloren, mit ihr der „Große Kommunikator“, dessen Fähigkeit, die Leute mit seiner sonoren Stimme zu beschwatzen, in den letzten Monaten stark gelitten hat. Reagans Wahlerfolge 1980 und 1984 scheinen der Vergangenheit anzugehören. Trotz seines unermüdlichen Einsatzes für die bedrängten Parteikollegen im Senat, trotz seines Dauerlächelns im Wahlkampf der vergangenen Wochen haben die Republikaner die Mehrheit im Senat an die Demokraten abgeben müssen. Von der Niederlage sind vor allem diejenigen betroffen, die 1981 im Windschatten Reagans in den Senat einzogen. Als wichtigster Einzelgrund für den Stimmenverlust wird die Farmkrise im Mittleren Westen der USA genannt, wo republikanische Hardliner durchwegs gegen liberale Demokraten verloren. Nur denjenigen Republikanern gelang es, sich gegen ihre demokratischen Kontrahenten durchzusetzen, die sich im Wahlkampf von Reagan distanziert hatten. Die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit wird Reagan es nun schwieriger haben, sich der wechselnden Mehrheiten im Kongreß bedienen zu können, weil die Demokraten ab Januar erstmals nach sechs Jahren wieder die Geschäfts– und Tagesordnung des Senats bestimmen und die Vorsitzenden so wichtiger Ausschüsse wie des Verteidigungsausschusses oder des Finanzausschusses stellen werden. Voraussichtlich soll Senator Kennedy den Richterwahlausschuß leiten, und der Rüstungsexperte und SDI–Kritiker, Nunn, wird den Vorsitz im Streitkräfteausschuß übernehmen. Der außerordentliche Erfolg der Demokraten in den Senats wahlen steht im Kontrast zu der Niederlage, die sie bei den gleichzeitig erfolgten Governeurswahlen einstecken mußten. Bedeutende Erfolge konnten die Republikaner insbesondere im Süden erringen. So ging Alabama erstmals seit dem Bürgerkrieg an die GOP. Auch in Texas und Florida setzten sich ihre Kandidaten durch. Den Verlust der Demokraten feierte dann auch das „Weiße Haus“ als Sieg, er scheint jedoch mehr den regionalen Besonderheiten denn einem nationalen Trend geschuldet zu sein. Im Kongreß gelang es den Demokraten währenddessen, ihre Mehrheit um weitere acht Sitze auszubauen. Doch selbst viele Demokraten halten den unverhofft großen Wahlerfolg für unverdient. Zwei Jahre nach der niederschmetternden Wahlniederlage bei den letzten Präsidentschaftswahlen befinden sie sich noch immer im Clinch über ihre zukünftige Ausrichtung. Während einige Hardliner vor allem aus dem Süden Reagan in außenpolitischen Fragen rechts überholen wollen, versuchen die liberalen Überbleibsel des Wahlfiaskos ihre Kräfte neu zu koordinieren - bislang erfolglos. Entscheidend für den Wahlausgang war veraussichtlich auch die überaus geringe Wahlbeteiligung. Von Maine an der Ostküste bis Maui in Hawaii gingen nur 38,5 Prozent der etwa 178 Millionen Wahlberechtigten an die Urne. Bei den letzten Kongreßwahlen waren es noch 45,5 und bei den Präsidentschaftswahlen 1984 53,3 Prozent gewesen. Auch die beiden US–Fernsehgesellschaften ABC und NBC waren offensichtlich zu dem Schluß gekommen, daß die Kongreßwahlen am Dienstag nicht so wichtig seien. Das Interesse der Bürger sei nicht so groß, daß es sich gelohnt hätte, auf die üblichen Krimi– und Humor–Serien zu verzichten. Sie unterbrachen ihren normalen Sendeplan am frühen Dienstag abend deshalb jeweils nur kurz für wenige Minuten, um über den neuesten Stand der Auszählungen zu berichten. Die ersten Konfliktthemen zwischen dem Präsidenten und dem neuen Kongreß sind voraussichtlich das SDI–Projekt, die Hilfe für antisandinistische Rebellen, die Handelspolitik und die Ernennung von Bundesrichtern. Die 100–Millionen–Dollar– Hilfe für die Contras, im alten Senat knapp durchgeboxt, könnte rückgängig gemacht werden. Der demokratisch beherrschte Senat könnte ferner versuchen, Reagan zur Einhaltung des SALT–II–Abkommens und zu einem Atomteststopp zu zwingen. Eine grundlegende Wende der amerikanischen Politik ist von den Kongreßwahlen jedoch nicht zu erwarten, da konservative Demokraten und gemäßigte Republikaner oft ähnliche Standpunkte vertreten und die Opposition sich hütet, den nach wie vor populären Präsidenten direkt anzugreifen. Reagan hat nach sechsjähriger Amtszeit im Weißen Haus eine beispiellose Popularitätsquote von 67 Prozent erreicht. Der 75jährige versuchte noch in der letzten Woche vor den Wahlen mit einer 40.000 km langen Tour durch neun amerikanische Bundesstaaten Wähler für die republikanischen Kandidaten zu mobilisieren und seiner Partei die Senatsmehrheit zu sichern. Er ist indessen nicht der erste Chef des Weißen Hauses, der mit einem oppositionellen Kongreß fertig werden muß. Seit 1945 waren Harry Truman, Dwight Eisenhower, Richard Nixon und Gerald Ford in der gleichen Lage.

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