■ Denver: Timothy McVeigh wurde zum Tode verurteilt: Schuld und Sühne
Der Schuldspruch gegen den Attentäter von Oklahoma, der damit für den Tod von 168 Menschen verantwortlich ist, wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit wie eine Rehabilitation ihres Rechtssystems aufgenommen. Spätestens seit der Travestie des O.-J.-Simpson-Prozesses schien es nicht mehr Gerechtigkeit, sondern nur noch Unterhaltung zu produzieren.
Daß die Geschworenen bei der Strafzumessung dasselbe Justizsystem von der Todesstrafe befreien und ihm den Charakter einer Rachejustiz nehmen würden, wäre zuviel verlangt gewesen. Was die Hinterbliebenen und die Öffentlichkeit von der Justiz bei der Strafzumessung erwarteten, war die Wiederherstellung des Vertrauens in ihr Funktionieren. Die Anerkennung mildernder Umstände wäre als Relativierung des Verbrechens und erster Schritt zur Lösung des Zusammenhangs von Schuld und Sühne gewertet worden.
Rechtssysteme funktionieren wie Geschäfte: Sie beruhen auf dem Prinzip des Tauschs. Der Wert eines Rechtsgutes findet deshalb seinen Ausdruck in dem Preis, der für seine Verletzung zu zahlen ist. Da es auf Erden Gerechtigkeit nicht gibt, ist die Aufrechterhaltung des Äquivalententauschs von Verbrechen und Strafe die größtmögliche Annäherung daran. In einem Land, auf dem Gewalt wie ein Fluch lastet, wird die Erklärung dafür gern in der Außerkraftsetzung eines verläßlichen Tauschverhältnisses von Schuld und Sühne gesucht.
In diese rationale Rechtsauffassung mischt sich in Amerika die Vorstellung von der heilenden Kraft des Sühneopfers. Das Verbrechen erscheint wie ein Monstrum, das nur durch Menschenopfer daran gehindert werden kann, sich neue Opfer zu suchen und Überlebende in Alpträumen heimzusuchen.
Nach ihrer Reaktion auf das Todesurteil gefragt, gaben die Hinterbliebenen der Opfer des Bombenanschlags an, jetzt erst würden sie dieses schreckliche Kapitel ihrer Vergangenheit schließen und mit ihrem Leben fortfahren können. Es wird in den Vereinigten Staaten noch viele Tote geben, bis sich in der Gesellschaft die Erkenntnis durchsetzt, daß die Gleichung von Schuld und Sühne nicht aufgeht und kein geeignetes Mittel ist, Sicherheit und Seelenfrieden zu gewähren. Peter Tautfest
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