Denunziations-App aus Polen: Ritter gegen Lügenpresse
Über eine neue App können Auslandspolen nun internationale Medien auflisten, die dem Ruf ihres Heimatlandes schaden.
Für die polnische Legendenbildung spielen Ritter eine wichtige Rolle. Die „Husaria“, gepanzerte und imposant aussehende Reiterverbände in der polnischen Armee, hatten ab dem 16. Jahrhundert in Europa einen Ruf wie ein Donnerhall. In der Schlacht am Kahlenberg 1683 schlugen sie die Osmanen, läuteten das Ende der Belagerung Wiens ein und stoppten – so heißt es – die Islamisierung des Kontinents. Ihr Anführer, Jan III. Sobieski, wird bis heute in Polen verehrt, die Figur des Ritters ebenso.
Ob die Macher der App „Rycerz“, auf Deutsch „Ritter“, an diese Geschichte gedacht haben, ist nicht bekannt. So viel jedoch schon: Seit einigen Tagen kursieren im Netz Berichte über eine App, die es patriotisch gesinnten Polen im Ausland ermöglichen soll, Nachrichten, die angeblich dem Ruf ihres Landes schaden, sofort nach Warschau zu funken: ein Rittereinsatz an vorderster Propagandafront sozusagen. Mehrere polnische Medien berichteten, dass das Ganze vom Außenministerium finanziert werde. Auf der Internetseite von „Rycerz“ ist denn auch ein Logo des Ministeriums zu sehen.
Anmelden kann der geneigte Aktivist sich allerdings noch nicht, die App sei im Entwicklungsstadium, so der polnische Radiosender Zet. Dafür, mit Hilfe von „Rycerz“ für den guten Ruf Polens aktiv zu werden, wirbt auch die „Reduta Dobrego Imienia – Polish League Against Defamation“.
Die Nichtregierungsorganisation beobachtet bereits seit 2012 genau, wer im Ausland was über Polen schreibt – und prangert dann alle angeblichen Lügen an. Auf ihren Veranstaltungen sprechen gelegentlich polnische Regierungsangehörige, wie Mateusz Morawiecki, stellvertretender Ministerpräsident.
Die App „Rycerz“, mit der Freiwillige vermeintliche Unwahrheiten sowie die Medien- und Autorennamen nun in eine Datenbank laden sollen, geht auf eine Initiative der „Reduta“ zurück. Ihre Vorsitzende, Mira Wszelaka, sagte kürzlich, dass kein Pole passiv bleiben könne, wenn Lügen über die Geschichte seines Landes verbreitet würden. Sie wollte zur Nutzung der App auffordern.
Netzwerk in Deutschland
Nicht genug, dass polnische Medien ausführlich darüber berichten, was in Deutschland über den Nachbarn geschrieben wird, und ihrerseits ein Bild erzeugen, dass hierzulande liberale Werte und vermeintliche Flüchtlingsliebe die Gesellschaft zersetzen – es gibt zudem ein Netzwerk der „Reduta“ und den sogenannten Klubs der Gazeta Polska. Die rechtsnationale Zeitung hat Anhänger in Deutschland, unter anderem in Essen, Frankfurt am Main und Berlin. Es handelt sich um mehrere tausend Auslandspolen.
Wenn polnische Journalisten, wie etwa der populäre Korrespondent des Fernsehsenders TVP in Berlin, Cezary Gmyz, die deutsche Berichterstattung der Lüge bezichtigen, dann werden in sozialen Netzwerken wie Twitter Scharen freischwebender Patrioten aktiviert, die ihrerseits Shitstorms gegen die deutsche Presse absondern. Aufmerksamkeit und Empörungspotenzial also sind sehr groß.
Zuletzt zeigte sich dies am 11. November. In Polen wurde der Unabhängigkeitstag gefeiert. Neben offiziellen und friedlichen Veranstaltungen brachten rechtsradikale Gruppen 60.000 Menschen auf die Straßen Warschaus. Dazu Parolen wie: „Europa wird weiß sein oder entvölkert.“ Die internationale Berichterstattung über dieses Ereignis hatte ein enormes Echo in Polen zur Folge: Medien und Social-Media-User witterten eine Verschwörungen gegen das Land.
Dass diese aufgeladene Stimmung nun in eine App gedrückt wird, um sie für ein Regime nutzbar zu machen, ist State of the Art in Sachen Propaganda. Der Verdienst der „Reduta“, dass die Organisation in der Vergangenheit durchaus auch mal berechtigt auf Fehler und Schlampereien in der Berichterstattung verwiesen hat, droht bei dem App-Irrsinn in Vergessenheit zu geraten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links