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Denkraum der Besonnenheit

Aby Warburgs historische „Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“  ■ Von Rüdiger Zill

Aby Warburg ist eine Kultfigur der Kunstgeschichte. Man bezeichnet ihn als Vater der Ikonologie, allerdings nicht ohne häufig einzuschränken, daß sein geistiger Horizont die Praxis vieler seiner Schüler darin überschritten habe. So wird er dann mehr und mehr nicht nur als Kunsthistoriker, sondern als „Kulturwissenschaftler“ verstanden. Nicht umsonst trug die legendäre Bibliothek, die er in Hamburg begründete und die 1933 nach London emigrierte, den Namen „Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg“. Wer Warburg aber im Original studieren will, muß sich nach wie vor auf seine wenigen publizierten Aufsätze verlassen. Aus dem Nachlaß, der größtenteils im Londoner Warburg-Institute liegt, Vortragsmanuskripte, Notizbücher, Briefe und so weiter, ist bisher kaum etwas veröffentlicht worden. Kein Kult ohne Arkanum.

Immerhin gibt es nun einen kleinen Fortschritt. Eine Forschergruppe um Claudia Naber und Robert Galitz hat Warburgs „Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“ in der Rumpelkammer des Hamburger Planetariums wiederentdeckt, rekonstruiert und erneut zugänglich gemacht. Nachdem sie im vorigen Jahr erstmals wieder gezeigt wurde – und zwar in Wien –, hat die Ausstellung jetzt in Berlin ihre erneute Deutschlandpremiere. Ab 1. Juni soll sie dann in Hamburg wieder ihren festen Ort erhalten – hoffentlich der Endpunkt nach einer wechselvollen Geschichte.

Ende der zwanziger Jahre beschloß die Hamburger Bürgerschaft, nach den Sternen zu greifen, vulgo: ein Planetarium einzurichten. Auf der Suche nach einem geeigneten Gebäude verfiel man auf den Wasserturm im Stadtpark, der von 1912 bis 1915 nach den Plänen des Dresdner Architekten Oscar Menzel errichtet worden war, seiner ursprünglichen Bestimmung aber nie übergeben wurde. Warburg, der sich zeit seines Forscherlebens auch mit der Geschichte von Astrologie und Astronomie beschäftigt hat, nahm die Idee begeistert auf und wollte die wissenschaftlich-technischen Gerätschaften des Planetariums durch eine historische Ausstellung ergänzt wissen.

Als er im Oktober 1929 starb, war die Konzeption hierfür schon weit gediehen; seinen Mitarbeitern blieb es dann überlassen, die Ausstellung nach seinen Plänen zu verwirklichen und im April 1930 zu eröffnen. In 17 Abteilungen stellten über 100 Objekte (Photographien, Zeichnungen, Modelle, Gipsabgüsse et cetera) dem Hamburger Publikum die „Geschichte und Psychologie der menschlichen Orientierung im Kosmos“ dar – angefangen bei den sogenannten „Primitiven“ über Babylonien, Ägypten, Griechenland und das Christentum bis hin zu Dürer; Luther und Kepler. Begleitet wurden diese Bilderreihen durch knappe Texte, in denen Warburgs pädagogischer Eros und seine Interpretation der Wissenschaftsgeschichte zum Ausdruck kommt.

„Wenn eine solche Ausstellung nur eine bessere Verwertung der durch das Planetarium unmittelbar bewirkten Anschauung erzielen würde, läge für mich kein besonderer Grund vor, dies ins Leben zu rufen. Ich sehe diese Kombination von mechanischer Anschaulichkeit und rückwirkender Bildbetrachtung eben als ein Erziehungsmittel für Gebildete und Ungebildete an, wie es die menschliche europäische Gesellschaft bisher noch nicht besitzt. Denn es handelt sich darum, daß der Weg an sich von der bildhaft-religiösen Ursachensetzung bis zur begriffsmäßig-mathematischen in der ganzen Tragik, oder wenn man will, unendlichen Entwicklungsfähigkeit seines gesetzmäßigen Kreislaufes eingeprägt werden kann, um dadurch vor allem der pseudomystischen Willkür ein Bollwerk entgegenzusetzen, das, besonders wenn der Wasserturm auch noch die Möglichkeit bietet, sich mit den Grundzügen der astronomischen Observation vertraut zu machen, nicht mehr aus dem Bewußtsein eines verantwortungswilligen Menschen hinauseskamotiert werden kann.“ (Warburg in einem Brief an Karl Umlauf, Bologna, 13. 10. 1928)

So erscheint Warburg, der mit seiner Konzeption einer fächerübergreifenden Kulturwissenschaft Maßstäbe für das 20. Jahrhundert setzte, als humanistischer Volksaufklärer mit dem Sendungsbewußtsein des 19. Jahrhunderts. Er war dabei aber keineswegs der optimistische Fortschrittstheoretiker, für den sich in der Geschichte ein ungebrochener „Prozeß der Zivilisation“ bemerkbar gemacht hätte. Die Menschheit lebt für ihn im ewigen Spannungsfeld zwischen Magie und Logik. Die Furcht, die die feindliche Außenwelt dem Menschen einflößt, versucht er zunächst zu bannen, indem er sie mit magischen Mitteln „ergreift“. Erst wenn er sich von solch unmittelbaren Reaktionen frei macht, sich distanziert, kann er die bedrohlichen Phänomene auf den „Begriff“ bringen, das heißt auch: mathematisch-logisch erfassen und sie dergestalt wirksam in den Griff bekommen. Immer aber lauert auch noch in dem fortgeschrittenen Wissenschaftler ein Rest jener alten Dämonenfurcht und wartet auf eine Möglichkeit zum Ausbruch. Jenen wissenschaftlichen „Denkraum der Besonnenheit“ zu behaupten ist so eine immer wieder neu zu erringende Haltung.

Der heutige Leser mag damit Sätze assoziieren wie Horkheimers und Adornos: „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinne fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.“ Anders jedoch als deren tragödisches Modell der Zivilisationsgeschichte ist Warburg von einer heroischen Vorstellung geprägt. Die einen aber stehen wie der andere in der Tradition, die auf je ihre Weise von Vignoli, Burckhardt, Nietzsche und Cassirer geprägt ist. Es ist das Verhältnis von Mythos und Wissenschaft, das sie alle fasziniert und beunruhigt hat.

Warburgs Verhältnis zu einigen seiner engeren Weggefährten wie Franz Boll oder Ernst Cassirer ist übrigens unter anderem Gegenstand eines Colloquiums, das anläßlich der neuen Präsentation der Bildersammlung am 17. Februar im Berliner Zeiss-Großplanetarium veranstaltet wird. Aber auch wenn man nicht nach Berlin reisen will, so findet man die Sammlung doch wenigstens detailliert und mit viel Liebe in einem Katalog dokumentiert. Darin sind nicht nur die ursprünglichen Texte und Abbildungen gesammelt, sondern auch eine große Zahl von Dokumenten zur Geschichte dieser Ausstellung. Ergänzt wird der historische Befund durch eine Reihe von Kommentaren zum heutigen Forschungsstand.

Ausstellung: „Aby Warburg – Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde“, bis 27. 3. 1994 im Zeiss-Großplanetarium Berlin, Prenzlauer Allee 80, Mo.–Fr. 10–12, Mi. und Sa. 13.30–21, Fr. 18–22, So. 13.30–18 Uhr.

Juni bis Oktober dann im Planetarium Hamburg

Katalog: „Aby M. Warburg. Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Hamburger Planetarium“, hrsg. v. Uwe Fleckner, Robert Galitz, Claudia Naber und Herwart Nöldeke; Dölling und Galitz Verlag Hamburg 1993, 98 DM

Aby-Warburg-Colloquium „Verlorene Visionen“: 17. 2. 1994, 10–18 Zeiss-Großplanetarium

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