: Denken durch Reflexe ersetzt
betr.: „Darüber spricht man nicht“, taz.mag vom 21./22. 8. 99
Im Jahr 1997 versuchte die PDS, im Bundestag eine Verbesserung des „Verteilungsberichtes“ durchzubekommen (Barbara Höll). Die SPD (Dieter Grasedieck) und die Grünen (Andrea Fischer) schlossen sich dieser Forderung an (Plenarprotokoll 13/182 vom 13. 6. 1997). Darauf reagierte der CDU-Abgeordnete Georg Seiffert: Die PDS wolle „eine statistische Begründung für ihre Forderung nach Gleichmacherei. Sie will einen anderen Staat - und dieser Reichtumsbericht soll dafür eine Diskussionsgrundlage sein.“ Selbst im Bundestag kann es also passieren, dass Denken durch Reflexe ersetzt wird.
Jetzt aber hätten SPD und Grüne endlich die Gelegenheit, in Deutschland eine verbesserte Statistik zur Einkommens- und Vermögensverteilung durchzusetzen, wie sie ja zum Beispiel in den USA seit mehr als 40 Jahren längst üblich ist. Und die USA sehen nicht gerade so aus, als ob sie von einer Neiddiskussion paralysiert würden.
Wenn Beate Willms und Winfried Roth schreiben, dass es in Deutschland „eine statistische Lücke gibt“, weil „umfassende Zahlen zur Einkommens- und Vermögenssitustion“ fehlen und es sich dabei um „gewollten Informationsnotstand“ handelt, so treffen die beiden Autoren voll ins Schwarze. Treffen sie nun auch voll ins Rote und Grüne?
Bei der Überwachung unserer Telefongespräche scheut der Staat kaum Aufwand und Kosten. Aber eine jährliche Überwachung der Einkommens- und Vermögenssituation mit Hilfe aktualisierter Kennzahlen für die Ungleichverteilung (z. B. Berechnung nach Theil bzw. nach Atkinson) im statistischen Jahrbuch möchten anscheinend nun auch die SPD und die Grünen nicht mehr durchsetzen.
[...] Amartya Sen („Preis der Bank von Schweden für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel“) bietet (zusammen mit James E. Foster) mit der „Wohlfahrtsfunktion“ eine weitere Kenngröße an, die ich hoffentlich im nächsten Jahresbericht des Statistischen Bundesamtes finden werde. Götz Kluge, München
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