: Deng bedauert seinen früheren Reformkurs
■ Chinesische Armee besetzt Stahlwerk / Studenten wollen weiter demonstrieren / Meinungsverschiedenheiten über Proteste / Li Peng richtet Zensurgruppe ein / 'Beijing Review‘ spricht in ihrer neuesten Ausgabe noch vom „tattrigen“ chinesischen Führer
Peking (afp/ap/dpa/taz) - Chinas Staatschef Yang Shangkun hat in einer am Montag veröffentlichten Rede die gegenwärtige Krise in seinem Land auf eine Spaltung in der KPCh zurückgeführt. Der Schlüssel des Problems finde sich „innerhalb der Partei“ und nicht auf der Straße. Eine Kopie der Ausführungen war am Montag nahe dem Partei- und Regierungssitz im Zentrum Pekings angeschlagen worden.
Nach Angaben Yangs hatte Deng am vorletzten Sonntag, einen Tag nach der Verhängung des Kriegsrechts über Teile Pekings, bei einer Versammlung von Spitzenfunktionären bekannt, daß seine „beiden größten Fehler“ die Ernennung Hu Yaobangs zum Parteichef und die Wahl Zhao Ziyangs als dessen Nachfolger gewesen seien. Damit stellt der starke Mann Chinas erstmals selbst sein Lebenswerk, die wirtschaftliche Reform des Reichs der Mitte, in Frage. Yang selbst warf dem geschaßten KP-Generalsekretär vor, er habe den „Kapitalismus“ wiedereinführen wollen und „Uneinigkeit“ verursacht.
Während die großen staatlich gelenkten Medien, die inzwischen vom Militär kontrolliert werden, in der Regel die Haltung der harten Linie von Ministerpräsident Li Peng wiedergaben, brachte die amtliche englischsprachige Wochenzeitschrift 'Beijing Review‘ in ihrer neuen Ausgabe am Montag überraschend noch eine Vielzahl von Berichten, die deutlich Sympathie mit den demonstrierenden Studenten erkennen lassen. Auffallender und bisher einmalig ist aber die offene Kritik an Chinas führendem Politiker Deng Xiaoping: „Obwohl der tattrige chinesische Führer von einigen Protestlern dafür kritisiert wurde, daß er zu alt sei, um die innenpolitischen Angelegenheiten zu regeln, scheint Deng in internationalen Angelegenheiten fähiger zu sein“, hieß es in einem Bericht zu dem Treffen Dengs mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow. Um solche Berichte zu verhindern, hat Ministerpräsident Li Peng inzwischen eine fünfköpfige Zensurgruppe zusammengestellt, die mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet ist. Nicht nur unter Studenten und Partei, sondern auch in anderen Teilen der Gesellschaft haben mittlerweile Repressalien begonnen. So ist das größte Pekinger Stahlwerk nach Angaben von Arbeitern von Militärs besetzt worden.
Teile der chinesischen Studenten lassen sich davon allerdings nicht beeindrucken. Studentenführer in Peking riefen am Montag für Dienstag zu neuen Kundgebungen auf. Am Samstag hatten Studentenführer beschlossen, die Besetzung des Tiananmen-Platzes (Platz des Himmlischen Friedens) im Stadtzentrum von Peking am Dienstag aufzuheben. Nach Berichten über Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Studentenführern, haben Teile der Demonstranten beschlossen, weiter zu protestieren. Einige Studenten haben dazu aufgerufen, den Tiananmen bis zum 20. Juni besetzt zu halten. An diesem Tag soll der ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses zu Beratungen zusammentreten.
Inzwischen sind gestern viele Studenten wieder an die Peking-Universität zurückgekehrt. Dort hatten sich dann am Montag mittag neun Studenten aus Protest gegen die Ausrufung des Kriegsrechts in einer öffentlichen Aktion die Köpfe kahlgeschnitten. Eine Form des Protestes, wie er auch schon zum Anfang dieses Jahrhunderts verwendet wurde, als sich Demonstranten die Zöpfe abschnitten.
rei/j.k.
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