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NACHRUFDen Glauben nie verloren

■ Zum Tod des ehemaligen Berliner Bausenators Harry Ristock

Seine Überzeugung, ein „Marxist Luxemburgischer Prägung“ zu sein, hat Harry Ristock nie verleugnet. Für ihn bedeutete das, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Dies war ihm unverrückbarer Maßstab, den Stalinismus hat er immer bekämpft. Gestern starb der ehemalige Berliner Bausenator kurz nach seinem vierundsechzigsten Geburtstag.

Seine Partei hat der radikale Demokrat, der sich immer als „Ackergaul“ verstand, nie geschont. Auf dem Höhepunkt des Vietnam-Kriegs hat der damalige Stadtrat unter dem Wutgeheul der Springer-Presse den verlogenen Konsens der zwangsdemokratisierten Deutschen zerschlagen: In Vietnam werde von den Amerikanern „nicht die Freiheit verteidigt, sondern gefährdet“. Die SPD schloß ihn für diese explosiven Äußerungen kurzzeitig aus.

Dem Widerspruch blieb er treu. Leidenschaftlich stritt er vor einem Jahr gegen die große Koalition in Berlin und schrieb noch Ende 1991 in der taz, die Koalition sei jeden Beweis ihrer Notwendigkeit schuldig geblieben. Da lag die innerparteiliche Karriere, die ihn 1975 zum Bausenator und 1983 zum Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters machte, bereits hinter ihm. Der Bruch im geraden Lebensweg aber gehörte zum Leben des Politikers, um dessen Einladung zu seinem jährlichen Laubenpieperfest die Prominenz sich riß.

Kein Theoretiker, doch die Deutschlandpolitik war ihm ein zentrales Anliegen. Er war ein Pionier der Ostpolitik Brandts und bis kurz vor dem Zusammenbruch der DDR ein ständiger Gesprächspartner der SED. Als Bausenator machte er Schluß mit dem Bau der furchtbaren Großsiedlungen am Stadtrand, leitete die Wende zur behutsamen Stadterneuerung ein und versuchte, die Kahlschlagsanierung zu stoppen. Vom Strudel des Garski-Bauskandals wurde er jedoch Ende 1980 ebenso mitgerissen wie der gesamte sozialliberale Senat. Die Mammutverwaltung des Bauressorts bekam Ristock nie in den Griff. So wurde er unfreiwillig zum Ziehvater der Hausbesetzerbewegung. Zwei Jahre später aber war Ristock wieder da, sollte die CDU als Bürgermeisterkandidat wieder aus dem Berliner Rathaus verdrängen. Als herauskam, daß es hinter seinem Rücken als Geschäftsführer einer Metallbaufirma zu Finanzmanipulationen gekommen war, warf er hin und war fortan nur noch Abgeordneter. Präsent mit seiner Kritik an Freund und Feind aber blieb er weiterhin. Seiner Überzeugung blieb er bis zuletzt treu, auch nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus. „Der Sozialismus hat jetzt erst recht eine Chance“, als Hoffnung für eine zerstörerische Weltordnung, befand er Ende 1991. Er wird der Berliner Politik fehlen. Gerd Nowakowski

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