: Den Fuß in der Tür
■ Seit Niedersachsen nichtkommerzielles Lokalradio fördert, entdecken die Zeitungsverleger ihr Herz fürs freie Funken
Der alte Pirat faltete seine Totenkopfflagge zusammen, gab die schlisse Augenklappe einem vorbeiziehenden Müllsammler und schlurfte hinüber zum Holzverschlag der Heuerbehörde. Dort gab man ihm einen kleinen Packen Banknoten und einen Stempel, der ihm das bedeutete, was er ein Leben lang gewollt hatte. Er war frei.
Niemand weiß, wie es sein wird, wenn in Niedersachsen zu Beginn des nächsten Jahres die ersten freien Lokalradios auf Antenne gehen. Doch schon allein, daß es jetzt möglich ist, sich um eine Sendelizenz zu bewerben, hat bei den Radioinitiativen des Landes Aufbruchstimmung ausgelöst. Jetzt fühlen sich die RadiomacherInnen, die zum Teil seit Jahren für Bürgerradio kämpfen, ein wenig wie der Alte am Quai. Zumal der ersehnte Stempel auch noch mit einer neunzigprozentigen Finanzspritze aus dem Rundfunkgebührensäckel verknüpft ist – aus dem zwei Prozent für den Modellversuch abgezweigt werden.
Künftig weder als Pirat noch privat funken
Zum erstenmal schrieben die BürgerradiomacherInnen ihre Programmschemata nicht für die Schublade, sondern für die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM), die die Sendelizenzen für den fünfjährigen Versuch mit „Nichtkommerziellem Lokalfunk“ (NKL) verteilt. Weder privat noch als Pirat wollen sie enden.
Aber Programmpläne für die NLM wurden auch andernorts verfertigt. Dort, wo man mit kommerziellem Publizieren gutes Geld verdient, in den Chefetagen der Zeitungsverlage des Landes, hat man zeitgleich mit der Lizenzausschreibung ein Herz fürs kommerzferne Funken entdeckt. In fast allen der acht Versuchsgebiete bewerben sich auch Radiobetreiber, an denen örtliche Zeitungsverlage beteiligt sind – oft sogar als Initiatoren.
Beispiel Hannover: Dort hat die mächtige Madsack-Verlagsgruppe mit gleich zwei Blättern (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Neue Presse) das regionale Meinungsmonopol im Printbereich. Jetzt bewirbt sich ein „StadtRadio“ um die NKL-Lizenz, an dessen Betriebsgesellschaft Madsack mit 25 Prozent beteiligt ist. Als der NKL- Versuch vor zwei Jahren in das Niedersächsische Landesrundfunkgesetz geschrieben wurde, hatten die Blätter des Verlags dagegen noch heftig opponiert. Kein Wunder: Das Zeitungshaus ist auch beim gutgehenden landesweiten Kommerz-„Radio ffn“ beteiligt (wie die meisten Verleger, die nun beim NKL dabeisein wollen). Klar, daß man kein Interesse an lokaler Konkurrenz hatte.
Dabei sind die Ziele des Modellversuchs im Gesetz klar benannt: Kann der Nichtkommerzfunk eine „publizistische Ergänzung“ sein? wird gefragt. Wie ist es mit der Möglichkeit, Gruppen zu beteiligen, die sonst in den Medien kein Gehör finden? Und vor allem: Werden die Kleinen, Werbefreien Auswirkungen haben können auf die „Strukturen publizistischer Konzentrationsprozesse“? Wenn die örtlichen Printmonopole gleich mitmischen, dürfte diese Frage schnell beantwortet sein.
In Braunschweig sagt ein Bewerber, worauf die Verleger spekulieren: „Wir rechnen damit, daß das Bürgerradio später wie normaler Lokalfunk über Werbeeinnahmen finanziert werden muß“, so Michael Adler, Geschäftsführer des von Verlagen und einem Grossohaus initiierten BWR. „Die wollen einen Fuß in der Tür haben“, befürchtet Mathias Spielkamp vom Hannoveraner „StadtRadio“- Konkurrenten „Flora“.
Tatsächlich läßt das Gesetz völlig offen, was nach Abschluß des Versuchs in fünf Jahren mit den Lizenzen geschieht. Geflissentlich hat es die in Hannover alleinregierende SPD vermieden, irgendeine Perspektive in die NKL-Paragraphen aufzunehmen, als sie diese im letzten Jahr novellierte. Das muß Spekulationen, wie die des Mannes aus Braunschweig, herausfordern. Auch wer vor Jahren in Hamburg als „gemeinnütziger“ Radiobetreiber begonnen hatte, war schließlich als reiner Kommerzfunkveranstalter im dualen System angekommen. Nur zu verständlich, daß lokale Verleger dort nicht schlafen, wo Konkurrenz auf den regionalen Werbemärkten zu befürchten ist. Der Verleger der Hamelner Deister-Weser-Zeitung etwa gab den örtlichen Radiomachern 100.000 Mark – als Spende. Ihr Radio wurde als allererstes bereits im vergangenen Monat lizenziert, weil Mitbewerber fehlten. Anderswo boten Verleger Räume an, oder sie beteiligten sich eben gleich. Bis 25 Prozent sind Verlegerbeteiligungen im Gesetz sogar ausdrücklich vorgesehen. Für Rebekka Harms, medienpolitische Sprecherin der Landes-Grünen, die das NKL-Projekt zu rot-grünen Zeiten mit aus der Taufe hoben, eine weitere Schwäche des Gesetzes. Nun ist erst einmal die NLM am Zuge. Deren Versammlung (ähnlich zusammengesetzt wie ein Rundfunkrat) muß entscheiden, wer die begehrten Lizenzen bekommt. Und nach allem, was aus dem Auswahlausschuß zu hören ist, ist die Gefahr gering, daß am Ende die von unten organisierten Bürgerfunker zwischen den Stühlen sitzen. „Der Geist des Gesetzes“, meint auch Klaus-Jürgen Buchholz, in der NLM-Verwaltung für den Versuch zuständig, müsse, wo es eine Auswahl gibt, schon eine Rolle spielen – und da mache es kaum Sinn, ein Projekt zu wählen, das von den Beteiligten her mit publizistischer Konzentration initiiert sei.
Das Projekt kommt zehn Jahre zu spät
Ulrich Holefleisch, grünes Mitglied in der Versammlung der Medienanstalt, ist noch etwas anderes aufgefallen: „Politisch gesehen kommt der Versuch zehn Jahre zu spät.“ Die Claims der Medienzukunft sind längst abgesteckt, die großen Debatten über demokratische Öffentlichkeit werden nicht mehr geführt. „Aber vielleicht“, hofft Holefleisch, „kommen die politischen Radiomacher wieder, wenn es den Freiraum erst gibt.“ Piraten, glaubt er wohl, sterben nie aus. Lutz Meier
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