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„Den Fremdling nicht bedrücken“

■ Kirchenasyl: Ein umstrittenes Thema auch auf dem Kirchentag / Gemeinden fühlen sich von Kirchenleitungen alleingelassen Von Anita Merkt

Seit sieben Monaten geht Ayhan D. nicht mehr zur Schule. Wie seine drei Geschwister und seine Eltern hat der sechzehnjährige Angst, daß ihn die Polizei aus dem Unterricht abholt und nach Mazedonien abschiebt. Als der sechsköpfigen Familie im November vergangenen Jahres die Rückführung in die ungeliebte Heimat drohte, tauchte sie unter. Kurz vor Weihnachten fand die Roma-Familie Aufnahme im Kirchenasyl der lutherisch-evangelischen St. Johannes-Gemeinde in Glinde, östlich von Hamburg.

Iris Kraemer erklärte sich damals nach einem Sonntagsgottesdienst spontan bereit, den Fremden bei der Bewältigung des Alltags in zwei Zimmern zu helfen: „Das Eintreten für die Schwächeren ist für mich ein unverzichtbarer Bestandteil meines Glaubens“, erklärt die Christin ihr Engagement für die Familie. In den vergangenen Monaten mußten Iris Kraemer und die Gemeindemitglieder lernen, daß die Familie D. nach den Buchstaben des Asylverfahrensgesetzes keine Chance auf eine Anerkennung als Asylberechtigte haben. Obwohl der Vater willkürlich ins Gefängnis gesteckt worden war und die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ von anhaltenden Schikanen gegenüber den mazedonischen Roma spricht.

Im Kirchenkreis Stormarn, der den Hamburger Osten und Teile Schleswig-Holsteins abdeckt, haben sich 20 Prozent der Gemeinden grundsätzlich bereit erklärt, ihre Kirchenräume im Notfall für bedrohte Flüchtlinge zu öffnen. Im Bereich der Nordelbischen Landeskirche gewähren zur Zeit 14 Gemeinden Flüchtlingen Schutz. „Durch die Grundgesetzänderung wurden die Chancen auf eine Asylanerkennung so drastisch beschnitten, daß immer mehr Flüchtlinge in eine ausweglose Lage geraten,“ erklärt Veit Buttler, Beauftragter für Ausländer- und Flüchtlingsarbeit im Kirchenkreis Stormann. „Extrem verkürzte Fristen, Drittstaatenregelung und ein verengter juristischer Verfolgungsbegriff haben dazu geführt, daß für viele nur noch die Zuflucht ins Kirchenasyl bleibt“, so Buttler.

Für viele engagierte Christen leitet sich der Auftrag, den bedrohten Fremden zu helfen, direkt aus der Evangeliumsbotschaft ab. „Wenn ein Fremdling bei Euch wohnt, den sollt Ihr nicht bedrücken, er soll bei Euch wohnen wie ein Einheimischer und Du sollst ihn lieben wie Dich selbst,“ heißt es schon im Alten Testament.

Die offizielle Kirche tut sich mit diesem göttlichen Auftrag offenbar schwer. Im September vergangenen Jahres verabschiedete der „Rat der Evangelischen Kirche“ (EKD), das oberste Kirchengremium der Protestanten, „zehn Thesen zum Kirchenasyl“. Darin ist zwar von einer „christlichen Beistandspflicht“ die Rede, „die Legitimität der Rechtsnormen“ solle durch diesen Beistand aber “nicht in Frage gestellt werden“. Wer „Hilfe in rechtswidriger Form, etwa durch Verstecken von Ausländern vor den Behörden“ gewähre, dürfe dabei „nicht die Kirche als handelnde oder verantwortliche Institution in Anspruch nehmen“. Vielmehr müsse er sein Tun „allein verantworten und die Folgen seines Handelns selbst tragen“.

Viele engagierte Christen waren von der Halbherzigkeit ihrer Kirchenoberen enttäuscht. Wie andere Landeskirchen verabschiedete auch die nordelbische Kirche (NEK) eine eigene Erklärung zum Kirchenasyl. Für Christel Seiler, die zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern in der Jubilate-Gemeinde in Öjendorf Flüchtlinge im Kirchenasyl betreute, geht jedoch auch diese Erklärung nicht weit genug. Sie wünscht sich eine „klare Stellungnahme, die den Konflikt mit dem Staat und seinem Vorgehen nicht scheut.“

Die kontroversen Standpunkte innerhalb der Kirche werden auch am Flüchtlingsbericht deutlich, den die Synode der Evangelischen Kirche, eine Art Kirchenparlament, verabschiedete. Darin werden die schematisierten Asylverfahren, die staatliche Abschiebepraxis und die unwürdigen Unterbringungsbedingungen deutlich kritisiert. Für den Lübecker Bischof Karl Ludwig Kohlwage läßt der Bericht „nur den Schluß zu, daß das Recht auf Asyl in unserem Land angetastet ist.“ Die Frage, „ob politisch Verfolgte und Flüchtlinge tatsächlich Schutz finden, muß auf berechtigten Zweifel stoßen“, schreibt Kohlwage in seiner Einführung zum Synodenbericht.

Für den Flüchtlingsbeauftragten der Nordelbischen Kirche, Helmut Frenz, ergibt sich der Auftrag zum Schutz von Flüchtlingen nicht nur aus dem Evangelium, sondern auch aus dem Grundgesetz. „Wenn jemand an Leib und Leben bedroht ist, braucht man kein Christ zu sein, um sich schützend vor ihn zu stellen. Auf die Gewissensfreiheit nach Artikel 4 GG kann sich jeder berufen“, erläutert Frenz seine Philosophie zum Kirchenasyl. Außerdem habe die Kirche kein Privileg darauf, sich staatlichem Handeln entgegenzustellen: „Juristisch gesehen gibt es ohnehin kein Kirchenasyl. Wir haben lediglich den Vorteil, daß die Polizei sich scheut, in kirchliche Räume einzudringen.“ Frenz kann sich sehr gut vorstellen, daß auch nichtkirchliche Gruppen Flüchtlingen Asyl gewähren, wenn der Staat seine Schutzpflicht verletzt. „Warum können nicht auch Gewerkschafter, Bürgerinitiativen oder Prominente gefährdete Flüchtlinge schützen?“ fragt der Hamburger Pastor.

Auf dem Kirchentag wollen kirchliche und nichtkirchliche Flüchtlingsgruppen sich zusammensetzen, um sich über eine mögliche Ausweitung des Kirchenasyls auszutauschen. Angesichts des gestern ausgelaufenen Abschiebestops für Kurden kann die Asylgewährung schon bald wieder auf der Tagesordnung stehen.

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