Demonstrationen in Usbekistan: Aufstand in Karakalpakstan
In Usbekistan muss Präsident Mirzijojew nach Protesten mit mehreren Toten einlenken. Die Region Karakalpakstan darf ihren autonomen Status behalten.
Karakalpakstan ist eine autonome Region in Usbekistan und umfasst rund ein Drittel des Staatsgebietes. Unter den rund 1,8 Millionen Einwohner*innen – die Region ist die ärmste des Landes – sind die Karalkalpak*innen eine Minderheit. 1925 wurde Karakalpakstan als autonomes Gebiet innerhalb der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik gegründet, jedoch von 1930 bis 1936 von Moskau verwaltet. Im selben Jahr wurde die Region der Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik zugeschlagen.
1993, zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, einigte sich Karakalpakstan mit der Regierung in Taschkent über einen Verbleib in Usbekistan bis 2013. Danach sollten die Bewohner*innen über eine Unabhängigkeit von Usbekistan entscheiden können. Doch das Abkommen geriet in Vergessenheit.
Bis zum 26. Juni 2022. An diesem Tag wurde der Öffentlichkeit ein umfängliches Gesetzesprojekt für eine Verfassungsreform vorgelegt, das in Usbekistan stattfinden soll. Insgesamt geht es um rund 200 Änderungen. Eine davon betrifft die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre. Der derzeitige Staatschef Mirzijojew, der den autokratischen Langzeitherrscher Islam Karimow beerbt hatte und sich als Reformer gibt, ist seit 2016 im Amt. 2021 wurde er mit über 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt.
Mit Granaten gegen Demonstrierende
Unter dem Radar der Öffentlichkeit, so glaubte die Staatsmacht zumindest, sollten bei der Verfassungsänderung auch gleich noch die Vorschriften einkassiert werden, die ein gewisses Maß an Souveränität für Karakalpakstan festschreiben – einschließlich des Rechts auf Austritt aus dem usbekischen Staatsverband, sollte die Bevölkerung per Referendum mehrheitlich dafür stimmen.
Am vergangenen Freitag wurde in Nukus, der Hauptstadt Karakalpakstans, der Aktivist und Jurist Dauletmurat Taschimuratow festgenommen, der für den 5. Juli zu friedlichen Protesten aufgerufen hatte. Sicherheitskräfte gingen mit Blendgranaten, Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstrierenden vor.
Einen Tag später waren die Verantwortlichen für die Unruhen schnell ausgemacht: eine „kriminelle Gruppe von Einzelpersonen“, die den Verstand der Bürger manipuliert und versucht habe, Verwaltungsgebäude zu besetzen, um die Gesellschaft zu spalten sowie die politische Situation in Usbekistan zu destabilisieren, heißt es in einer Erklärung der Behörden, aus der das russische Nachrichtenportal Meduza zitiert.
Am Samstag machte Präsident Mirzijojew in Karakalpakstan seine Aufwartung und deutete einen Rückzug an. Gleichzeitig wurde der Ausnahmezustand über die Region verhängt, der bis zum 2. August gelten soll. Am Montag wurden erste Opferzahlen bekannt: Demnach sollen bei den Protesten mindestens 18 Menschen getötet und 243 verletzt worden sein. 516 Protestierende seien festgenommen worden, berichtet das russischsprachige Portal Nastojaschee Vremja.
Angst vor Krim-Szenario
Derweil rätseln Fachleute über das Motiv, auch Karakalpakstan zum Gegenstand des Verfassungsreferendums zu machen. Die Staatsmacht glaube, dass Autonomie gleichbedeutend mit Separatismus sei. Sie fürchtet, der Kreml könnte den Fall der Krim als Beispiel nehmen, um auch in Richtung Zentralasien aktiv zu werden, zitiert Nastojaschee Vremja den usbekischen Politologen Rafael Sattarow.
Ob der Rückzieher die Gemüter beruhigt, ist fraglich. Auf jeden Fall werde das Referendum, so ein Aktivist zu dem Nachrichtenportal eurasia.net, als Tag des Begräbnisses der Menschen der Republik Karakalpakstan in Erinnerung bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau