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Demonstrationen gehören zum Ritual

■ betr.: „Jiang Zemin nach USA- Reise happy“ (Chinas Staats- und Parteichef verspricht nebulös De mokratie, sein Außenminister rückt selbstkritisch verstandene Äußerungen zurecht), taz vom 4.11. 97

[...] Jiang antwortete mit seiner sehr allgemein gehaltenen Selbstkritik einer Fragestellerin, die ihn anläßlich seines Besuches in der Harvard-Universität fragte, warum man in Beijing Panzer über Demonstranten habe fahren lassen. Sein charakteristisch maskenhaftes Lächeln wurde dabei noch ein Stückchen verkrampfter.

Der Zusammenhang zwischen Selbstkritik und dem Massaker war dann eine Frage der Interpretation, also auch westliches Wunschdenken. Ein schönes Schulbeispiel für kognitive Dissonanz sogar im professionellen Journalismus, der hört, was er hören will und den Geschäftskunden das Gewissen erleichtert.

Diese kognitive Dissonanz wurde auch noch aktiv und akademisch gepflegt: In Harvard durften nur vorselektierte Fragen gestellt werden. Auch hier paßt sich der Westen an, damit keine unangenehmen Wahrnehmungen das Geschäft stören. – Im Harvard-Wappen an Jiangs Rednerpult stand „Veritas“.

Demonstrationen gehören zum Ritual und helfen dem Geschäft inzwischen schon als Feigenblatt. Heute zählt ja auch Business- Ethics. Demonstrationen sind daher Dekoration, die keinen mehr wirklich stört. Man erträgt sie wie das Hintergrundgedudel im Supermarkt und ist ansonsten Realist. (Und Realisten im Handel gab es auch schon vor 1933.) In Harvard sagte Jiang, er höre zwar die Demonstranten, würde aber einfach lauter sprechen. Götz Kluge, Andover/München

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