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Demokratisches Schaufenster in Schwarzafrika

Am 28.Februar finden in Senegal Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt / In dem westafrikanischen Land hat die Demokratie Wurzeln geschlagen  ■ Aus Dakar Knud Petersen

Unermüdlich dröhnen die tam- tam, seit Stunden schon warten die Einwohner Palmarins auf „ihren“ Präsidenten Abdou Diouf. Sie warten ohne Ungeduld, etwa zweihundert Menschen, die sich auf dem kleinen Platz vor der Dorfkirche die Zeit vertreiben: Zwischen johlenden Kindern tanzen in knallfarbige Tücher gehüllte Frauen, während die Männer wieder und wieder die „Organisation“ der kleinen Ehrentribüne überprüfen, hier und da noch einen Stuhl zurechtrücken und sich ansonsten bestätigen, was schon mit weißer Farbe auf dem Brunnenrand geschrieben steht: „Palmarin hat sich entschieden: für Abdou Diouf, den Sieger“. Der hält denn auch zu guter Letzt seinen triumphalen Einzug, das Ehrenspalier skandierender T- Shirt-Träger und frenetischer Griots hat er sich vorsichtshalber selbst mitgebracht.

Die besoldeten Lobredner der Tradition und die ebenso weitschweifigen Honoratioren der Lokalpolitik bestreiten im wesentlichen die Wahlveranstaltung. In langen Tiraden erinnern sie an den Dorfbrunnen und die Mühle, die Palmarin „Abdou verdankt“. Unerwähnt bleiben auch nicht die 60 Schulbänke, die Elisabeth Diouf schon vor drei Jahren gestiftet hat. „Insofern die erste Dame des Landes aus dem Nachbardorf stammt, fühlen wir uns dem Präsidenten ganz nahe“, erklärt mit gravitätischem Ernst ein älterer Herr. Unterdessen ist der folkloristische Prolog zu Ende gegangen, und Abdou Diouf spricht auf dem Kirchplatz von religiöser Toleranz. Bald wechselt er vom Französischen in die Landessprache Wolof: nur so hat er in der Tat eine Chance, von jener Mehrheit verstanden zu werden, der er nun Außenmbordmotoren für ihre Pirogen verspricht. „Inch Allah“, mit Gottes Hilfe, fügt er mit religiöser Weisheit hinzu.

Politische Freiheiten

Zwischen den unförmig verästelten Baobab-Bäumen ist die Autokaravane des Präsidenten lange schon in der Savanne verschwunden, aber ganz Palmarin ist noch immer auf den Beinen: tanzend und singend. „Wumb“ – was soviel wie „heitere Betriebssamkeit“ bedeutet – ist die Hauptsache einer Wahlkampagne, in der Radio und Fernsehen eine sehr viel unbedeutendere Rolle spielen als der menschliche Kontakt. Und selbst in Palmarin, dessen Bürgermeister kaum eine Stunde zuvor „geschworen“ hat, daß „wir hier hundert Prozent für Diouf sind“, finden sich Bewunderer Abdoulaye Wades, dem wichtigsten Herausforderer des amtierenden Präsidenten. „Wenn der redet, wird mir ganz heiß“, gibt einer von ihnen zu. „Mit ihm als Präsidenten soll der Reis nur die Hälfte kosten“. – Warum er gleichwohl nicht für ihn stimmen will? „Das gibt Ärger im Dorf.“ Vier Präsidentschaftkandidaten, 720 Anwärter auf 120 Parlamentssitze und insgesamt 17 Parteien in einem Lande, das kaum 7 Millionen Einwohner zählt – Demokratie im Senegal hat nichts mit jener Wahlfarce gemein, die man aus anderen afrikanischen Ländern kennt. Hier wird kein ehemaliger Sergeant plebiszitiert, der sich vor Jahrzehnten an die Macht geputscht hat, und kein Ein-Parteien-Staat damit gerechtfertigt, daß andernfalls die „nationale Einheit“ gefährdet sei. Der Senegal hat sich – wie man hier so treffend sagt, – für „integralen Pluralismus“ entschieden, und die demokratische Spielregel im Mehrparteienstaat ist als Norm nationaler Konsens. Das ist mehr als man anderswo auf dem Kontinent für die nächste Generation zu hoffen wagt, und die Senegalesen können mit gutem Recht stolz auf ihre politische Freiheit sein, was freilich nicht bedeutet, daß das politische Alltagsgeschäft durch und durch demokratisch wäre.

Der amtierende Präsident Abdou Diouf wird ohne Zweifel auch nach dem 28. Februar die Geschicke des Landes bestimmen und seine „sozialistische Partei“ über eine solide Mehrheit im Parlament verfügen. Dafür sorgt schon die soziale Schwerkraft der Macht: der verfügbare Staatsapparat mit seinem obrigkeitsorientierten Beamtenheer, die seit zwanzig Jahren eingenisteten Parteigänger der Herrschaft und – vor allem – die religiösen Führer des Landes, die von der Höhe zahlloser Minarette die bindende Wahlentscheidung für ihre Gläubigen verkünden.

Hirtenbrief des Kalifen

Im heute zu über 90 Prozent islamisierten Senegal spielen vor allem zwei religiöse Bruderschaften eine für die Massen der Landbevölkerung ausschlaggebende Rolle: die aus Nordafrika übergreifende Tidjanesekte und die Muriden, deren spirituelles Zentrum die senegalesische Pilgerstadt Touba ist.

Am 13.Oktober feierten die senegalesischen Muriden den hundertsten Jahrestag ihrer Bruderschaft und das sechzigste Todesjahr ihres 1927 verstorbenen Gründervaters Amadou Bamba. Anläßlich einer gigantischen Pilgerfeier verkündete der heute regierende Kahlif Abdoul Ahad Mbacke seine Wahlentscheidung für Abdou Diouf als ndigel, d.h. als verbindlich für alle Gläubigen. „Damit waren die Wahlen gelaufen“, kommentiert ein Oppositionspolitiker, der sich gegen „diese Vergewaltigung des staatsbürgerlichen Gewissens“ ereifert. Ohne Zweifel zu recht. Aber gehört nicht anderswo, beispielsweise in den katholischen Demokratien Europas, der unmißverständliche Hirtenbrief der Bischöfe ebenfalls zum Wahltag?

Mag die Kirche im Himmel auch mit den Demütigen sein, auf Erden steht sie im Zweifelsfall noch immer auf Seiten der Macht. Das gilt auch im Senegal und erklärt, warum die Muriden den amtierenden Präsidenten unterstützten, obgleich er zur Tidjane-Bruderschaft gehört und sein bestplazierter Herausforderer, Abdoulaye Wade, Muride ist. Die Entscheidung des Kalifen ist eben eine Frage weltlicher Ordung – und nicht jenseitigen Glaubens.

Die Opposition ist allzusehr auf die Frage des Machtwechsels fixiert. Das kann man sicher verstehen. Da es keine Demokratie ohne gesellschaftlichen Pluralismus gibt, sollte die Opposition – zumindest in einer ersten Phase – die Freiheitsrechte der Gesell schaft verteidigen, statt zum Angriff auf die Staatsmacht zu blasen. Das ist die Meinung eines Außenseiters, der freilich weiß, wovon er redet: Bevor er sich von der Politik ins Geschäftsleben zurückzog, war Fara Ndiaye 14 Jahre lang Generalsekretär der wichtigsten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Senegal. Gemeinsam mit Abdoulaye Wade hat er sie 1974 gegründet und damit eine Alternative zum Ein-Parteien-Staat geschaffen, zu dem der Senegal unter Leopold Sedar Senghor, dem „Philosophen an der Macht“, geworden war.

Warum nun hat sich ausgerechnet im bettelarmen Senegal ein autokratisches Präsidialregime zur pluralistischen Demokratie gemausert? Möglich gemacht haben diese Entwicklung die politische Kultur des Landes, die Persönlichkeit Senghors und die unverbrüchliche Loyalität der senegalesischen Armee.

Was immer heute die senegalesische Jugend vom Vater der Negritude halten mag, Leopold Sedar Senghor hat selbst für seine Kritiker annehmbare Geschichte gemacht: Als erster Staatspräsident Afrikas ist er am 31.Dezember 1980 freiwillig abgetreten, nachdem er Ende der siebziger Jahre bereits drei Oppositionsparteien zugelassen hatte. Damit waren die Weichen gestellt für eine Entpersonalisierung der Macht und eine demokratische Öffnung, der sich sein Nachfolger Abdou Diouf umso weniger entziehen konnte, als er nicht mehr über die Aura eines Vaters der Unabhängigkeit verfügt. Rund 30 Jahre nach dem Ende der Kolonialherrschaft hat der Senegal damit beispielhaft den überall in Afrika ablaufenden politischen Generationswechsel vollzogen.

Ist der Senegal darum die afrikanische Probe aufs Exempel wirklicher Demokratie? Das jedenfalls glauben entmündigte Bürger vor allem im frankophonen Afrika. Für sie ist ein Traum, was ihren Herrschern als Alptraum erscheint. Als zum Beispiel im vergangenen Jahr Abdou Diouf den französischen Premierministerd Chirac im offenen Wagen vom Flughafen nach Dakar begleitete, waren die Straßen von Jugendlichen gesäumt, die ihrem vorbeifahrenden Präsidenten „sopi, sopi“ zuriefen, den Schlachtruf der Opposition für einen Wechsel an der Macht. In Kinshasa, Lome und Abidjan hätte die Armee die Straßen geräumt. Im Senegal hingegen gehört das zum Lehrstück Demokratie, auf das sich die Bürger eines armen Landes verständigen – unter anderem, weil sie sich mit solch anderer Politik wirtschaftliche Unterstützung sichern können.

Die ausgehaltene Demokratie

Schon lange haben der ehemaligen Hauptstadt ganz Französisch Westafrikas nämlich wirtschaftlich prosperierende Städte wie Abidjan den Rang abgelaufen. Mit knapp sieben Millionen Einwohnern auf 200.000 Quadratkilometern versandeten Bodens hat der Senegal kaum mehr zu bieten als Erdnüsse, die zur Kolonialzeit geförderte Mono-Kultur: Die senegalesische Regierung kauft heute die Produktion der Kleinbauern zum doppelten Marktpreis auf. Um ein bescheidenes Budget von knapp 2,4 Milliarden Mark zu finanzieren, wird daher der Reis dreimal teurer verkauft als in den Nachbarländern: Diese heillose Situation wird vor allem von Frankreich und den Vereinigten Staaten finanziert – der Westen kann es sich kaum leisten, sein demokratisches Schaufenster in Afrika wie ein Armenhaus zu präsentieren.

Am 28.Februar steht nicht die Macht in Senegal, wohl aber die Glaubwürdigkeit seines demokratischen Experiments auf dem Spiel. Wenn die Opposition, die bislang nur über neun der 120 Parlamentssitze verfügt, keinen größeren Freiraum gewinnt, wird sie zu außerparlamentarischen, extremen Mitteln greifen: Im Vorgriff auf eventuelle Wahlfälschungen verkündet der Volkstribun Abdoulaye Wade bereits heute, seine Anhänger könnten die Wahlbüros, das Nationale Radio und das Innenministerium besetzen – ein Szenario, das Bürgerkriegsängste heraufbeschwört und umso aberwitziger ist, als mangels politischen Spielraums kaum realpolitische Unterschiede zwischen Regierung und Opposition bestehen.

Aber fehlen einer Bevölkerung, die zu siebzig Prozent von landwirtschaftlicher Subsistenzwirtschaft lebt, nicht überhaupt die Bildungsvoraussetzungen zu demokratischer Mündigkeit? Auf diesen Felsen gründet sich autoritäre Herrschaft im unterentwickelten Afrika. Im Senegal aber höhlt diesen Felsen der stete Tropfen demokratischer Erfahrung.

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