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■ Demokratie und AtomstaatDem Wendland ein Vetorecht

Der Transport von Atommüll ins Wendland hat immer weniger mit Atompolitik und immer mehr mit Demokratie zu tun. Hat eine Region, die sich von politischen Entscheidungen der Zentralregierung existentiell bedroht fühlt, eine Vetorecht? Wenn ja, unter welchen Umständen? Oder andersherum, hat eine Regierung das Recht, mit zigtausend Polizisten einen Ausnahmezustand über eine Region zu verhängen? Wenn ja, unter welchen Umständen?

Leichten Herzens lassen sich diese Fragen nicht beantworten. Die Entscheidung, Atommüll im Wendland zu lagern, ist zumindest formaldemokratisch legitimiert. Und ein prinzipielles Vetorecht der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt oder Region gegen solche Entscheidungen könnte dazu führen, daß jede Verantwortung für die ganze Gesellschaft nach dem Sankt-Florians-Prinzip abgewehrt wird: Asylbewerberheime und Knäste – nicht bei uns.

Das Vetorecht, das die Wendländer für sich beanspruchen können, hat aber eine erheblich weiter reichende Legitimation. Der politische Entschluß, Atommüll ins Wendland zu schaffen, kann nicht damit gerechtfertig werden, daß andere Mehrheiten, eine andere Regierung ihn nach den nächsten Wahlen rückgängig machen können. Weil im Wendland gleichzeitig eine Zwischenlagerung von Atommüll praktiziert und eine Endlagerung für die nächsten Jahrtausende geprüft wird, ist die Behauptung, es handele sich um eine demokratische, da rücknehmbare Entscheidung, schlicht unglaubwürdig. Die Bürgerinnen und Bürger im Wendland sehen, es geht schon heute um die kommenden 300 Generationen. Das macht ihren Widerstand so verbissen, und das macht ihn mehrheitsfähig. Ein demokratischer Staat, der langfristige Entscheidungen für eine Region vorbereitet, kann sich dafür nicht auf seine Legitimation bis zur nächsten Wahl berufen.

Die Breite der Proteste gegen den Castor zeigt überdeutlich: Es geht nicht darum, nach Recht und Gesetz atomaren Abfall an einen Ort zu bringen. Die eigentliche Herausforderung ist, ein legitimes Verfahren für staatliches Handeln zu finden, das weit über die nächsten Legislaturperioden hinausreicht. Ein Vetorecht für die Wendländer ist der erste Schritt dahin.

Die Proteste gegen die Castoren bieten so gesehen die Chance für einen ungeahnten politischen Lernprozeß. Mehr Demokratie statt mehr Polizei. Bundesregierung und Landesregierung können die regelmäßig bemühte freiheitlich-demokratische Grundordnung in dieser Woche tatsächlich einen Schritt weiterbringen. Allein es sieht nicht so aus, als ob sie das begriffen hätten. Hermann-Josef Tenhagen

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