Demokratie in Gefahr in den USA: Der zweite Bürgerkrieg

Wie kann man die drohende Revolution zur Überwindung der US-amerikanischen Demokratie stoppen? So hart das klingen mag, aber es braucht die sichtbare Bereitschaft, sie mit „militantem Humanismus“ zu verteidigen.

Im Januar 2021 stürmen Trump-Anhänger das US-Kapitol Foto: dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 17.01.2023 | Die Wahl von Kevin McCarthy zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses ist bekanntlich erst im 15. Wahlgang gelungen. Erst da hatte er die republikanischen Mehrheit hinter sich gebracht. Das war kein in Demokratien gelegentlich vorkommender Streit- und Einigungsvorgang. Es ist ein Beleg für die Entschlossenheit der Republikaner, die amerikanische Demokratie mit allen Mitteln zu demontieren, auch mit einer offenen Revolte. McCarthy und seine Kritiker vom rechtsradikalen „Freedom Caucus“ haben nämlich bei den Inhalten gar keine Differenzen. Lediglich beim angestrebten Übergang zu offen revolutionärem Vorgehen gibt es Unterschiede.

Die Republikaner haben ihr Programm in der Sprache und im Gestus Donald Trumps weiter befestigt. Übereinstimmend leugnen sie den Klimawandel, wollen mit Steuersenkungen die Macht der Zentralregierung massiv einschränken und damit jede Gesundheits- und Sozialpolitik abschaffen, die Lasten umverteilend. Sie wollen die Regierungsmacht der Einzelstaaten prinzipiell unabhängiger von Washington organisieren. Sie wollen die Vorherrschaft christlicher Religionen und evangelikaler Sekten rechtlich absichern. Sie schränken mit Wahlkreismanipulationen das freie Wahlrecht ein, vor allem von Schwarzen und anderen Minderheiten, sie treiben die Politisierung der Justiz voran, sie wollen ein uneingeschränktes Abtreibungsverbot durchsetzen, die Homo-Ehe und den queeren Lebenskodex rückabwickeln und Einwanderung mit repressiven Mitteln unterbinden. Sie wollen die weltweite Unterstützung demokratischer Länder in Krisensituationen, wie im Moment die der Ukraine, sofort einstellen und überhaupt alle Verpflichtungen aus den Bündnissen mit den westlichen Demokratien aufkündigen.

Dieses konservativ-revolutionäre Programm schließt immer offener Kompromisse aus und setzt auf einen Umsturz der politischen Machtstrukturen. Die Republikaner behaupten, die Demokraten seien verkappte Kommunisten, die die amerikanische Freiheit in einer von ihnen dominierten sozialistischen Diktatur versenken wollten. Das wird aber nicht von einer breiten Mehrheit als absurd und antidemokratisch abgetan, sondern mindestens die Hälfte aller Amerikaner trägt dieses Programm aktiv mit. Diese Leute leben in ihrer großen Mehrheit in den Parallelwelten der sozialen Medien. Sie nehmen die komplexen Herausforderungen, in denen sich die zivilisierten Demokratien heute bewähren müssen, gar nicht mehr wahr.

Mit den bewaffneten „Proud Boys“ und den „Qanon“-Verschwörern, die unter der Schirmherrschaft von Trump vor zwei Jahren den Sturm auf das Kapitol organisiert haben, sind in den USA paramilitärische Strukturen entstanden, die für einen Umsturz bereitstehen. Nicht zu vergessen, dass die freie Verfügbarkeit von Waffen zu einer fast durchgängigen Bewaffnung von Anhängern der Republikaner geführt hat.

Wer den parteiinternen Kritikern von McCarthy in der tagelangen Wahlprozedur im Repräsentantenhaus zugehört hat, der musste konstatieren, dass sie auf jeden Anschein demokratischer Würde, auf Selbstbeschränkung und Verantwortung für das Ganze scheißen. Im Herzraum der amerikanischen Demokratie haben sie ihren Hass auf die Demokratie ohne substantiellen Widerspruch vorgetragen und ihre Forderungen zur Verschärfung ihres Kampfes im Arbeitsalltag des Repräsentantenhauses per Erpressung McCarthys durchgesetzt.

Zum Äußersten bereit

Diese Republikaner, und das ist jetzt der entscheidende Punkt, spielen eben nicht Rollen in einer mediengerecht inszenierten Aufführung, die sie an die Macht im Weißen Haus führen soll. Rollen, die sie im Erfolgsfall wieder ablegen könnten – demokratischer Machtkampf eben, wie wir ihn gewohnt sind. Nein, diese Republikaner verstehen ihren Angriff auf die amerikanische Demokratie im vollen Bewusstsein der Folgen für die amerikanische Gesellschaft als revolutionären Prozess und sind zum Äußersten bereit. „Patria o Muerte“, wie Che Guevara zu sagen pflegte: „In einer Revolution siegt man oder man stirbt.“

Die Demokraten reagieren auf diese Zumutung mit Gelassenheit und Würde. Sie sind über ihre inneren Gegensätze hinweg zusammengerückt. Sie haben sich in keinem Moment von der revolutionären Rhetorik der Republikaner provozieren lassen. Sie vertrauen offenbar der einenden Kraft der demokratischen Prozeduren und verlassen sich auf die Verankerung der Demokratie in der amerikanischen Gesellschaft.

Allerdings kann diese Gelassenheit auch ein Ausdruck von blindem Selbstvertrauen sein. Wenn die Demokraten die faktische Herausforderung der Demokratie durch die revolutionäre konservative Politik nicht verstehen, dann laufen sie Gefahr, in einem ausbrechenden Aufstand mit der Demokratie unterzugehen. Ein solches Aufstandsszenario ist nicht völlig auszuschließen und braucht deshalb eine klare und schnelle Antwort.

Die Demokraten müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Vertrauen in die selbstreinigenden Kräfte demokratischer Kultur allein selbst die 200 Jahre alte Mutter der westlichen Demokratien nicht vor einem revolutionären, konservativen Putsch bewahren kann. So hart das klingen mag, aber es braucht die Bereitschaft der Demokraten, wenn es erforderlich wird, auch in einem zweiten Bürgerkrieg eine demokratische Zukunft der USA zu verteidigen und neu zu begründen. Mit einem solchen Sieg der Demokraten könnte dann das Verbot jeden privaten Besitzes von Waffen, die Entwaffnung aller amerikanischen Bürger und deren Verpflichtung allein auf demokratische Prozeduren und Verfahren durchgesetzt werden.

Es mag in unserem gewohnten Denken durchgeknallt erscheinen, solche Überlegungen anzustellen. Aber die jüngsten Ereignisse in Brasilien, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und das Voranschreiten illiberaler Parteien und Machtgruppen in den westlichen Demokratien geben der Forderung von Thomas Mann nach einem „Militanten Humanismus“ eine neue Aktualität. Thomas Mann hat 1936 aus dem amerikanischen Exil heraus verlangt, dass der Humanismus lernen müsse, im Harnisch zu gehen. Er müsse lernen, nach der Erkenntnis zu handeln, dass „die Freiheit kein Freibrief für diejenigen sein kann, die nach ihrer Vernichtung trachten“.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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