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Demo gegen Demo keine Gegendemo

■ Verfassungsgericht: Wer auf Kundgebung gegen deren Inhalte protestiert, genießt Versammlungsfreiheit

Freiburg (taz) – Wer sich von einer CSU-Kundgebung zur Unterstützung des Golfkriegs provoziert fühlt und mit einem Transparent antwortet, auf dem „Kein Blut für Öl“ steht, macht sich nicht strafbar. Das entschied das Karlsruher Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem gestern veröffentlichten Beschluß.

Urteile des Amtsgerichts Rosenheim und des Bayerischen Obersten Landesgerichts wurden damit Makulatur. Die bayerischen StrafrichterInnen hatten im Hochhalten der Transparente eine Straftat gesehen und dies als nicht angemeldete Gegendemonstration gewertet.

„Frieden ja, aber nicht um jeden Preis“ war das Motto der CSU-Kundgebung, auf die der 51jährige Lehrer Peter Stichaner im Februar 1991 beim Einkaufsbummel in Rosenheim traf. Auch einige Friedensbewegte waren dort vertreten. Weil sie mehr Transparente bei sich hatten, als sie Leute waren, baten sie Lehrer Stichamer um Mithilfe, die dieser gern gewährte. Als der örtlichen Polizei klar wurde, daß die beschrifteten Tücher wohl nicht ganz dem Kundgebungsmotto entsprachen, fühlte sie sich zum Eingreifen verpflichtet. Stichaner verweigerte daraufhin die Angabe seiner Personalien, worauf er mit einem Bußgeld in Höhe von 100 Mark belegt wurde. Gegen diesen Bußgeldbescheid klagte der grundrechtsbewußte Lehrer jetzt erfolgreich durch alle Instanzen.

Nach Auffassung des wie gewohnt grundrechtsfreundlichen Ersten Senats des BVerfG sind auch diejenigen VersammlungsteilnehmerInnen vom Grundrecht der Demonstrationsfreiheit (Art. 8 GG) geschützt, die den in einer Versammlung verkündeten Meinungen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies „mit kommunikativen Mitteln“ zum Ausdruck bringen.

Die Zulässigkeit des kommunikativen Protests endet allerdings, wo der Bestand einer Versammlung nicht mehr akzeptiert wird und es vielmehr um die Verhinderung der Kundgebung geht. Wie kollektives Buhen, Pfeifen oder Trommeln im Einzelfall zu werten ist, wird sicher noch viele Gerichte beschäftigen. Klar ist jedoch, daß der gestern bekanntgemachte Beschluß den einzelnen Demonstrierenden gegenüber der Versammlungsleitung stärkt. „Es werden eben nicht nur die Claqueure geschützt, sondern auch derjenige, der den öffentlichen Raum einer Versammlung zur offenen Auseinandersetzung nutzen will“, freut sich Stichaners Anwalt Frank Niepel aus München.

Der gestern veröffentlichte Beschluß stärkt die BürgerInnen auch in ihren Rechten gegenüber der Polizei. Diese kann zwar die Personalienfeststellung mit Zwangsmitteln durchsetzen, wenn sie glaubt, dazu berechtigt zu sein. Wird im Falle der Weigerung aber ein Bußgeld verhängt, so ist vor Gericht nicht der Horizont der Polizei, sondern die wirkliche Rechtslage zugrunde zu legen. War das Auskunftsersuchen also unrechtmäßig, so droht letztlich auch kein Bußgeld. Das Risiko allerdings, ob auch die Gerichte der eigenen Rechtsauffassung folgen, trägt trotzdem jedeR selbst. Christian Rath

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