: Dem Zeitgeist folgend
■ betr.: „Armeen im Umbruch“, Eurotaz vom 13.8.94
Zwei Seiten Eurotaz für Eurokorps, ganz europäisch, dem Zeitgeist folgend, ohne „eine gewisse pazifistische Diskussion“! Letztere ist ja bekanntlich „out“ und verkauft sich offenbar nicht mehr so gut wie in den achtziger Jahren, Out of area dagegen ist „in“ und dazu noch humanitär. Da will auch der nach Höherem strebende Ober-Realo Fischer nicht widersprechen, in diesem Punkt also Schwarz-Rot-Grün für Schwarz- Rot-Gold.
Selbstverständlich kommt nur ein „Einsatz im europäischen Interesse“ in Frage, alles andere ist Definitionssache. Natürlich spielt auch das neue Großdeutschland bei diesem euro-machtpolitischen Poker gerne mit. „Gegen Isolationismus“, frei nach der Devise: Wir machen das, was alle machen (nur ein bißchen besser), und: was alle machen, kann nicht falsch sein. Während sich die Belgier bereits „Überall einsatzfähig und einsatzbereit“ zeigen, in Frankreich die Fremdenlegionäre „Die Lieblinge der Nation“ sind und auch in Polen sich „Immer mehr Kompetenzen für die Militärs“ ergeben, tut sich die deutsche Öffentlichkeit mal wieder schwer mit ihrem Militär. Umständlich müssen hier zunächst einmal vollendete Tatsachen geschaffen werden (zum Beispiel Wiedereinführung des Generalstabes, Entmachtung der bis 1990 jeweils unabhängigen drei Inspekteure der Teilstreitkräfte zugunsten einer Person, der des Generalinspekteurs). Anschließend werden diese mit schönen Worten als Sachzwänge unters Wahlvolk gebracht, bevor sie schließlich von den Richtern und Parlamenten (Reihenfolge auswechselbar) auf eine solide Rechtsgrundlage gestellt werden (in memoriam Out of area).
„Frieden ohne Waffen? Die Zeit ist nicht reif“ stellt einer der Kommentatoren, „geläutert durch die Ereignisse der jüngsten Zeit“ (Slowenien), fest. Anderes war für ihn offenbar lediglich akzeptabel, solange „Kriege nur in Afrika und Asien geführt werden, nicht jedoch in Europa“. Dieses Verständnis eines Pazifismus erschöpft sich in der Beschreibung der Realität. Jede Art von Fortschritt, auch der Weg zum wirklichen Frieden, benötigt aber neben dem Wissen des Ist- Zustandes eine Zielvorgabe, eine Vorstellung dessen, was sein soll! In diesem Sinne ist die Zeit überreif für die ernsthafte Erforschung nichtmilitärischer Konfliktlösungsstrategien, denn ebensowenig, wie mit dem Verschwinden des Warschauer Paktes die Gefahr eines vermeintlichen Krieges gebannt war, lösten sich die Argumente gegen jede Art von Krieg in Luft auf. Gewalt erzeugte schon immer Gegengewalt, und diese Spirale der Angst kann im Atomzeitalter schnell zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen. Angesichts eines drohenden atomaren Holocausts und der stetig steigenden Zahl von Krisenherden in aller Welt ist die Suche nach Alternativen zu militärischen „Lösungen“ keineswegs nur eine luxuriöse Spinnerei, sondern möglicherweise der einzige Weg zum langfristigen Überleben in Würde und Freiheit. Dieser Weg ist neu und noch nicht so ausgetreten, bei genauem Hinsehen erkennen wir aber blasse Spuren: Einzelpersonen wie Gandhi und Gorbatschow haben ihn schon ein gutes Stück weit erkundet. Wann haben wir den Mut, ihnen zu folgen? Bernd Höppner, Freiburg
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