Dekommunisierung in der Ukraine: Mutter Heimat wird Mutter Ukraine
Neues Wappen, neuer Name: Die Statue „Mutter Heimat“ wird zum Unabhängigkeitstag der Ukraine am 24. August von sowjetischen Bezügen befreit.
Mit 62 Metern ist „Mutter Heimat“ die höchste Skulptur Europas und überdies knapp 16 Meter höher als die Freiheitsstatue in New York. Das gesamte Monument mit Sockel hat eine Höhe von 102 Metern und wiegt fast 500 Tonnen. Zu Füßen der „Mutter Heimat“ befindet sich das Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg. Das gesamte Ensemble soll am 24. August, dem 32. Unabhängigkeitstag der Ukraine, neu eröffnet werden. Das Museum wird dann Museum des Krieges für die Unabhängigkeit der Ukraine heißen, das Denkmal den Namen „Mutter Ukraine“ erhalten.
Dieser Wandel vollzieht sich im Rahmen der „Dekommunisierung“, der Tilgung aller an die Sowjetzeit erinnernden Denkmäler und Straßennamen, die 2015 in der Ukraine begann, nachdem Russland 2014 die Krim annektiert hatte. Nach dem 24. Februar 2022 wurde der Prozess beschleunigt.
Der Austausch des Wappens auf dem Schild kostete umgerechnet rund eine Million Euro. Die Gelder setzen sich aus Privatspenden zusammen. Hauptsponsor ist der Stahlkonzern Metinvest – ein Industrieriese, der dem bekannten Oligarchen und reichsten Mann in der Ukraine, Rinat Achmetow, gehört.
Krieg auch anhand von Symbolen ausgefochten
Dieser Aktion war eine Umfrage im vergangenen Jahr vorausgegangen. 85 Prozent der Befragten befürworteten den Ersatz des sowjetischen Wappens durch den Dreizack. Die Antwortmöglichkeit „Skulptur abreißen“ war nicht vorgesehen.
Befürworter des Austauschs des sowjetischen durch das ukrainische Wappen nennen als Grund unter anderem, dass der Krieg nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch anhand von Symbolen ausgefochten werde. Juri Sawtschuk, Direktor des Museums für die Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg, glaubt, dass durch den Dreizack auf dem Schild die gesamte Skulptur anders wahrgenommen werde. „Das ist keine sowjetische Frau mehr, sondern eine Ukrainerin, für die der Dreizack ein nationales Symbol ist“, sagt Sawtschuk.
Der Bildhauer Aleksei Pergamentschik, der den Dreizack gestaltet hat, ist der Ansicht, dass dieser besser zur „Mutter Heimat“ passe als das Wappen der UdSSR. „Die Skulptur zeichnet sich durch vertikale und ruhige Bewegungen aus, wie der Dreizack. Aber das sowjetische Emblem ist durch konzentrische Bewegungen charakterisiert. Die Skulptur ist nach Osten gerichtet, in Richtung Moskau, gegen das wir seit Jahrhunderten kämpfen. Ich denke, das war auch die Absicht des Bildhauers“, sagte Parchmenter dem Sender Deutsche Welle. Die Skulptur habe nichts mit der sowjetischen Tradition zu tun, da sie im Stil des monumentalen antiken griechischen Heldentums gestaltet worden sei.
Die Meinungen gehen auseinander
Übrigens: Die „Mutter Heimat“ haben ukrainische Bildhauer geschaffen. Zunächst arbeitete ein Bildhauer aus dem Dnipro, Ewgeni Wutschetitsch, der auch Urheber der „Mutter Heimat“-Skulptur im russischen Wolgograd ist, an ihrer Skizze. Doch er starb, bevor er die Arbeit abschließen konnte. Er wurde durch Wassili Borodai, einen anderen ukrainischen Bildhauer, ersetzt.
In der Ukraine gehen die Meinungen zur Dekommunisierung des Denkmals auseinander. Einige unterstützen die Umwidmung des sowjetischen Denkmals, andere schlagen vor, die Skulptur abzureißen, damit sie für immer aus dem öffentlichen Raum Kyjiws verschwindet.
Viele Künstler bezeichnen die Installation des Dreizacks auf dem Schild von „Mutter Heimat“ als „Fassadenwechsel“. Die Architekturhistorikerin Ekaterina Lipa ist verstimmt darüber, dass der Dreizack – ein nationales Symbol, das in der UdSSR bekämpft wurde – an einem „totalitären Werk“ angebracht wurde. Anstelle der Dekommunisierung erhalte die sowjetische Ideologie ein zweites Leben. Lipa schlägt vor, sowjetische Denkmäler an einem Ort zu sammeln und ein Museum der totalitären Vergangenheit der Ukraine zu schaffen.
Laut dem Historiker Wladimir Wjatrowitsch hat der Hauptfehler der Ukrainer nach 1991 darin bestanden, zu glauben, es sei nicht notwendig, einen neuen Staat aufzubauen, sondern nur die bestehende Sowjetrepublik in blauen und gelben Farben anzustreichen.
Der Bildhauer Pergamentschik ist der Meinung, dass das zerlegte Wappen der UdSSR für die Nachwelt erhalten und kopfüber in der Gedenkhalle zu Füßen der „Mutter Heimat“ aufgehängt werden sollte. „Symbole, die umgedreht werden, funktionieren nicht. Und sie müssen rot angestrahlt werden, um an das blutige Regime der UdSSR zu erinnern“, sagt er.
Aus dem Russischen: Barbara Oertel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge