Debütalbum von Eleanor Friedberger: Präzise Ponysträhnen
Altmodische Audio-CD: Eleanor Friedberger, Sängerin der Fiery Furnaces, lässt es auf ihrem Soloalbum "Last Summer" auch musikalisch konventionell angehen.
Geschwister in Popgruppen - das führt immer wieder zu schönen Geschichten. Ob das nun die doofen Gallaghers (Oasis) sind oder die finsteren Reids (Jesus & Mary Chain), die ungleichen Davies (Kinks) oder die archaischen Everlys (Don & Phil) - eine Betrachtung von Popmusik unter dem Aspekt von Familienproblematiken erweist sich oft als ausgesprochen substanzvoll.
Völlig unverständlich also, dass sich die Öffentlichkeit immer noch nicht mit der gebotenen Intensität um die Fiery Furnaces bemüht. Nicht nur, weil diese Gruppe aus der öden und repetitiven Welt des Indierock künstlerisch leuchtend heraustritt - sie liefert auch die interessanteren Storys. Jetzt zum Beispiel wieder: 2011 legten die Geschwister Friedberger (je 50 Prozent der Fiery Furnaces) ein Solo-Sabbatjahr ein. Der verrückte Multiinstrumentalist Matthew brachte eine Serie von acht Alben heraus, auf denen er jeweils nur ein Instrument spielt - natürlich nur auf Vinyl und das Gesamtwerk erhält nur der Subskribent.
Seine schöne Schwester Eleanor lässt es konventioneller angehen: "Last Summer" ist ihr einziges Soloalbum in diesem Jahr (und ihr erstes) und ist soeben ganz altmodisch als Audio-CD ohne Vinyl-Extras oder App-Schnickschnack erschienen. Konventionell ist auch das erste Wort, das einem zur Beschreibung der Musik einfällt - konventionell im Vergleich zu den Eskapaden des Bruders (und einigen der irreren FF-Projekte, etwa ein Album nur im Notendruck herauszubringen).
Textlich nahe dran, und dann doch augenfällig anders
Eine um Bläser verstärkte Rockbandbesetzung spielt Songs, die eigentlich nicht groß anders klingen als die Fiery Furnaces, wenn sie sich mal wieder entschließen, ein Popalbum zu machen. Auch textlich ist das nahe dran, und dann doch augenfällig anders. Zum Beispiel könnte man mehrere Songs von "Last Summer" in die Kategorie Beziehungsdrama einsortieren - bei den Fiery Furnaces hat man eher Mühe, überhaupt irgendeinen Sinn hinter den Wortkaskaden und merkwürdigen Namen und Orten zu erkennen.
Wobei Geografie bzw. Stadtpläne auch Eleanor zu faszinieren scheinen, wie Songtitel wie "Owls Head Park", "Roosevelt Island" und "Scenes From Bensonhurst" nahelegen. Ein weiteres Thema ist die Vergänglichkeit: Jahreszahlen spielen eine große Rolle - ein Song widmet sich dezidiert dem Jahr 2010 - und alte Fotos werden mehrmals herausgekramt und ausführlich kommentiert: "I only took one picture that day; its me on the bike / Posing next to a white Lamborghini on Manhattan Avenue / In front of that tiny, tiny restaurant where we had dinner and watched t.v. / It was hanging from the ceiling, in the corner; I strained my neck to see / Its the only photo I have of that bike on that day". Das Foto ist im Booklet zu sehen. Es zeigt tatsächlich einen älteren weißen Lamborghini mit einem eigentümlichen Fahrrad davor, womöglich eine jüngere Eleanor. Oder jemand anders. Man weiß es nicht.
Bei den Alben der Fiery Furnaces ist ja nie ganz klar, wie die Verantwortlichkeiten eigentlich verteilt sind: Nur auf "Widow City" wird präzise angegeben, dass Matthew die Musik zu allen und die Texte zu einigen Songs verfasst hat, während Eleanor den Rest der Texte schrieb. Meist heißt es schlicht: "All songs written by Friedberger & Friedberger." Diese spezielle, leicht selbstironische Loserdramatik, die oft über den FF-Texten liegt, scheint jedenfalls aus Eleanors Camp zu kommen, denn sie durchzieht auch "Last Summer", wo sie von Fehlern beim Bungee-Springen oder letalen Erdstößen berichtet, um nur zwei der Katastrophen zu nennen.
Insgesamt ergibt das ein schönes und präzises Popalbum, so schön und präzise wie Eleanors Ponysträhnen, die stets zwischen Augenbraue und -lid enden - wie sie das macht, ist auf einem ungewöhnlich intimen Foto auf der Bookletvorderseite zu besichtigen.
Eleanor Friedberger: "Last Summer" (Merge)
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