piwik no script img

DebatteEin Fall für dieGeschenkekiste

„Reparier‘ ich das nochmal oder schmeiß‘ ich‘s lieber gleich weg?“ Diese Frage stellt sich bei alten Fahrrädern, jungen Ehen und neuerdings auch bei CDU und CSU.

Erbarmt sich jemand? Foto und Montage: Joachim E. Röttgers

Von Cornelius W. M. Oettle↓

In den letzten Monaten wurde die Frage „Brauchen wir die Linke noch?“ in Artikeln ausreichender Zahl abschließend verhandelt und differenziert beantwortet. (Ergebnisse: „Nein!“, „Auf keinen Fall!“, „Was war nochmal ‚Die Linke‘?“) Während wir uns alle darauf geeinigt haben, dass wir Kommunisten, Marxisten und die anderen Ungeheuer aus dem roten Sumpf nicht länger benötigen im Angesicht des neoliberal ausgestalteten Kapitalismus und seiner überwältigenden Erfolge (Klimakatastrophe, Pflegenotstand, Elon Musk), fiel eine womöglich wichtigere Debatte unter den Tisch: Wenn wir die Linken bald los sind, haben wir dann überhaupt noch Verwendung für die Konservativen? Braucht es Batman, wenn der Joker aus der Welt ist? Was macht Tom, nachdem er Jerry gefressen hat?

Aus staatspolitischer Verantwortung will man rufen: „Selbstverständlich! Wir brauchen die Konservativen! Sie müssen die Brandmauer gegen die AfD errichten!“ Und das stimmt ja auch. Andererseits sind wir vermutlich gut beraten, uns in architektonischen Fragen nicht auf eine Partei zu verlassen, die den deutschen Reichstag mit dem georgischen Präsidentenpalast verwechselt.

Feierabendbiere und CDU-Stammtische

Linke und CDU sind sich im Grunde sehr ähnlich. Ein Satz, den ich schon immer mal schreiben wollte, um beide Seiten auf die Palme zu bringen. Die Schwarzen (respektive seit Kurzem: die Cadenabbia-Blauen) sind ebenfalls tief gespalten: Die einen wollen mit der AfD zusammenarbeiten, die anderen wollen die AfD-Positionen lieber ohne die AfD umsetzen. Die Union ist geteilt in Ost und Wüst.

Während Generalsekretär Carsten Linnemann in Berlin hilflos an der Parole festhält, der Unvereinbarkeitsbeschluss gelte überall, trinken CDUler und AfDler in Thüringen längst gemeinsam ihr Feierabendbier und vergleicht eine CDU-Landrätin das Konrad-Adenauer-Haus mit der SED-Parteileitung. Andreas Rödder, der als Friedrich Merzens wichtigster Berater die Partei mit seinem Grundwertekompass navigiert, plädiert derweil gelassen für den Mittelweg in den Faschismus. Er empfiehlt Minderheitsregierungen, die sich bei Bedarf, also immer, auf die Rechtsradikalen stützen.

Dürftig: gegens Gendern und für Fleisch essen

Optisch ist die Union den ersten Schritt auf diesem Mittelweg bereits gegangen – denkt man! Doch Linnemann, der bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des neuen CDU-Looks offenbar völlig unvorbereitet einfach eine Runde Powerpoint-Karaoke gespielt hat, erklärte dabei, dass der neue Blauton im Corporate Design der Partei keineswegs für eine Annäherung an die AfD stehe, sondern für „Vitalität, Zuversicht und Freiheit“. Gehen Sie mal zu einem CDU-Stammtisch in Ihrer Gegend, da kommt Ihnen der Begriff „Vitalität“ zumindest nicht als erstes in den Sinn.

Als wäre der Druck von rechts nicht hoch genug, tüfteln auch die anderen Parteien an der Überflüssigmachung der Union. Die Scholz-und-Faeser-SPD feiert die alte Seehofer-Vision von Haftlagern an den EU-Außengrenzen und Abschiebungen in Drittstaaten als neuen „Kompromiss“, weil sich angeblich nur so das Europa der offenen Grenzen hätte retten lassen. Ein Kompromiss wie er im Buche steht: Ihr werdet monatelang eingesperrt oder zurück in die Wüste geschickt, dafür dürfen wir weiterhin ohne Passkontrolle an den Gardasee fahren. Wo bleibt zwischen dieser SPD und jener AfD noch Platz für die Union?

Dergestalt in der politischen Knautschzone zerdrückt, krächzen die Konservativen auf der verzweifelten Suche nach einem Gewinnerthema gegen völlig egale Dinge wie Cannabislegalisierung, Vegetarismus und das ewige Gendern und palavern noch immer von christlichen Werten, als ob nicht seit mindestens 50 Jahren jede und jeder in diesem Land wüsste, dass die Christdemokraten mit der Lehre des Sozialisten Jesus Christus wirklich so gar nichts anfangen können. Überdies sind inzwischen ohnehin weniger als 50 Prozent der Deutschen noch Kirchenmitglied, und wenn wir über die letzten Jahrzehnte eines von der Union gelernt haben, dann dass wir uns hier von religiösen Minderheiten bekanntlich nicht vorschreiben lassen, wie wir zu leben haben.

Erfolg hat man mit all diesem unredlichen Unsinn nicht einmal mehr in Bayern, wo Markus Söder seit zwölf Wochen keinen Sonnenstrahl mehr abbekommen hat, weil er nur noch in Bierzelten haust und auf Instagram unter dem Hashtag #Söderisst seinen täglichen Fraß von Wurst, Schweinshaxe, Schnitzel und Fleischpflanzerl dokumentiert, was zwar den Umfragewerten seiner Partei nicht hilft, ihn persönlich jedoch zum führenden Politiker im Bereich Cholesterinwerte macht.

Auch wirtschaftspolitisch hat‘s die Merz-Truppe schwer: Skrupellose Politik für Reiche kriege ich bei der FDP, pragmatische Politik für Reiche bei der SPD und Politik für Reiche mit Bauchschmerzen bei den Grünen.

Zwischenfazit: Rein inhaltlich brauchen wir die Konservativen tatsächlich nicht mehr. Als politisch interessierter Mensch sind Sie davon aber wohl kaum überrascht.

Unsympathisch, aber unterhaltsam

Dennoch sag‘ ich‘s frei heraus: Wir dürfen die Konservativen nicht aufgeben! Zum einen aus Unterhaltungsgründen. Allein die Comedy-Gestalten, die das sinkende Schiff noch nicht verlassen haben, sind den Erhalt der Partei wert: das unberechenbare Element Friedrich „Loose Cannon“ Merz; der in Talkshows schon nach Sekunden auf 180 zischende und geifernde Linnemann; Running-Gag Amthor; Maaßen und seine alberne Brille; die schon vor Jahren erfolgreich von Großkonzernen eingeschleusten Spahn und Klöckner – die Union hat keinen einzigen vertrauenerweckenden Menschen mehr in ihren Reihen, aber schickt ihre Schützlinge nichtsdestominder selbstbewusst nach vorne. Jedes Taschentuch ist dicker als ihre Personaldecke. Man will diese Leute unter keinen Umständen im privaten Umfeld, aber man schaut ihnen gern zur Belustigung zu. Die Union ist der Mr. Bean unter den Parteien.

Zum anderen brauchen wir sie noch als Sammelbecken. Als Sammelbecken für all die Deutschen, die sich unsicher sind bei Fragen wie: Bin ich ein Nazi? Sind mir unsere natürlichen Lebensgrundlagen wichtig? Interessiere ich mich überhaupt für Politik? Bei diesen Wählergruppen hat die Union großes Potenzial, sie müsste diese Unentschlossenheit nur ganz entschieden kommunizieren.

Fazit: zum Reparieren zu kaputt, zum Wegschmeißen zu schade. Die Union ist ein Fall für die „Zu verschenken“-Kiste. Meist denkt man ja beim Rausstellen einer verblühten Habseligkeit, die könne doch niemand mehr haben wollen, und umso überraschter ist man, ist sie dann plötzlich weg.

Auch wenn es unvorstellbar scheint: Irgendwer wird sich für die Union schon noch erwärmen. In Baden-Württemberg etwa hat sich Winfried Kretschmann (Grüne) den Überresten der von ihm selbst zerschmetterten Konservativen angenommen. In Brandenburg dient sie SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke als Steigbügelhalter. Und in Thüringen, wer weiß, freut sich entweder bald die AfD – oder, und das wäre vielleicht zu kitschig, aber nicht ausgeschlossen: Der Unvereinbarkeitsbeschluss fällt, aber in die andere Richtung, und es kommt zwischen Union und der Ramelow-Linken zur Koalition der Unbrauchbaren.

Cornelius W. M. Oettle schreibt fürs „Wahrheit“-Ressort der taz, das Faktenmagazin „Titanic“, „Die Anstalt“ im ZDF und den Mikroblogging-Dienst X (Twitter). Außerdem arbeitet er für den EU-Abgeordneten Martin Sonneborn und veröffentlicht im November sein neues Buch „Meine Witze sind alle nur gecloud“, das er zusammen mit einer Künstlichen Intelligenz geschrieben hat.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen