Debatte: Für eine neue Klima-Allianz

Debatten über Energieeffizienz reichen nicht, um den CO2-Ausstoß zu senken. Nötig ist der radikale Umbau der globalen Wirtschaft.

Den wärmsten April seit zweihundert Jahren gab es gerade in Deutschland - wieder einmal reden alle vom Wetter. Zu recht: Wetterextreme und steigende Meeresspiegel als Folge der globalen Erwärmung sind schon heute messbar - und treffen vor allem die Ärmsten des Planeten. Die Herausforderung ist gewaltig: Bis 2050 müssen die Industrieländer ihre CO2-Emissionen um 80 Prozent senken, damit das Klimachaos einigermaßen kontrollierbar bleibt. Doch die politischen Antworten auf diese Herausforderung sind lau. Zwar überbieten sich die Entscheidungsträger gegenseitig mit Absichtsbekundungen, doch auch 2006 ist der CO2-Ausstoß in Deutschland weiter gestiegen. Hoher Problemdruck verbunden mit politischer Untätigkeit: Die Zeichen stehen so günstig wie nie, dass die Menschen für konsequenten Klimaschutz auf die Straße gehen.

Es ist daher richtig und wichtig, dass sich die großen Umwelt- und Entwicklungsverbände sowie einige Kirchen und Attac zu einer "Klima-Allianz" zusammengeschlossen haben, um für das Klima zu mobilisieren. Dabei muss es um mehr gehen als um technische Forderungen zu erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Energiesparen. Die Klimakrise ist Ausdruck eines verfehlten Wirtschaftssystems - und auf dieser Ebene muss ihr auch begegnet werden.

Allein mit dem fehlenden Willen der politischen Akteure kann nicht erklärt werden, dass die CO2-Emissionen sich auf dem historischen Höchststand befinden, obwohl sich die drohende Katastrophe seit mehr als zwanzig Jahren abzeichnet. Nicht zufällig verläuft diese Verschärfung der Klimakrise parallel zur neoliberalen Globalisierung: Durch die Entfesselung der Finanzmärkte und den Abbau von Handelsschranken hat sich ein globalisierter Finanzmarktkapitalismus herausgebildet, der die Rendite zum alleinigen Maßstab des Handelns erhebt. Mensch und Umwelt werden dem Profit untergeordnet, weil die Zähmung dieser ökonomischen Kräfte durch ökologische und soziale Regeln weitgehend ausgeblieben ist. In diesem Rahmen wird Klimaschutz sich immer den globalen Renditezielen unterordnen müssen. Die tiefen Einschnitte, die für echten und gerechten Klimaschutz notwendig wären, sind auch deshalb kaum durchsetzbar.

Im so entfesselten Wettbewerb um die niedrigsten Standards wird Klimaschutz zum Standortnachteil. Wenn ein Staat Klimaschäden beispielsweise durch Ökosteuern konsequent einpreisen will, werden die Produkte im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz zu teuer. Um dies auszugleichen, müssten Importe entsprechend ihrer Klimabilanz mit Zöllen belegt werden. Eine solche Maßnahme stünde jedoch im Widerspruch zur gegenwärtigen Architektur der Globalisierung. Dazu kommt das Anschwellen der globalen Verkehrsströme, den Lebensadern der globalisierten Weltwirtschaft. Mit drastischen Klimafolgen: Bei ungebremstem Wachstum wird 2050 allein der europäische Flugverkehr mindestens die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen verursachen, die dann noch vertretbar sind.

An Beispielen wie diesen zeigt sich, dass das neoliberale Modell, das die Deregulierung der Weltwirtschaft propagiert, unvereinbar ist mit den Zielen des Klimaschutzes. Jede Bewegung, die sich für Klimaschutz einsetzt, wird daher nicht umhin kommen, dieses Wirtschaftsmodell in Frage zu stellen, und sich für eine Re-Regulierung der Wirtschaft einsetzen müssen.

Zusätzlich stellt unsere Art zu wirtschaften ein Problem für den Klimaschutz dar, da sie die Welt in Arm und Reich aufspaltet. Noch immer leben 2,7 Milliarden Menschen von weniger als zwei US-Dollar am Tag. Gleichzeitig stieg das Vermögen der Dollarmillionäre in den vergangen drei Jahren um knapp zehn Prozent auf 33,3 Billionen US-Dollar. Auch in Deutschland befinden sich inzwischen elf Millionen Menschen unterhalb oder am Rande der Armutsgrenze, während die großen Privatvermögen weiter steigen. Dies hat Folgen für den Klimaschutz: Jenen, auch zunächst kostspieligen Veränderungen unseres Lebensstils, die für den Klimaschutz so dringend gebraucht werden, wird die soziale Grundlage entzogen. So ist es für viele Menschen nicht einzusehen, warum Autofahren für sie unerschwinglich werden soll, wenn die Reichen ungehindert weiter das Klima verpesten können. Die Umstellungen, die mit Klimaschutz verbunden sind, werden nur akzeptiert, wenn soziale Sicherheit garantiert ist.

Denn solche Veränderungen sind dringend notwendig. Die verheerenden sozialen und ökologischen Auswirkungen des Biospritanbaus in Brasilien machen deutlich, dass die beste Antwort auf den Klimakiller Auto vielleicht nicht andere Autos, sondern weniger Autos sind. Auch für die vielen Millionen Urlaubsflüge im Jahr, die die persönliche Klimabilanz in tiefrote Zahlen reißen, scheint kaum eine andere Alternative zu bestehen, als anders Urlaub zu machen. Und der immense Fleischkonsum der globalen Mittelklasse wird schlicht schrumpfen müssen, damit ihr Hunger nicht die CO2-Reduktionen auffrisst. Da kann Umweltminister Gabriel noch so oft betonen, dass es bei Klimaschutz nicht um "Verzichtsethik" gehe. Wenn wir das Ziel ernst nehmen, die globale Erwärmung noch auf zwei Grad zu begrenzen, sind einschneidende Veränderungen notwendig. Das muss man nicht Verzicht nennen, doch einige Dinge sind dann nicht mehr möglich. Dies ist keine leichte Debatte. Aber eine Klima-Allianz muss sie angehen, sonst ist sie unglaubwürdig.

Zu guter Letzt ist Klimaschutz nicht nur eine Frage unseres Wirtschaftssystems und unseres Lebensstils, sondern auch eine Machtfrage. In der Vergangenheit und auch heute noch bedient die Bundesregierung allen Bekundungen zum Trotz in erster Linie Lobbyinteressen. Das zeigt sich allein daran, dass in Deutschland momentan über 20 neue Kohlekraftwerke geplant sind. In Neurath baut RWE ein Braunkohlekraftwerk, die künftig größte CO2-Schleuder Europas. Profitieren werden davon die großen Energieversorgungsunternehmen, die Rekordgewinne vermelden. RWE hat kürzlich seine Dividende verdoppelt. Ähnliches ließe sich aus der Autoindustrie berichten. Hinter dem Status quo stehen also mächtige Interessengruppen. In einer solche Situation dürfen sich Umwelt- und Entwicklungsorganisationen nicht auf Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit beschränken. Klimapolitik braucht vielmehr eine umfassende gesellschaftliche Mobilisierung. Auch wenn die Klima-Allianz in Analyse und Forderungen noch nicht weit genug geht, ist erfreulich, dass sie zu einer solchen "Bewegung für Klimaschutz" mit der breiten politischen Mobilisierung der Bevölkerung beitragen will. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Es wäre die Aufgabe radikalerer Teile der Umweltbewegung, die gesellschaftliche Ächtung von Spritfressern und Aktionen im Stile von Bauplatzbesetzungen der geplanten Kohlekraftwerke folgen zu lassen.

Sven Giegold

Chris Methmann

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