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DebatteSystem gegen Würde

Kommentar von Frank Wörler

Um erfolgreicher zu werden, setzen immer mehr Unternehmen auf das Wundermittel Mitarbeiterevaluation. Mit den wirklichen Zuständen im Betrieb hat die wenig zu tun.

U nsere Arbeitswelten werden von einer gigantischen Welle der Erfassung in Bögen und Dateisystemen überrollt. Was einbricht, ist die Evaluierung, Quantifizierung und Taxierung aller produktiven Einheiten und insbesondere des einzelnen Menschen. Die Mode der Mitarbeiterevaluation betrifft alle Erwerbsfelder: industrielle Produktion genauso wie Dienstleistung und Behörden. Selbst Vereine im Gesundheits- und Sozialwesen gieren nach den neuen "management tools" (Instrumenten zur Steuerung eines Unternehmens).

Während die Auswirkungen für die Arbeitnehmer durchaus existenziell sind, äußert sich der Vorgang auch als breites kulturelles Phänomen: So werden Hochschulen im Zuge der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen zur Taxierung ihrer Lehre genötigt. Evaluationsbögen gelten auch hier als Wundermittel, transparent und objektiv endlich all das in den Griff zu bekommen, was sich in Zahlen eigentlich nicht darstellen lässt.

Qualitätssicherung steht auf der Agenda der Manager, wenn es darum geht, für jeden Arbeitsplatz des Unternehmens einen verbindlichen Bewertungsbogen festzulegen. Von der Hilfskraft bis zur Geschäftsführung - jeder erhält ein seiner Tätigkeit angepasstes Evaluationsprofil. Meist geschieht dies zusammen mit den Betroffenen, und manchmal werden die Arbeitnehmer sogar aufgefordert, ihre Bewertungskriterien selbst aufzustellen.

Mittels Fragebogen sollen verschiedene "Qualitätsmerkmale" abgefragt werden, wie zum Beispiel Fachkompetenz, soziale Kompetenz, Selbstmanagement, Lernbereitschaft und weiteres. Darunter subsumieren sich dann spezifischere Qualitäten wie Kundenorientierung, Einfühlungsvermögen, Sauberkeit oder Motivation, die jeweils in drei Stufen bewertbar sind.

Es wird verkündet, diese Abfrage geschehe in Zukunft regelmäßig, meist im doppelten Verfahren, mittels Selbst- und Vorgesetzteneinschätzung. Und damit man auch Spaß daran hat, werden Weihnachtsgelder oder aber die Verlängerung des Arbeitsvertrages an die Ergebnisse geknüpft. Diese Entscheidung kann nun ein Computer treffen, denn mittels Auswertungsschlüssel erhält man auf dem Bogen rechts unten eine diskrete Zahl, beispielsweise zwischen null und zehn, diese multipliziert man mit hundert Euro und so weiter. Eine wesentliche Entlastung für die Personalstelle - auch in moralischer Hinsicht.

Zunächst kann es als wichtiger Vorteil der Evaluationsmethode gelten, Transparenz und Vergleichbarkeit quer durch alle Hierarchien zu ermöglichen. Alle Mitarbeiter des Unternehmens stehen vor dem gleichen Jüngsten Gericht und erhalten den Lohn für ihre guten und die Strafe für ihre bösen Taten.

Das Ganze liefert obendrein automatisiert Statistiken, die regelmäßig die hohe Motivation, Sauberkeit und Kundenorientierung aller Mitarbeiter beweisen. Für die Investor-Relations-Abteilung, die bei Aktiengesellschaften Kontakt zu den Aktionären oder auch Analysten pflegt, ist dies gut. Und allein deshalb muss das Ganze mit Qualität zu tun haben.

Wenn hier ein Zynismus Platz greift, so deshalb, weil an der Verwertbarkeit der Daten Zweifel bestehen müssen. Natürlich ist die Evaluation als Druckmittel auf den abhängig Angestellten wirksam. Aber versprochen wurde eigentlich etwas anderes: Transparenz und Gerechtigkeit, ein modernes "management tool" und "Qualitätsverbesserung".

Für den Unternehmer stellt sich ein Problem, das zwar in der Natur der Sache liegt, aber ausgeblendet bleiben muss: Spielt sich die Evaluation in den Vordergrund, gerät die gemeinschaftliche Unternehmung in den Hintergrund. Und da die Methodik selbst nicht kritisch befragt werden darf, schleicht sich eine systemische Rückkopplung ein, die nur abbildet, was das System darzustellen fähig ist, aber nie die wirklichen Zustände.

Der amerikanische Soziologe Richard Sennett hat die Zerstückelung von Unternehmen in kleine operationable Einheiten analysiert: Komplexe Zusammenhänge können nicht erfasst werden - das Unternehmen wird innerlich zerstört. Denn eine Firma funktioniert nur, weil es Menschen gibt, die ihre Arbeit tun, so wie sie dies nun mal tun, individuell und schwer beschreibbar. Man kann durchaus die These wagen: das Funktionieren eines Wirtschaftsunternehmens verdankt sich ausschließlich dessen, was eben nicht verwaltet und verwirtschaftet ist.

Wenn wir bislang so viel über die Belange und Nöte des modernen Unternehmers im Kampf um internationale Märkte gesprochen haben, so nur, um jetzt dem eigentlich dunklen Phänomen Platz zu machen.

Obwohl Mitarbeiterevaluation eine leicht durchschaubare Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahme ist, obwohl sie eine Demütigung für jeden Betroffenen darstellt, sich selbst Bewertungskriterien zu geben oder diese mit gespielter Bereitwilligkeit zu akzeptieren, obwohl im Detail mit zweierlei Maß gemessen wird und Herrschaftsstrukturen abermals festgeschrieben werden: Es gibt überraschenderweise kaum Widerstand gegen diese Vorgänge.

Es ist weiterhin schwer einzusehen, warum man sich nicht daran stößt, Menschen mit einem messbaren Wert oder "Qualitätsmerkmalen" zu beschreiben. Bewertungssysteme sind Äquivalenzsysteme, sie schaffen einen Preis des Menschen: Greift dies nicht unsere - im Grundgesetz verbriefte - Würde an? Menschliche Würde, die, nach Kant, einem menschlichen Wert entschieden entgegensteht? Wie kann es zu dieser allgemeinen Akzeptanz von Evaluation kommen?

Vielleicht gibt es auch auf Seiten der Arbeitnehmer einen Wunsch, dem das Evaluieren entgegenkommt: der Wunsch nach Sicherheit. Bewertet wurde immer schon, doch was das neue System schafft, ist ein absoluter Wert. Eine Ziffer zwischen 0 und 10 beispielsweise. Es ist die direkteste symbolische Bestätigung, die man sich denken kann: "Ich bin 8,7." Dieses gemeinschaftlich aufgerichtete Faktum muss niemand vor anderen verteidigen, es gibt sich selbst seine mathematische Gültigkeit.

Indes findet eine bemerkenswerte Verschiebung von Kontrolle statt. Die Frage, ob man seinen Job normgerecht ausführt - und normgerecht heißt heute immer "besser als die Norm" -, wird als objektiv verinnerlicht. Jener diskussionswürdige Arbeitsethos, dem zu entsprechen wir seit Generationen einüben, wird erstmalig einer rationellen elektronischen Erfassung zugänglich gemacht und somit von einer beweglichen kulturellen Leistung in eine starre technokratische Faktizität überführt.

Eine Botschaft unserer Tage lautet: "Jeder Mensch ist potenziell nicht gut genug." Wer diese allgegenwärtige Aussage trifft, genau das verdunkelt uns die Evaluation.

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2 Kommentare

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  • WW
    Walter Weissgärber

    Ich denke, es kommt wirklich darauf an, die Evaluation als Steuerungsinstrument für mehr Transparenz und Gerechtigkeit zu begreifen und alles dafür zu tun es nicht als Kontrollinstrument und Disziplinierungsmaßnahme verkommen zu lassen. Wenn es soweit ist, dann müssen wir uns dagegen wehren. Und dort wo es schon soweit ist, muss man sich auch jetzt schon dagegen wehren. Damit es aber nicht soweit kommt, halte ich es für wichtig, die Steuerungsinstrumente der Evaluation selbst in der Hand zu behalten. Also dass wir uns eben selbst evaluieren! So schnell gebe ich die Hoffnung nicht auf!

  • AZ
    Anke Zöckel

    Es gibt Leute die behaupten, die Evaluation sei Luthers Schuld. Schließlich: Wenn Gott allein uns von unseren Sünden frei sprechen kann, dann ist damit die vermeintliche Qualitäts-Messlatte verdammt hoch gehängt. Hält man Gott doch im allgemeinen für unfehlbar und seine Ansprüche an uns Menschen (seine Ebenbilder) für entsprechend hoch. Die Botschaft: ?Jeder Mensch ist potenziell nicht gut genug? ist den Verfechter des einzig wahren Katholizismus also gern Beleg dafür, dass die ?guten alten Zeiten? doch die besseren waren. Was natürlich allenfalls als Ausdruck einer extreme Form der Vergesslichkeit interpretiert werden kann. Vor Luther nämlich waren grundsätzlich alle Menschen schlecht und zwar von Geburt an. Und die Aussicht auf Erlösung war dermaßen käuflich, dass überhaupt nur diejenigen gut (genug) sein konnten, die sich (auf welchen Wegen auch immer) das für einen Sündenerlass nötige Kleingeld verschafft hatten.

     

    Wie dem auch sei: Das Arbeits-Ethos ist von jeher Trophäe der Mächtigen gewesen und daran wird sich auch in Zukunft nicht viel ändern. Wer es definiert, beweist damit seine Omnipotenz. Von Beginn seines Lebens an wird der Mensch einem System aus Anforderungen und Beurteilungen ausgesetzt, das ihn zivilisieren und gesellschaftstauglich machen soll. Ob es nun das Lob der Mutter für den ersten selbstständigen Gang zur Toilette ist, die letzte Note im Ethik-Unterricht oder das Sieb im Superstar-Auswahlverfahren ? allenthalben wird gemessen, (ab-)gewogen und letztinstanzlich befunden. Man ist immer irgendwie zu leicht oder zu schwer. Neuerdings kann man sogar zu mittelmäßig sein, aber das ist auch nicht sehr viel angenehmer. Verkehrt jedenfalls bleibt man. Zumindest so lange, bis irgend ein Mächtiger sich erbarmt und einen belobigt. Wobei in aller Regel jedem Lob eines Mächtigen wenigstens ein (fast immer unausgesprochener) Tadel mehrerer Ohnmächtiger gegenübersteht. Was also sollte am Modetrend Evaluation neu oder besonders erschreckend sein?

     

    Die von den Modemachern verbreitete Lüge, mit der Evaluation werde die Erfassung des ?diskussionswürdige Arbeitsethos? erstmalig zu einer rationellen weil elektronisch gestützten Angelegenheit, muss man ja nicht unbedingt glauben. Es liegt in der Natur der Sache, dass es ganz ohne ?bewegliche kulturelle Leistung? auch in Zukunft nicht abgehen wird. Nur ist diese ?bewegliche kulturelle Leistung? momentan fast ausschließlich auf die Maximierung des individuellen ökonomischen Vorteils ausgerichtet und diese Ausrichtung setzt auch eine Art Glauben voraus. Den Glauben an die Interessen-Einheit von Unternehmen und Mitarbeiter nämlich. Der durchaus nicht zu unterschätzende Wunsch des Arbeitnehres nach Sicherheit (Endlich hängt die Höhe meines Weihnachtsgeldes nicht mehr davon ab, ob meinem Chef meine Nase gefällt) ist ganz bestimmt nicht der einzige Grund für die vergleichsweise geringe Gegenwehr, auf die moderne (Möchtegern-)Evaluierer stoßen. Und auch die oben erwähnte Gewöhnung trägt nur ihren Teil dazu bei.

    Die menschliche Würde wird nämlich nicht erst seit Kant und trotz seiner Kritik daran gerade von denen definiert, die den ?Wert? (heute: den Markt- oder Gesellschafts-Wert) des Menschen kennen. Will sagen: Diejenigen, die ihren Wert hoch einschätzen (und am Markt auch so gehandelt werden), sehen in der Evaluierung keine Bedrohung, sondern eine Chance. Sie wissen, dass sie nicht von Gott persönlich beurteilt werden, sondern von Menschen aus Fleisch und Blut. Von Menschen zumal, denen sie sich nicht selten überlegen fühlen. Die ?management tools? sind diesen Leuten in erster Linie tatsächlich nichts weiter als ?Instrumente zur Steuerung eines Unternehmens? und da sie gelernt haben, mit dem Unternehmenserfolg den eigenen wirtschaftlichen Nutzen zu verbinden, wollen sie diese Instrumente auch angewandt sehen.

     

    Diejenigen aber, die den eigenen Wert überhaupt nicht kennen oder ihn unterschätzen, zweifeln sowieso permanent daran, dass sie verdienen, was sie bekommen, auch wenn sie mitunter aus Gründen der Psycho-Hygiene etwas anderes behaupten. Diese Menschen sehen in der Evaluierung nicht nur eine Chance auf Eliminierung zusätzlicher Wert-Risiken (Nase), sondern im schlimmsten Fall auch noch eine gerechte Strafe für ihr vermeintliches Versagen. Sie sind schließlich jahrelang erfolgreich in Richtung auf diese Interpretation hin erzogen worden. Der Evaluierungsbogen hat für diese Menschen wohl wirklich so etwas wie ein magisches Moment. ?Die da oben werden schon wissen, wie man damit zaubert?, sagen sie sich ? und auch das haben sie jahrelang geübt. Wenn man diese Menschen dann noch gestattet, pro forma an der Aufstellung ihrer eigenen Bewertungskriterien mitzuarbeiten, geht man als Evaluierer überhaupt kein Protest-Risiko mehr ein.

     

    Zwischen den beiden genannten Gruppen von Menschen findet übrigens kaum je ein Erfahrungsaustausch statt, weil sie in ihre jeweiligen Hierarchie-Ebenen eingebunden sind. Über Solidarität braucht man unter solchen Voraussetzungen gar nicht erst zu reden. Nach genau diesem Prinzip funktionieren Konkurrenzgesellschaften überall auf der Welt. Immer schon, nicht erst seit den verrückten 90-ern. Das Evaluations-Unwesen ist in sofern nicht "vom Himmel gefallen". Es basiert auf lang gehegten Traditionen. Die Menschenwürde war und ist käuflich und wenn nicht ein Wunder geschieht (oder ein Evolutionssprung), wird es wohl auch dabei bleiben. Es gehört allerdings zum unternehmerischen Risiko, sich zu ?verkaufen?. Die meisten Unternehmen stellen deswegen auch vorzugsweise Leute ein, denen es mehr um den eigenen Vorteil geht, als um das ?Große Ganze?, in diesem Fall das Unternehmen. Deswegen stört selbst die Erkenntnis, dass die Zerstückelung von Unternehmen in kleine operationable Einheiten zur Zerstörung komplexer Zusammenhänge und damit letztlich zur Zerstörung des Unternehmens von innen har führt, die Kreise der Evaluierer nicht.

     

    Die Erkenntnis, dass Firmen funktionieren, weil [Zitat] ?es Menschen gibt, die ihre Arbeit tun, so wie sie dies nun mal tun, individuell und schwer beschreibbar? steht auf der ?Must-Liste? der Wissens-Inhalte ganz weit unten. Schließlich: Welcher Chef gesteht sich schon gern ein, dass die Struktur seines Unternehmens auf dem Mist vieler kleiner und großer Erfolge und Irrtümer auch Personalfragen betreffend über einen langen Zeitraum hinweg ?natürlich gewachsen? und kein Erfolg des Managements ist?