Debatte: Wenn jedes Mittel recht ist
Die Tour de France hat gezeigt, woran der Leistungssport krankt. Der Staat sollte sich aus der Förderung des Spitzensports zurückziehen: Sie ist ein Teil des Dopingproblems.
E igentlich sollte die Tour de France des Jahres 2007 ja die "Rundfahrt der Erneuerung" werden. Doch das Desaster des Vorjahres, als der Sieger von Paris, Floyd Landis, beim Testosteron-Doping erwischt wurde, wurde noch überboten. Im atemberaubendem Tempo taumelte die Tour von einem Skandal in den nächsten. Die Szene der Radler steht am Pranger, und deutsche Sportpolitiker setzen sich im Bundestag dafür ein, die staatliche Radsportförderung auszusetzen.
Während aber alle Augen auf Frankreich gerichtet sind, wo eine Horrormeldung aus den Giftküchen der Sportmediziner die andere jagt, wird übersehen, dass auch in anderen Sportarten kräftig manipuliert wird. Als bekannt wurde, dass deutsche Athleten in mehr als 200 Fällen von Dopingkontrolleuren nicht angetroffen werden konnten, war die Aufregung nur von kurzer Dauer. Dabei steckt der gesamte Leistungssport in der Krise. Es ist deshalb an der Zeit, seine Förderung durch den Staat grundsätzlich in Frage zu stellen.
Andreas Rüttenauer, geboren 1968, ist Sportredakteur der taz. Er lebt seit zehn Jahren in Berlin und hat die Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten" mitbegründet. 2003 erschien sein erster Roman "Pokalfinale" (Verbrecher Verlag).
Es sind nicht nur die oft kritisierten Sponsoren, die die Szene mit ihrem Geld korrumpieren. Es ist auch der deutsche Staat selbst, der Sportler dazu anhält, immer wieder an die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit zu gehen. Darum ist es wohlfeil, den Ausstieg der öffentlich-rechtlichen TV-Sender aus der Tour-de-France-Berichterstattung zu fordern, wie es etliche Politiker in den vergangenen Tagen getan haben. Die meisten von ihnen haben erst kurz zuvor noch den Arm gehoben, als eine Woche vor dem Start der Tour de France die Erhöhung der staatlichen Mittel für den Leistungssport zur Abstimmung stand. Nach dem neuen Haushaltsplan des Bundesinnenministeriums, das auch für den Sport zuständig ist, sollen im nächsten Jahr stolze 84 Millionen Euro in den Spitzensport fließen, 13 Millionen mehr als 2007. Das erklärte Ziel ist, damit möglichst viele WM- und Olympiamedaillen für Deutschland zu ermöglichen. Von einem Umdenken, wie es Sportminister Wolfgang Schäuble gerade vom Radsport fordert, ist im übrigen Leistungssport so gut wie nichts zu spüren.
Das aber wäre dringend nötig. Denn für eine Demokratie gehört es sich eigentlich nicht, ständig bloß auf einen möglichst guten Platz im Olympia-Medaillenspiegel zu schielen. Solange der Staat die Athleten antreibt, macht er sich mitschuldig am Phänomen der pharmazeutischen Manipulation, die immer mehr um sich greift. "Das ist etwas für Diktaturen", sagte der italienische Sportwissenschaftler Alessandro Donati in aller Deutlichkeit, was er von staatlicher Spitzensportförderung hält. Im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) hatte er die meist illegalen Handelswege von Dopingsubstanzen untersucht und war dafür vor den Sportausschuss geladen worden. Doch die anwesenden Abgeordneten gingen in ihren Statements mit keiner Silbe auf die Einlassungen Donatis ein - ganz so, als wollten sie nicht wahrhaben, dass sie selbst Mittäter sind.
Die Bundesrepublik verhält sich in der Tat kaum anders als die DDR, die ihre hochgezüchteten Athleten einst als "Botschafter in Trainingsanzügen" auf die oberen Podestplätze der internationalen Wettbewerbe dopte. In der Sprachregelung des Bundesinnenministeriums hört sich das heute so an: "Der herausragende Anknüpfungspunkt für eine Bundesförderung ergibt sich aus der Aufgabe des Sports für die gesamtstaatliche Repräsentation, die auf dem Gebiet des Sports vornehmlich und prioritär auf den Spitzensport gerichtet ist." Der DDR-Sport und seine Art der Kaderbildung und Organisation sind eine der wenigen "Errungenschaften" des untergegangenen Systems, die für die Bundesrepublik bis heute Vorbildcharakter haben.
Als die Mauer noch stand und westdeutsche Athleten schon lange nicht mehr mitkamen mit ihren Konkurrenten aus dem Osten, da wurden die Sportfunktionäre der BRD nicht müde, auf einen Wettbewerbsvorteil der Konkurrenten aus der DDR hinzuweisen. "Das sind doch alles Staatsamateure", hieß es damals - eine von Staat ausgehaltene Profitruppe also, deren Mitglieder nichts anderes zu tun hatten, als ihre Körper zu optimieren. Und heute? Ein Großteil der deutschen Olympiakaderathleten ist bei der Bundespolizei oder der Bundeswehr angestellt. In speziellen Sportkompanien werden sie von beinahe allen normalen Verpflichtungen eines Soldaten oder Polizeibeamten freigestellt. Sie haben nur eine Aufgabe: durch Medaillen und Siege den Ruhm ihres Vaterlandes zu mehren.
Der Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle etwa ist das bereits mehrfach gelungen. Während der Spiele von Turin verschickte die Bundeswehr stolz eine Pressemitteilung: "Die Damenstaffel im 4 x 5 Kilometer Skilanglauf mit Oberfeldwebel Viola Bauer, Oberfeldwebel Claudia Künzel, Stabsunteroffizier Stefanie Böhler und Stabsunteroffizier Evi Sachenbacher-Stehle gewann die Silbermedaille." Dass Letztere zuvor wegen auffälliger Blutwerte nicht hatte antreten dürfen, war der Bundeswehr keine Untersuchung wert. Verteidigungsminister Franz Josef Jung posierte strahlend mit seinen Mädels und tat nichts, um den Verdachtsmomenten nachzugehen. Nein, als Sportförderer ist der Staat um keinen Deut besser als die Sponsoren, denen beim Wettlauf um Publicity oftmals jedes Mittel recht ist.
Als weiteres Motiv für die staatliche Spitzensportförderung wird gern die Vorbildfunktion der besten Athleten für den Breitensport angeführt. Doch leider werden die Sportler auch auf dem Feld der medikamentösen Leistungssteigerung nachgeahmt. Der Leistungsgedanke in der Sportförderung führt dazu, dass es für viele Vereinstrainer, aber auch für Eltern Sport treibender Kinder wichtiger ist, Siege einzufahren, als die Fitness der Jugend zu fördern. Erst der konsequente Rückzug des Staates aus der Spitzensportförderung könnte an dieser Stelle zum Umdenken führen.
Der Profisport, von Sponsoren unterhalten, muss deshalb nicht untergehen. Solange sich Geldgeber finden, die glauben, dass sich ihr Engagement für die Unterhaltungsindustrie Sport lohnt, und solange es gelingt, Fans für den Profizirkus zu gewinnen, so lange wird es die großen Fußball-Ligen, aufgeblasene Box-Events und den Rennzirkus der Radsportler geben.
Der Staat aber sollte sich von dieser Szene fernhalten. Seine Aufgabe liegt in der Förderung des Breitensports. Er sollte sich dafür einsetzen, dass endlich der Schulsport im Wettbewerb mit anderen Fächern, in denen es um kognitive Fähigkeiten geht, nicht mehr den Kürzeren zieht. Und er sollte die Möglichkeiten nutzen, die der Sport für die Integration der Gesellschaft bietet. Statt in den Spitzensport, sollten Gelder in den Gesundheitssport fließen oder in Sportangebote in den Problemvierteln großer Städte, in gesundheitliche Aufklärung durch Sport und in den Ausbau des Sportangebots an Schulen. Wer sich den Mitgliedsbeitrag für einen Sportverein nicht leisten kann, dem könnte geholfen werden. Gefordert wäre ein neues Sportverständnis.
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