Debatte: Frieden schaffen. Auch mit Waffen
Die Frage militärischer Einsätze in Afghanistan und anderswo droht die SPD zu spalten. Die Partei sollte sich offensiv zu Willy Brandts Idee einer "Weltinnenpolitik" bekennen
D ie Lage in Afghanistan und die steigende Zahl der Opfer dort sorgen auch in Deutschland für Verunsicherung. Sie lassen all jene Politiker nicht unberührt, die über die Zukunft des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch zu entscheiden haben. Die Bundesregierung will den Einsatz ausbauen. Auch SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier erwägt die Entsendung weiterer Soldaten nach Afghanistan, und weiß SPD-Chef Kurt Beck damit an seiner Seite. Doch in der SPD-Fraktion im Bundestag mehren sich die Stimmen, zumindest den Antiterroreinsatz unter amerikanischer Führung zu beenden. Vor allem aber will die SPD in Berlin weitere Militärmissionen vermeiden: etwa im Sudan, wo seit Beginn des Bürgerkrieges in Darfur vor vier Jahren bis zu 400.000 Menschen gestorben sind.
In diese Lücke stößt nun Oskar Lafontaine vor. Der Vorsitzende der Linkspartei fordert einen raschen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und spricht sich generell gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr aus. Der heutigen SPD-Führung wirft der Ex-SPD-Vorsitzende sogar vor, sie betreibe mit ihrer Politik Verrat an Willy Brandts Friedenspolitik. Lafontaines Angriff kommt für die SPD zu einem empfindlichen Zeitpunkt. Denn an der Basis und unter den Anhängern der Partei wünscht eine Mehrheit, wie Lafontaine, ein schnelles Ende des Einsatzes in Afghanistan. Nicht wenige wünschen sich außenpolitisch in die Zeit vor Gerhard Schröders Einsatzbefehl im Kosovo zurück, als die Welt für einen SPD-Genossen noch in Ordnung schien, und man noch einfach gegen den Krieg und für den Frieden sein konnte.
Ihren Verfall als linke Volkspartei kann die SPD aber nur stoppen, wenn sie ihre verunsicherte Anhängerschaft auch in der Außenpolitik endlich von den veränderten Realitäten überzeugt. Sie muss klar machen, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr notwendig sein können, um Frieden, Freiheit und Entwicklung zu erreichen. Und sie muss zeigen, dass diese Politik in der Tradition der Sozialdemokratie und Willy Brandts Friedenspolitik steht.
Nach dem Zweiten Weltkrieg drohten Konflikte stets in eine Konfrontation zwischen den beiden großen Blöcken auszuarten. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, wie in der UN-Charta niedergeschrieben, galt angesichts des atomaren Arsenals in Ost und West als Garantie für Frieden und Stabilität. Mit dem Ende des Kalten Krieges wandelte sich jedoch die Bedeutung dieses Rechtsguts. Zwar hatten schon die Nürnberger Prozesse, die Völkermordkonvention von 1948 und die Erklärung der Menschenrechte, im selben Jahr von der UN verkündet, der staatlichen Souveränität erste Grenzen gesetzt. Doch erst nach dem Zusammenbruch des Sowjetreiches, als in vielen schwachen Staaten in Europa und Afrika die Gewalt ausbrach, begann der Westen, sich mit militärischen Interventionen in andere Staaten einzumischen.
Bis zum "Krieg gegen den Terror", kamen diese Interventionen meist sehr zögerlich und spät zustande. Westliche Demokratien scheuten sie aufgrund der hohen finanziellen und politischen Kosten - besonders, wenn Bodenstreitkräfte involviert und damit eigene Opfer zu befürchten waren. Wo "harte" Eigeninteressen fehlten, blieb denn auch trotz starken Drucks der Weltöffentlichkeit eine militärische Einmischung weitgehend aus, ob in Ruanda oder im Kongo. In Bosnien kam sie erst zustande, als die Bedrohung Westeuropas durch einen dauerhaft instabilen Balkan immer deutlicher wurde.
Noch unter dem Eindruck der humanitären Katastrophen und dem Versagen in Ruanda und Srebrenica sowie der Blockade des UN-Sicherheitsrates im Falle des Kosovos verabschiedeten die Vereinten Nationen nach langen Verhandlungen 2005 auf ihrem Reformgipfel das Konzept "Verantwortung, zu schützen" ("Responsibility to Protect" R2P). Dieses Konzept ermöglicht es der internationalen Gemeinschaft, sich gegebenenfalls auch militärisch in die inneren Angelegenheiten eines Staates einzumischen, wenn ein Staat seine Menschen nicht vor Völkermord, ethnischen Vertreibungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schützt. Willy Brandt, für den die Selbstbestimmung des Einzelnen und - neben dem Frieden - auch die Freiheit zum Wesen der Sozialdemokratie zählte, hätte die Stärkung der individuellen Menschenrechte durch dieses Konzept begrüßt. Er hätte es sicher auch deshalb unterstützt, weil er bereits in den 1980er Jahren die Notwendigkeit eines globalen Krisenmanagements sah, um Frieden und Entwicklung durchzusetzen. Schon damals forderte er angesichts globaler Gefahren wie Krieg, Chaos und Selbstzerstörung eine Art "Weltinnenpolitik", die über den Horizont nationaler Grenzen weit hinausreichen sollte.
Von Oskar Lafontaine und der Linken hört man in den Debatten um Afghanistan, Kosovo und Darfur nur wenig zur Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, die Menschen zu schützen. Wie einst die DDR und heute noch Russland, Kuba und China verteidigt die die Linkspartei das Prinzip der Nichteinmischung. Wolfgang Gehrcke, Obmann der Linken im Auswärtigen Ausschuss, lehnt denn auch Brandts Begriff der "Weltinnenpolitik" kategorisch ab. Statt nach praktischen Lösungen zu suchen für eine Welt in Unordnung, in der Staaten kollabieren und Warlords, Banditen und Terroristen ihre eigene blutige Ordnung schaffen, kämpft die Linke lieber gegen ihre Lieblingsfeinde: den bösen globalen Kapitalismus und die imperialen Mächte USA und EU.
In der Vergangenheit scheute sie sich nicht einmal, dabei auch kriminelle Figuren wie Slobodan Miloðevic zu unterstützen. Diese Weltsicht hatte Gregor Gysi einst, während der Nato-Luftschläge gegen Serbien, auf seine Reise zu dem serbischen Diktator geführt. Heute wäre es auch für Gysi wohl undenkbar, für die Katastrophe in Darfur ausschließlich die USA und die EU und deren Hunger auf Öl verantwortlich zu machen. Doch noch stehen in seiner Partei nur einige wenige einer Beteiligung Deutschlands an den Militärmissionen im Sudan nicht mehr grundsätzlich im Wege: Gysi selbst sowie eine kleine Gruppe von "reformlinken" Bundestagsabgeordneten um Dietmar Bartsch und Paul Schäfer, den sicherheitspolitischen Sprecher der Linkspartei im Bundestag.
Die Idee einer "Weltinnenpolitik" hat nichts an Dringlichkeit verloren. Wie die Menschen im Kosovo, die ihre Unabhängigkeit fordern, warten auch die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen in Darfur darauf, dass die internationale Gemeinschaft einen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme leistet, und sie gegebenenfalls vor staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt schützt. Bleibt zu hoffen, dass es der SPD-Führung gelingt, die Menschen in Deutschland davon zu überzeugen, dass eine globale Politik für Frieden, Freiheit und Entwicklung, die in der Tradition von Willy Brandt steht, gegebenenfalls auch Soldaten einsetzen muss.
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