■ Debatte: Kein grüner Dolchstoß
Jetzt gibt es also auch die grüne Dolchstoßlegende: Fücks ist schuld an der Zerstörung der Öko-Idylle UNI-Ost... Vielleicht gibt es dafür aber noch andere, nachvollziehbare Gründe als meinen „Verrat“?
Erstens: Die Bebauung dieser 11 Hektar war Bestandteil des heißumstrittenen Gewerbeflächen-Kompromisses in der Koalition von 1992. Ausschlaggebend dafür war nicht die grüne Fixierung auf die Hemelinger Marsch, sondern die Entscheidung, eher eine grüne Insel zwischen Autobahnzubringer, Reichsbund und Ortsrand Horn-Lehe zu opfern als den Sprung des Technologieparks in die großen Landschaftsflächen jenseits des Kuhgrabens, oder der Blockland-Autobahn zu akzeptieren. Ein komplettes Einfrieren des erfolgreichsten Gewerbegebiets in Bremen war beim besten Willen nicht zu haben.
Zweitens: Es war und ist unsere Linie in der Flächenpolitik, zuerst auf Verdichtung von Wohn- und Gewerbequartieren zu setzen, auf Flächenrecycling und Altlastensanierung. Beispiele: das Mobil-Oil-Gelände am Industriehafen, die Freiflächen bei Klöckner, die Bahnareale am Hauptbahnhof und in Woltmershausen, die alten Hafenreviere, das TÜV-Gelände in Hastedt. Danach auf die möglichst kompakte Bebauung innerstädtischer Flächen. Dazu zählt UNI-Ost. Was wir auf jeden Fall vermeiden wollen, ist der Einbruch in die naturnahen Landschaften jenseits der Siedlungsgrenze, z.B. die Hemelinger Marsch, das Blockland oder das Werderland diesseits von Klöckner. Diese Strategie hat den Nachteil, daß innerstädtische Öko-Nischen verlorengehen (neben UNI-Ost z.B. der Weidedamm); sie ist aber die einzige, um das Ausfransen der Stadt in die offene Landschaft zu bremsen, eine urbane Nachbarschaft von Arbeiten und Wohnen zu schaffen und das Verkehrswachstum einzudämmen.
Drittens: Der von Gerold Janssen präsentierte Kompromiß einer nur teilweisen Bebauung des UNI-Ost-Areals (durch Siemens) wurde über Wochen und Monate mit allen Beteiligten diskutiert und am Ende aus Gründen verworfen, die Gerold nur zu gut bekannt sind (von wegen Doppelspiel!). Dieser Kompromiß war weder Fisch noch Fleisch: die Ökologie wäre auf einen Rest zurechtgestutzt und das Konzept einer städtebaulichen Verbindung zwischen Horn-Lehe und dem Uniquartier durchkreuzt worden.
Viertens: Die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen für UNI-Ost wurden durch die Naturschutzabteilung definiert und sind rechtsverbindlich von der Bürgerschaft beschlossen. Sie finden im Blockland statt, d.h. auf Flächen, die miteinander vernetzt sind und einen offenen Lebensraum für Tiere und Pflanzen bieten. Die Erschlieung des zweiten Bauabschnitts in UNI-Ost kann erst beginnen, wenn die Ersatzmaßnahmen für das Gesamtareal abgeschlossen sind. Das ist doch ein bißchen mehr als bloßes Papier. Im Zusammenhang mit UNI-Ost haben wir die jahrelang verschleppten Ausgleichsmaßnahmen für das UNI-Quartier wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Der Bebauungsplan dafür soll im März präsentiert werden; er wird u.a. einen großen Rastpolder (von mindestens 40 ha!) für Zugvögel erhalten.
Fünftens: Wir handeln nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Stadt mit 12% Erwerbslosen, einem chronisch defizitären Haushalt und einer Abwanderung von Einwohnern und Betrieben ins Umland, was sowohl finanziell wie ökologisch nicht wünschenswert ist. Will sagen: Auch der grünste Umweltsenator kann in einer solchen Stadt (und in einer solchen Koalition) nicht Ökologie pur praktizieren, sondern muß Kompromisse mit ökonomischen Interessen eingehen, wenn er etwas bewegen und nicht nur seine Hände in Unschuld waschen will.
Sechstens: Gerold Janssen war im Konflikt um UNI-Ost der vermutlich bestinformierte Oppositionelle aller Zeiten und zwar nicht gegen, sondern durch das Umweltressort und die grüne Fraktion. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter als es das beliebte Rollenspiel vom einzig Gerechten in einer Welt von Sündern nahelegt.
Ralf Fücks, Umweltsenator
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