Debatte: Salonfähiger Stammtisch
■ Robert Bücking zu den Chaostagen
Im Großen und Ganzen veranstaltet der Senator eine Polizeilinie, von der schon viele Varianten in den letzten 20 Jahren in Bremen ausprobiert wurden. Es hat Zeiten gegeben, da hat es funktioniert, auf diese Weise die Stadt ruhig zu halten und es gab Zeiten, da ist dieses Ziel krachend verfehlt worden.
Für nicht wenige war die Polizei mitunter ein wesentlicher Mitspieler bei der Gestaltung der politischen Sozialisation. Und soviel ist sicher, für diese Aufgabe bringt sie keine Begabung mit. Nach allen Erfahrungen ist die Politik der polizeilichen Polarisierungen durch die Innensenatoren nie lange durchgehalten worden. Denn langfristig wirkt sie verheerend. Für die Jugendlichen, die Polizei und die Stadt.
Borttscheller steht mittlerweile für massives Polizeiaufgebot, offensive Kontrolle und Demonstration persönlicher Entschlossenheit in allen Medien. Und weil es so gut klappt, ist es offenbar sehr verlockend, die Sache auszubauen und letzte Rücksichten an den Nagel zu hängen. Diese Politik hat ihre eigene Logik. Der Senator inszeniert die Konflikte als show down und wird diese Haltung durchhalten müssen, koste es was es wolle. Das stärkt die Tendenz, gesellschaftliche Konflikte auf Sicherheitslagen zu reduzieren und macht den Stammtisch salonfähig.
Die Polizei wird auf Dauer in unlösbaren Aufgaben heillos überfordert und in ihrem Korpsgeist bestärkt. Natürlich gab es Punks, die Krawall wollten, und natürlich gab es Schwarzjacken, die dabei mitmachen wollten, und natürlich war die ganze Dramaturgie am Chaos-Wochenende auf entweder oder angelegt. Ziemlich weltfremd zu glauben, daß diese Leute, ausgestattet mit respektierten demokratischen Grundrechten, auf das Abfeiern des Rituals an der Kreuzung verzichtet hätten.
Die Polizeistrategen saßen in einer Zwickmühle. Polizeilich waren die Maßnahmen effizient aber rechtstaatlich war der generelle Platzverweis für ganz Bremen für auswärtige Personen mit punktypische Aussehen nicht. Es ist zu vermuten, daß der Innensenator diesen Rechtsbruch bewußt in Kauf genommen hat. Darüber lohnt sich ein Streit. Und dafür, daß die Rechte der in Gewahrsam genommenen Personen offenbar außer Kraft gesetzt wurden, gibt es keine Rechtfertigung. Es ist schon oft gesagt worden: Bunte Haare sind eine Mode und Punk eine Lebensart. Krawall ist etwas anderes.
Unangenehmerweise bleibt aber bei aller Kritik an Innensenator und Polizeiführung die Gegenfrage: Sollte man die abgewiesenen Touristen munter zur Sielwallkreuzung marschieren lassen, um abzuwarten was passiert? Das kann doch im Ernst niemand vorschlagen. Natürlich kann auch eine liberale, rechtstaatliche und weltoffene Innenpolitik solchen Blödsinn verhindern. Robert Bücking, Ortsamtsleiter Bremen-Mitte
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