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DebatteSackgassen und steinige Wege

■ Senator Peter Strieder (SPD): Eine Ausländerintegration kann nur gelingen, wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht ausgeblendet wird, wie es Innensenator Schönbohm tut

Der Innensenator muß schnell dazulernen: Nach der Prognose des Senats wird bis 2010 die ausländische Bevölkerung um zwischen 100.000 und 300.000 Personen anwachsen, besonders durch die Zuwanderung aus Mittel- und Osteuropa. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung erwartet, daß 2015 jeder vierte Berliner ausländischer Herkunft sein oder von ausländischen Zuwanderern abstammen wird.

Eine Politik, die dieser Entwicklung Rechnung tragen will, muß sich ihrer ideologischen Scheuklappen entledigen. Zwei Positionen der vergangenen Jahre müssen kritisch besichtigt werden: Das Fremde würde durch Integration einfach „verschwinden“ ist die eine problematische These. Andererseits sind auch die nicht verantwortungsbewußt, die Integrationskonflikte tabuisieren und sie zu einer harmonischen Volkstanzveranstaltung verharmlosen.

Der Innensenator fordert die „Auflösung“ der seiner Meinung nach bereits bestehenden Ghettos. Von Ghettos schon dann zu reden, wenn in einzelnen Straßenzügen ein hoher Anteil fremdsprachiger Menschen lebt, ist absurd, wenn man einmal den Blick nach Paris, London oder New York richtet. Die europäische Integration mit ihrer garantierten Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt lassen auch den Rückgriff auf die Homogenität des Staatsvolkes – milde gesagt – wirklichkeitsfremd erscheinen. Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden. So sind inzwischen über 25 Prozent der Eheschließungen in Berlin binational.

Für den Innensenator sind die Ausländer selbst das Problem. Keinen Blick wirft er dagegen auf andere Fragen: So zum Beispiel auf das staatliche Versäumnis, die Bildungsinstitutionen nicht auf die Wirklichkeit der Zuwanderung angepaßt zu haben. Soziale Ursachen kommen ihm schon gar nicht in den Sinn. Wer aber über Ausländer spricht und die soziale Realität ausblendet, schießt am Ziel vorbei.

Unsere Innenstadtquartiere sind in Bewegung. Einkommenskräftige Familien ziehen weg – deutsche wie ausländische Familien. Zurück bleiben die Schwachen. Das Hauptproblem heißt Arbeitslosigkeit. Eine lokale Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent und mehr – Deutsche wie Nichtdeutsche – verweist Integrationsbemühungen in das Reich der Illusion. Ohne Perspektive auf einen Arbeitsplatz bleiben Jugendliche aus der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Daher steht die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in den Problemquartieren an erster Stelle der notwendigen Maßnahmen. Das zweite Problem ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Sprache wie auch die Vermittlung der Werte unserer Gesellschaft lassen sich nicht per Beschluß erreichen. Wenn die Schulen wegen zu großer Klassen, mangelhafter Lehrplangestaltung oder unzureichender Ausstattung den von ihnen erwarteten Beitrag zur Integration nicht leisten können, hilft kein Verweis auf Integrationsunwilligkeit, hilft kein Abschieben der Schüler in Ausländerklassen. Daher muß der Staat gerade in den Problemquartieren für ein funktionsfähiges Angebot an Ganztagserziehung in Kitas, Vorschule und Schule sorgen.

Die (welt)offene Gesellschaft hat nicht den Hang zur Idylle. Das multikulturelle Biotop ist eine Wunschvorstelllung. Die Konflikte zwischen den Kulturen sind gerade in großen Städten real. In einer solchen Situation der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub zu leisten, soziale Konflikte auf die Existenz von Ausländern zu projizieren, weist in die Sackgasse. Gerade jetzt muß von Politikern verlangt werden, nicht einer Spaltung der Gesellschaft das Wort zu reden, sondern geduldig für den steinigen Weg zu werben.

Der Autor ist Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, wohnt in Kreuzberg.

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