piwik no script img

■ Debatte um das Holocaust-MahnmalViel Beifall für Jochen Gerz' Provokationen

Jochen Gerz will einen „Riesenroman“ schaffen, „der über zehn, zwanzig oder dreißig Jahre im öffentlichen Raum entsteht“ – mit unendlich vielen AutorInnen. Sein geplantes Holocaust- Mahnmal soll ein „Gemeinschaftswerk der Antworten“ ganz unterschiedlicher Menschen werden. „Ich will einen Ort schaffen, der radikal und neu ist.“ Einen Ort, an dem der eine oder andere stolz sein könne, weil er das Mahnmal mitgestaltet habe, sagte Gerz am Freitag abend selbstbewußt, als er in der völlig überfüllten Marstall-Galerie sein Konzept vorstellte.

Nach der Vorstellung des in Paris lebenden Künstlers sollen 39 Lichtmasten die Besucher des Denkmals mit der Frage „Warum?“ in den 39 Sprachen der europäischen Juden konfrontieren. Die BesucherInnen können ihre Antworten in Gästebücher eintragen – exakt 165.359 über die Jahre gesammelte Antworten sollen als „work in progress“ in die am Boden eingelassenen Stahlplatten gefräst werden.

Von Gerz stammt unter anderem bereits das 1986 mit seiner Frau Esther Shalev-Gerz geschaffene Hamburg-Harburger „Mahnmal gegen Faschismus, Krieg und Gewalt“. Auf einer 12 Meter hohen Säule sollten die Betrachter ihre Unterschrift eingravieren, die Säule wurde Schritt für Schritt in den Boden versenkt. Gerz will mit seinen Konzepten provozieren, und das ist ihm im Marstall durchaus gelungen, was ihm insgesamt mehr Zustimmung, vereinzelt aber auch heftigen Widerwillen brachte. Von den vier Entwürfen, die in die engere Auswahl gekommen sind, sei Gerz' Entwurf der einzige, der die „Vorstellung von staatlich verordneter Trauer“ aufzubrechen versuche“, sagte eine Besucherin und erhielt dafür großen Beifall. Ein anderer Teilnehmer erkundigte sich nach der „Textredaktion“, also wie authentisch beispielsweise die aufgeschriebenen Antworten eingefräst würden.

Gerz möchte auf keinen Fall eine „gesäuberte Tafel“. Als er dann sagte, daß der Platz statt dessen durchaus „ein paar saftige rechtsextreme Sätze vertragen könne“, ging ein erschrecktes Raunen durch den bis zum Bersten vollen Saal. Andere kritisierten das „unerträgliche Pathos der Leuchtstäbe“.

Ein Zuschauer bewertete die von Gerz schon gebauten Mahnmale zwar als „außerordentlich beeindruckend“ und „großartig“, doch bei seinem Konzept für das Holocaust-Mahnmal handele es sich um „ein entsetzliches Mißverständnis“. Denn: An einem nationalen Holocaust-Denkmal stehe nicht den Tätern, sondern den Opfern die Frage nach einem Warum zu, sagte er. Die Opfer müßten in den Vordergrund gerückt werden. Er befürchte eine „Täter-Opfer-Vermischung“.

Für Gerz ist jedoch „die Frage nach dem Warum keine Frage nur der Opfer oder nur der Täter, sondern eine Frage von jedem“. Also eine Frage, die nicht nur die Shoah betrifft, sondern uns alle. Julia Naumann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen