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Debatte um WohnungenEingeschränktes Rederecht

Gesellschaft plant den Bau von Eigentumswohnungen an der Grenze Schönebergs zu Kreuzberg. Als bei einer Ausschussitzung die Anwohner aufbegehren, wird die Sitzung abgebrochen

Neubauten? Altbauten? Wie soll Wohnen in der Stadt aussehen? Bild: ap

Sibyll Klotz steckt im Dilemma. "Wenn man für neue Wohnungen keine weitere Zersiedlung im Außenbereich will, muss man eben in der Innenstadt verdichten", sagte die grüne Baustadträtin im Bezirk Tempelhof-Schöneberg am Mittwochabend. Der Konflikt zwischen den Plänen, jährlich mindestens 6.000 neue Wohnungen in Berlin zu errichten, und den ökologischen Anforderungen an eine zukunftsorientierte Stadt, ist Klotz gerade an der Bezirksgrenze nach Kreuzberg konfrontiert.

Dort plant die Projektentwicklungsgesellschaft UTB an der Rückfront der westlichen Häuserzeile der Eylauer Straße entlang der ICE-Strecke nach Leipzig einen von der Monumenten- bis zur Dudenstraße durchgehenden, rund 300 Meter langen Gebäuderiegel mit etwa 200 Eigentumswohnungen. Pikant dabei: Die Häuser an der Eylauer Straße gehören zu Kreuzberg, die geplanten Neubauten auf dem ehemaligen Bahngelände liegen in Schöneberg.

Deshalb hatten die Ausschüsse für Stadtentwicklung beider Bezirke zu einer gemeinsamen Sitzung ins Schöneberger Rathaus geladen. Der Schöneberger Ausschussvorsitzende Reinhold Janke (SPD) tat sich sichtlich schwer mit den zahlreichen Besuchern aus Kreuzberg - und beschränkte das Rederecht für einfache Bürger. Die Sitzung endete in einem Eklat, als Uli Zedler von den Kreuzberger Piraten, fachlich extrem gut vorbereitet, den beiden Bezirksämtern die investorenfreundliche Interpretation des Berliner Baurechts vorhielt und sich Michael Ickes von den Schöneberger Piraten einer Anwohnerin zur Verfügung stellte. Jeden Satz der Bürgerin wiederholte er lautstark als eigenen Redebeitrag. Für Janke war dies ein "Missbrauch des Rederechts", weshalb er die Sitzung abbrach.

Zuvor hatte Thomas Bestgen die neuen Pläne seiner eher aus dem alternativen Milieu kommenden Projektentwicklungsgesellschaft UTB vorgestellt. Die UTB hat die beiden Kopfgrundstücke an der Monumenten- und der Dudenstraße gekauft und "verfügt für die dazwischenliegende Gebäudezeile über eine Kaufoption", sagte Bestgen der taz. Der Riegelcharakter soll durch "differenzierte Höhen" entkräftet werden. Die Kaufpreise der Wohnungen bewegen sich zwischen 2.700 und mehr als 4.000 Euro pro Quadratmeter.

"Das sind nicht die Wohnungen, die wir hier brauchen", warf Florian Schärdel von den Kreuzberger Grünen ein. Auch Sibyll Klotz "wäre hier ein Neubau durch eine Genossenschaft oder eine städtische Wohnungsbaugesellschaft lieber gewesen". Der Einfluss der Bezirke beschränke sich jedoch auf das Baurecht.

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9 Kommentare

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  • UZ
    Ulli Zedler

    Demokratiedefizite und Rechtsbeugung zu Gunsten von Investoren, die 'neuen Wohnraum' schaffen für geschätzt 2,6-3,5 TEUR/m² sind verblüffend, wenn auch in Berlin nicht unüblich, geradezu erschreckend aber, wenn GRÜNE dabei in maßgeblicher Position mitagieren, wie Baustadträtin Sybille Klotz.

     

    Auch diesen Investor, der auf das Hochpreissegment abzielt, könnte ein kluges Bezirksamt mittels städtebaulichem Vertrag einen Teil Wohnungen als Mietwohnungsbau zu günstigen Konditionen 'abtrotzen', aber das muß man wollen, und das Baurecht hierzu gezielt einsetzen, also z.B. die Baugenehmigungen völlig rechtskonform verweigern, damit den Investor an den Verhandlungstisch zwingen, und dann das Beste für die Bürger herausholen.

    Sind die Bauabsichten des Investors ehrlich und ernsthaft, wird er sein Projekt anpassen.

    Ist er 'nur' renditehungrig, dann baut er eben nicht.

     

    Vertane Chance seitens des Bezirksamtes, und die geheuchelten Krokodilstränen ("wir mußten ja genehmigen") wirkten reichlich unehrlich.

  • B
    Barbaros

    Klüngel und Bürgerfeindlichkeit werden in diesem Ausschuss ja immer schlimmer. Der Leiter muss endlich abgesetzt werden. Auch in Sachen Barbarossaplatz wurden schon Sitzungen einfach abgebrochen, als betroffene Anwohner sich Gehör verschaffen wollten. http://barbarossastr59.dreipage2.de/

    Am Barbarossaplatz soll ebenso wie an der Eylauerstraße ein völlig überteuerter und unnützer Luxusbau entstehen. Für den Mitttelstand und die Ärmeren wird ja in dieser Stadt sowieso nichts mehr gebaut - im Gegenteil: Bezahlbarer Wohnraum und Stadtnatur werden für solche Heuschreckenprojekte sogar noch vernichtet. Und der CDU kanns gar nicht schnell genug gehen, sie will am 15.02.2011 in der BVV eine "große Anfrage" stellen...

  • B
    Baumfee

    Großes Lob an die Piraten: das nenne ich gelebte Bürgerbeteiligung! Michael Ickes hat uns BürgerInnen, die sich schon jahrelang engagieren und in Ausschüsse gehen, sehr beeindruckt, ja es war geradezu ein historischer Moment. Die Piraten bringen einen ganz neuen Wind in die Sitzungen, damit tun sich die "Alten" natürlich schwer.

  • SS
    Stefan Schaaf

    Die Geschichte des Geländes und vieles über die Problematik, es zuzubauen, lässt sich auf der Internetseite der BI Eylauer Straße im Viktoriakiez (www.viktoriakiez.de) nachlesen/-hören, /-schauen, vieles auch im Gleisdreieck-Blog eures ehemaligen taz-Kollegen Matthias Bauer (http://gleisdreieck-blog.de)

  • A
    azche24

    Die Renditeeinschätzung ist richtig - in diesem Fall negativ. Aber es kaufen derzeit auch geistig gesunde Menschen Altbau einfache Wohnlage in Prenzelberg für 3000 EUR/m².

    Die Anwohnerintiative ist unter http://www.viktoriakiez.de/ zu erreichen.

  • A
    AquaSerena

    Ja, es gibt eine Bürgerinitiative, zu sehen unter victoriakiez.de

    Was mich als Anwohnerin der Eylauerstr. wundert, ist, dass der Investor das jeweilige Endgrundstück schon gekauft haben soll. Der Geländestreifen endet an der Dudenstr. mit einem neubebauten Lidl-Grundstück, so dass kein Autoverkehr von Neubauten auf die Dudenstr. möglich wäre - und die Eylauer bzw. Katzbachstr. umso mehr belastet würden. Aber der Lidl-Bau wurde ja von Schöneberg genehmigt, während Eylauer+ schon Kreuzberg sind...! Wie praktisch!

    Wenn wenigstens finanziell erschwingliche Miet-Wohnungen gebaut würden!!

  • K
    kathrin

    @Hannes, ja in der Eylauer gibt es eine BI !

    Hier unsere URL: http://www.viktoriakiez.de

    Lob an Christoph und natürlich die Piraten!!

  • Y
    yberg

    wer im moment eine ETW dort für 4 riesen den meter in der lage und dem lärm kooft,muß mit dem klammerbeutel gepudert sein.

     

    finanzierungskosten bzw. entgangene rendite plus wohngeld entsprechen monatlichen kosten von 20 euronen pro meter,da sind noch nicht mal die heizkosten drin und die kalkulation ist auf kante genäht.

     

    luxusaltbau am ku,^damm und seitenstraßen ist selbst ohne gute verhandlungskunst zu weniger als 4000 euro zu kriegen und natürlich besser weiterzuverkaufen.

     

    im übrigen gestehe ich mir ein,daß ich mit meinem urteil über die piraten zu vorschnell war,denn die offenlegung aller abgeordneten einkünfte und auch wie im artikel beschrieben,die gewitzte interessenvertretung der bürger nötigen mir respekt ab.

     

    die piraten lösen also teilweise jahrzehntealte versprechen der alternativen/bürgerbewegten/grünen/linken ein.

     

    hut ab,weiter so...

  • H
    Hannes

    Danke für den TAZ-Bericht. Ich hoffe, Ihr bleibt dran mit der Berichterstattung und wir Berlinerinnen können nachvollziehen was dort geschieht. Ist bekannt, ob es eine Bürgerinitiative gibt? Wäre froh für die Info.