Debatte um Kurs gegenüber China: Tibetaner ohne Dalai Lama
Nach dem Scheitern des "Mittelwegs" diskutieren tibetische Vertreter aus aller Welt im nordindischen Dharamsala über den Kurs gegenüber China. Ohne den Dalai Lama.
DHARAMSALA taz 660 Gesandte von exiltibetischen Gemeinden und Organisationen begannen am Montag mit sechstägigen Beratungen. Ihre Ergebnisse werden sie Ende der Woche der Regierung unter Exil-Premierminister Samdhong Rinpoche und dem Dalai Lama vorlegen, dessen Residenz in Dharamsala liegt.
"Es gibt keine Anzeichen für eine Wandlung zum Positiven", sagte Premier Samdhong zum Auftakt der Beratungen. Das Ziel des Treffens sei eine offene Diskussion. Dabei sollten auch Kritiker der Exilregierung zu Wort kommen. "Welche Haltung zur Zukunft Tibets entschieden werden mag, sie soll ein klares Mandat des Volkes haben", sagte Samdhong.
Der 73-jährige Dalai Lama nimmt an der Konferenz bewusst nicht teil. Damit solle verhindert werden, dass die Gesandten in ihrer Meinungsbildung beeinflusst werden, sagte Regierungssprecher Lobsang Choedak. Das Treffen hatte er jedoch vor einigen Wochen selbst einberufen. Es ist das erste seiner Art und in der exiltibetischen Verfassung nur für Krisensituationen vorgesehen. Anfang November hatte der Dalai Lama erklärt, seine Politik des "Mittelweges", also der Versuch eines Ausgleichs mit Peking und die Forderung nach einer kulturellen Autonomie Tibets innerhalb Chinas, sei gescheitert.
Sprecher Lobsang erklärte, die Exilregierung habe in Tibet eine Umfrage durchgeführt, um sich ein Bild von der Meinung der Menschen dort zu machen. Befragt worden seien 17.000 Menschen in allen tibetischen Regionen und Mitglieder aller gesellschaftlichen Gruppen. Dabei hätten 8.000 Befragte erklärt, sie seien bereit, jeder Entscheidung des Dalai Lama im künftigen Umgang mit China zu folgen. 5.000 hätten sich dafür ausgesprochen, stärker für eine Unabhängigkeit Tibets einzutreten, während nur 2.000 angegeben hätten, der Dalai Lama solle weiter den "Mittelweg" verfolgen.
Vertreter der Regierung in Peking erklärten, die Konferenz repräsentiere in keiner Weise das tibetische Volk. Dennoch forderte China Indien unter Nachdruck auf, die Konferenz zu verhindern. Unterdessen gibt es Berichte, wonach Chinas Truppenpräsenz in Tibet anlässlich der Konferenz in Dharamsala erhöht wurde. Sondergesandte des Dalai Lama, die vor einigen Wochen ohne Ergebnis von ihren Gesprächen mit China zurückgekehrt waren, erklärten, es sei deutlich geworden, dass Peking kein Interesse daran habe, das Tibet-Problem ernsthaft zu lösen. Ihre unmittelbaren Erfahrungen mit der chinesischen Regierung dürften erheblichen Einfluss auf den Ausgang der Beratungen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW