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Debatte um Fußball-EM in der UkraineHitler, der „politische Vorläufer“ Merkels

Die deutsch-ukrainischen Beziehungen sind zerrüttet. Die Regierung spricht von „Methoden des kalten Krieges“, ein regierungsnaher Kommentator führt einen Hitler-Vergleich an.

Jesse Owens (M.) salutiert während der Siegerehrung der Olympischen Spiele in Berlin 1936, während Lutz Long (r.) aus Deutschland den Hitlergruß macht. Bild: dapd

LWIW taz | Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland sind auf einen Tiefpunkt gesunken. Nach Meldungen über einen möglichen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine durch hochrangige deutsche Politiker fährt das Kiewer Außenministerium schweres Geschütz auf: Von „Methoden des Kalten Krieges“ ist die Rede und vom Versuch, den „Sport zur Geisel der Politik zu machen“.

Ähnlich hatte man bereits die Absage von Bundespräsident Joachim Gauck auf die Einladung zum Treffen der osteuropäischen Präsidenten in Jalta kommentiert. Der Sprecher des Außenministeriums meinte, sie stehe nicht im Zusammenhang mit der politischen Situation in der Ukraine und dem Umgang mit Julia Timoschenko. Deutsche Medien hatten dagegen berichtet, die Entscheidung Gaucks sei in Absprache mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel erfolgt.

Ein der regierenden „Partei der Regionen“ nahe stehender politischer Kommentator legt in seinem Blog auf der Webseite der Internetzeitung Ukrainska Prawda noch eins drauf: Als Beispiel für politische Intoleranz und fehlende Weitsichtigkeit führt er die rassistisch begründete Weigerung von Adolf Hitler an, bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin dem schwarzen Leichtathleten Jesse Owens zu seinen vier Goldmedaillen zu gratulieren. Er nennt Hitler ganz beiläufig „den politischen Vorgänger“ von Angela Merkel auf dem Kanzlerposten.

Informationen

Kleine Chronik der Ukraine seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion

1991: Die Ukraine erklärt ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

1994: Bei Präsidentschaftswahlen siegt Leonid Kutschma.

1996: Demokratische Verfassung wird angenommen.

2001: Der regimekritische Journalist Georgij Gongadse wird ermordet. Die EU fordert eine Untersuchung. Oppositionelle werfen Präsident Kutschma vor, er sei an der Tat beteiligt gewesen.

2004: Wiktor Janukowitsch erklärt sich nach massiven Wahlfälschungen zum Präsidenten.

2004: Orange Revolution. Demonstranten erzwingen eine Wiederholung der Wahl.

2005: Wiktor Juschtschenko wird Präsident, Julia Timoschenko Ministerpräsidentin.

2007: Timoschenko wird erneut Regierungschefin.

2010: Janukowitsch gewinnt die Präsidentschaftswahl gegen Timoschenko.

2011: Timoschenko wird zu sieben Jahren Haft verurteilt.

2012: Timoschenko seit 20. April aus Protest gegen Haftbedingungen im Hungerstreik. (tp)

Der Tenor des offiziellen Kiew und seiner Anhänger lautet: Der Westen soll sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten einmischen, der Sport darf nicht politisch instrumentalisiert werden, und Boykott ist kein geeignetes Mittel in der internationalen Politik.

Den harten Kurs eingeschlagen

Ganz nach dem Motto von vielen Diktatoren: Wir machen in unserem eigenen Land, was wir wollen, und dürfen nicht gestört werden. Während die Bundesregierung und die Europäische Kommission eher den harten Kurs einschlagen und das Europäische Parlament sich noch nicht zu einer gemeinsamen Linie durchgerungen hat, ist das Thema „EM-Boykott“ in der ukrainischen Opposition Anlass zu Diskussionen.

Arsenij Jazenjuk, dessen Partei nun zusammen mit Timoschenkos Vaterlandspartei bei den Parlamentswahlen im Herbst antreten wird, rief westliche Politiker auf, nicht das Land, sondern Präsident Janukowitsch zu boykottieren. Es wäre besser, wenn europäische Regierungschefs zur EM kämen, aber Janukowitsch ignorieren würden. Das Land brauche diese Fußballmeisterschaft, so Jazenjuk.

In den deutsch-ukrainischen Beziehungen kriselt es schon länger. Die „orangene“ Regierung hatte sich einst von Deutschland mehr Unterstützung für eine Aufnahme in die EU erhofft. Sie nahm es Berlin übel, dass es 2008 der Ukraine und Georgien beim Nato-Gipfel in Bukarest zusammen mit anderen europäischen Ländern den Aktionsplan zur Nato-Mitgliedschaft verweigerte. Der heutigen Regierung in Kiew ist die scharfe Kritik Berlins an innenpolitischen Entwicklungen längst ein Dorn im Auge.

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6 Kommentare

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  • U
    Unsportler

    Die politischen Zustände waren doch schon VOR der Ausrichtung der Fußball EM bekannt. Wer jetzt "plötzlich" die Nase darüber rümpft, kommt mir verlogen vor.

    Die Medienaufmerksamkeit (besonders für die hungernde Frau T.) ist so aber größer.

    Politik ist und bleibt ein dreckiges Geschäft u sollte schon allein aus diesem Grund von Sport getrennt werden.

  • H
    Harun

    Im Spektrum des kapitalistischen deutschen Blockparteien handelt es sich bei deren Empörung über den des Staatsterrorismus verdächtigen Umgang mit Frau Timoschenko um zwei –unterschiedliche- Schwundstufen alter deutscher Gefühls- und Denkmuster.//

    Bei den konservativen bis rechten Kräften kommt im Falle der Ukraine der alte Bolschewisten- und Russenhass zum tragen, der den wilden Osten am deutschen Wesen genesen lassen will. Besonders deutlich beim Gauck-ler und Frau Merkill. Natürlich kann man im Falle der Ukraine nicht mehr von "ostischen Untermenschen faseln" da seien die Klitschkos und Timoschenkos vor, man macht, wie im Jugoslawienkrieg, auf geläuterten, nurmehr antidikatorischen, "westlichen Humanismus.//

    Die anderen , ehemals leicht angelinkten, Ukraine-Retter der kapitalistischen Blockflöte, SPD und Grüne haben wahrscheinlich ebenfalls Reste des alten Haß auf die Sowjets , aber vermutlich auch auf die kulturell angeblich "zurück"gebliebenen Russen oder Russenähnlichen noch in den Bewußtseinskellern.//

    Bei ihnen aber ist der protestierende Umgang mit den Menschenrechten in der Ukraine mit ihrer besonderen politischen Biographie verbunden. Die alte Tante SPD hat vor Jahrzehnten wenigstens einiges von Marx gekannt, schon Skat gespielt. Die alten Grünen kannten sogar mal Lenin, wenigstens auszugsweise. In den Kellerräumen ihres Bewußtseins gibt es noch Reste eines sozialrevolutionären Impetus, der allerdings schon immer auf einem menschenrechtlich beschränkten, braven bürgerlichen Humanismus aufsaß. Soziale Revolution ist abgesagt, man sitzt schließlich nun selbst an den kapitalistischen Fleischtöpfen -o h n e Hartz 4.-Aber „rest-revolutionär“ darf man , zumal wenn sie-s im Nato-Osterweiterungsgebiet schlimm treiben , wenigstens gegen p o l i t i s c h e Diktaturen „demonstrieren“ Da kann man sich doch , wie Künast, mit vordergründiger Berechtigung auf Marxens 11. Feuerbachthese berufend, fast noch wie ein Linker fühlen und zugleich die Wohltaten in den „gähnenden Höhen“ des Kapitalismus ohne schlechtes Gewissen genießen.!// – Es geht daher bei beiden Menschenrechtsgrummlern neuerdings(seit 1945) oder nurmehr um einen formalen Menschenrechtshumanismus, gekappt um den antikapitalistischen Impuls bei den ehemals sozialrevolutionär Gestimmten.// Daher protestieren beide Gruppen gegen terroristische Regimes wie in Saudi Arabien, am Golf oder in Israel höchstens noch moralisch, selektiv - auf jeden Fall unterhalb von Sanktionsdrohungen , wie sie jetzt im Fall der Ukraine wohlfeil aufgelegt werden.. Nur wenn-s auch wirtschaftlichen Erfolg verspricht und man sich prächtig als restrevolutionäre MenschenrechtsaktivistIn fühlen kann, läßt man auch -ohne Gefahr für das eigene Leben- unbedarfte BRD-Jung-Menschen Nato- neoimperialistische ", seelische und leibliche Gesundheit und Ethik verheerende, „humanitäre“ Kriege führen,( besonders unappetitlich Bomben-Fischer , Trittin, Claudia Roth, natürlich auch gewisse ehemalige Jungsozialisten mit ihrem Billig-Marxismus, heutige Schröderisten , die es einmal besser wußten , usw.-) etwa in Jugoslawien, Afghanistan .// Die immer entwürdigendere, immer gehetztere Lohnarbeit in der BRD und dem von ihr brutal ausgenutzten neoliberalen Globalkaputtalismus oder die gleichfalls immer schlimmere E r w e r b s l o s i g k e i t durch den anachronistische Arbeitszeiten und Arbeitshetze schon längst dementierenden Höchstproduktivitätskapitalismus aber ist beiden Menschenrechtshistrionikern keinen ernsten Protest , erst recht keine wirksame wirtschaftliche oder gar militärische Sanktion mehr wert.// Handfeste geostrategische und ökonomische Interessen(Nato-Osterweiterung im Sinne Brzezinkis), persönliche Privilegien-Erhaltung im immer mehr Menschen nicht nur in der EU aus wirtschaftlicher Verzweifelung in den Selbstmord treibenden Kaputtalismus u n d ein sich zugleich als moralisch hoch stehende Menschenrechtshumanisten oder ein schlechtes Gewissen beschwichtigendes ,sich als Rest-RevoluzzerInnen fühlen Wollen, das sind die wirklichen Motive dieser politisch selektiven Sanktionspolitik der Ukraine-Protestler des BRD-Kaputtalismus.

  • A
    Alex

    Da konnte man drauf warten, bis die Nazi-Keule gegen Deutschland heraus geholt wurde.

     

    Liebe Regierung von Ukraine (und auch schon unlängst Griechenland),

     

    habt ihr jegliche staatsmännische Größe verloren, auch ohne dieses stumpfsinnige Killerargument sachdienlich argumentieren zu können? Ich glaube, es sind wir deutschen, die sich am meisten wünschen, es hätte diese grauenvolle Diktatur in unserer eigenen Historie niemals gegeben.

     

    Dann geht doch jetzt mit gutem Beispiel voran und macht nicht die gleichen Fehler ...

  • VL
    vergessene Liebe

    Die Begründung vom `internationalen Fussball-Sport´ als eine Funktion für `Dialog und Kommunikation´ zwischen Nationen verschiedener historischer und gegenwärtiger Ideologischer Coleur... dient dem FRIEDEN in der WELT!! Und ist allen politischen Querelen übergeordnet!

    Dass so Gauck, Merkel etc. usw. sich `aufblasen´- als die Diener des NEOKONSERVATISMUS, die sie sind...und zum Boykott der EM in Ukraina aufrufen...

    Weil eine der reichesten Frauen der Ukraine- die einen Blauen Fleck hat und einen `Bandscheibenvorfall´ (wie mehrere tausend andere Leute in Ukraina auch, medizinisch unbehandelt..) erleidet.. und das im ukrainischen Knast... SCHRECKLICH ist das !!!

    Frau Timoschenko wird sich irgendwie kurieren, ob in Berlin oder sonstwo, und wird ihr Otium geniessen!

    ------------------

    Wichtig ist, dass die Fussball EM in Ukraina + Polen nicht von politischen Querelen gestört wird!

  • S
    Sportsfreund

    Lieber Juri,

    wenn Du schon einen Artikel an einer "historischen Begebenheit" aufhängst solltest Du Dich erst einem gründlich informieren:

    Es gibt genügend Hinweise darauf dass die "Hitler-Owens-Geschichte" falsch ist.

    Quellen:

    http://www.dailymail.co.uk/news/article-1205901/Forget-Hitler--America-snubbed-black-Olympian-Jesse-Owens.html

    http://en.wikipedia.org/wiki/Jesse_Owens

     

    Auch der "Vorgänger" Janukowytsch', Stanislaw Kossior, ist ein Massenmörder.

    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor

     

    Aber so lange unser Bundesgerd sich offen seinem "Männerfreund" Putin darbietet sehe ich keinen Grund für einen Boykott der EM.

    Zum Geschwafel des namentlich nicht erwähnten Kommentators sei gesagt:

    "Was stört es eine Eiche wenn sich eine Wildsau an ihr reibt?"

  • GN
    Graf Nitz

    Na ENDLICH!

     

    Wir hatten diese Woche noch keinen Nazivergleich!