Debatte um Fußball-EM in der Ukraine: Hitler, der „politische Vorläufer“ Merkels
Die deutsch-ukrainischen Beziehungen sind zerrüttet. Die Regierung spricht von „Methoden des kalten Krieges“, ein regierungsnaher Kommentator führt einen Hitler-Vergleich an.
LWIW taz | Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland sind auf einen Tiefpunkt gesunken. Nach Meldungen über einen möglichen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine durch hochrangige deutsche Politiker fährt das Kiewer Außenministerium schweres Geschütz auf: Von „Methoden des Kalten Krieges“ ist die Rede und vom Versuch, den „Sport zur Geisel der Politik zu machen“.
Ähnlich hatte man bereits die Absage von Bundespräsident Joachim Gauck auf die Einladung zum Treffen der osteuropäischen Präsidenten in Jalta kommentiert. Der Sprecher des Außenministeriums meinte, sie stehe nicht im Zusammenhang mit der politischen Situation in der Ukraine und dem Umgang mit Julia Timoschenko. Deutsche Medien hatten dagegen berichtet, die Entscheidung Gaucks sei in Absprache mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel erfolgt.
Ein der regierenden „Partei der Regionen“ nahe stehender politischer Kommentator legt in seinem Blog auf der Webseite der Internetzeitung Ukrainska Prawda noch eins drauf: Als Beispiel für politische Intoleranz und fehlende Weitsichtigkeit führt er die rassistisch begründete Weigerung von Adolf Hitler an, bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin dem schwarzen Leichtathleten Jesse Owens zu seinen vier Goldmedaillen zu gratulieren. Er nennt Hitler ganz beiläufig „den politischen Vorgänger“ von Angela Merkel auf dem Kanzlerposten.
Kleine Chronik der Ukraine seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion
1991: Die Ukraine erklärt ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion.
1994: Bei Präsidentschaftswahlen siegt Leonid Kutschma.
1996: Demokratische Verfassung wird angenommen.
2001: Der regimekritische Journalist Georgij Gongadse wird ermordet. Die EU fordert eine Untersuchung. Oppositionelle werfen Präsident Kutschma vor, er sei an der Tat beteiligt gewesen.
2004: Wiktor Janukowitsch erklärt sich nach massiven Wahlfälschungen zum Präsidenten.
2004: Orange Revolution. Demonstranten erzwingen eine Wiederholung der Wahl.
2005: Wiktor Juschtschenko wird Präsident, Julia Timoschenko Ministerpräsidentin.
2007: Timoschenko wird erneut Regierungschefin.
2010: Janukowitsch gewinnt die Präsidentschaftswahl gegen Timoschenko.
2011: Timoschenko wird zu sieben Jahren Haft verurteilt.
2012: Timoschenko seit 20. April aus Protest gegen Haftbedingungen im Hungerstreik. (tp)
Der Tenor des offiziellen Kiew und seiner Anhänger lautet: Der Westen soll sich nicht in die innenpolitischen Angelegenheiten einmischen, der Sport darf nicht politisch instrumentalisiert werden, und Boykott ist kein geeignetes Mittel in der internationalen Politik.
Den harten Kurs eingeschlagen
Ganz nach dem Motto von vielen Diktatoren: Wir machen in unserem eigenen Land, was wir wollen, und dürfen nicht gestört werden. Während die Bundesregierung und die Europäische Kommission eher den harten Kurs einschlagen und das Europäische Parlament sich noch nicht zu einer gemeinsamen Linie durchgerungen hat, ist das Thema „EM-Boykott“ in der ukrainischen Opposition Anlass zu Diskussionen.
Arsenij Jazenjuk, dessen Partei nun zusammen mit Timoschenkos Vaterlandspartei bei den Parlamentswahlen im Herbst antreten wird, rief westliche Politiker auf, nicht das Land, sondern Präsident Janukowitsch zu boykottieren. Es wäre besser, wenn europäische Regierungschefs zur EM kämen, aber Janukowitsch ignorieren würden. Das Land brauche diese Fußballmeisterschaft, so Jazenjuk.
In den deutsch-ukrainischen Beziehungen kriselt es schon länger. Die „orangene“ Regierung hatte sich einst von Deutschland mehr Unterstützung für eine Aufnahme in die EU erhofft. Sie nahm es Berlin übel, dass es 2008 der Ukraine und Georgien beim Nato-Gipfel in Bukarest zusammen mit anderen europäischen Ländern den Aktionsplan zur Nato-Mitgliedschaft verweigerte. Der heutigen Regierung in Kiew ist die scharfe Kritik Berlins an innenpolitischen Entwicklungen längst ein Dorn im Auge.
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