Debatte über Integration: "Multikulti ist absolut gescheitert"
Kanzlerin Merkel gibt Multikulti keine Zukunft. Sie stärkt damit Horst Seehofer, der die Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen stoppen möchte. Kritik kommt aus CDU-Kreisen und der Wirtschaft.
POTSDAM/BERLIN dpa | Bundeskanzlerin Angela Merkel will Zuwanderer bei der Integration stärker in die Pflicht nehmen. Sie müssten nicht nur die deutschen Gesetze achten, sondern auch die deutsche Sprache beherrschen, verlangte die CDU-Vorsitzende am Samstag beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in Potsdam. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül rief seine Landsleute in Deutschland derweil dazu auf, Deutsch zu lernen, "und zwar fließend und ohne Akzent".
Merkel stellte sich in Potsdam demonstrativ hinter die Kritik von CSU-Chef Horst Seehofer an der multikulturellen Gesellschaft: "Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!" Man müsse Migranten nicht nur fördern, sondern auch fordern. Dieses Fordern sei in der Vergangenheit zu kurz gekommen. Nach Bundespräsident Christian Wulff bezeichnete aber auch die Kanzlerin den Islam als einen Teil Deutschlands: "Das sieht man nicht nur am Fußballspieler (Mesut) Özil."
Auch der türkische Staatspräsident lobte Özil als "sehr gelungenes Beispiel für Integration" und verteidigte dessen Entscheidung, in der deutschen Nationalelf zu spielen. In der Süddeutschen Zeitung rief Gül seine Landsleute in Deutschland dazu auf, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Wulff besucht von Montag an fünf Tage die Türkei. Mit großer Spannung wird insbesondere seine Rede vor dem türkischen Parlament am Dienstag erwartet.
In der Debatte über den Fachkräftemangel wächst die Kritik an Seehofers Forderung, keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen zuzulassen. So sprachen sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) ausdrücklich dafür aus, die Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu senken, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.
Von der Leyen regte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an, die Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit zu überprüfen, wonach deutsche Staatsangehörige und EU-Bürger bevorzugt eingestellt werden. Schavan warnte in der Welt am Sonntag: "Nicht Einwanderung muss uns aufregen, sondern Auswanderung aus Deutschland."
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte demselben Blatt: "Die deutsche Wirtschaft braucht die Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften." Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann, warnte, inzwischen fehlten der Wirtschaft rund 400.000 Ingenieure, Meister und gut ausgebildete Fachkräfte. Deutschland verzichte dadurch jährlich auf rund 25 Milliarden Euro Wertschöpfung. "So geht uns rund ein Prozent Wirtschaftswachstum verloren."
Laut Focus bekräftigt Seehofer aber in einem Sieben-Punkte-Papier seine Position. Darin beharre er darauf, dass "Deutschland kein Zuwanderungsland" sei. Auch könne "ein prognostizierter Fachkräftemangel kein Freibrief für ungesteuerte Zuwanderung sein", so Seehofer. Den Zuzug Hochqualifizierter hält er für "ausreichend geregelt". Es dürfe "keine Aufweichung der restriktiven Regeln des geltenden Zuwanderungsgesetzes, keine Zuwanderung nach Kontingenten oder Punktesystemen geben". Der CSU-Chef spricht sich dafür aus, "Integrationsbereitschaft und Integrationsfähigkeit als zusätzliches Kriterium neben der Qualifikation" einzuführen.
Gegen integrationsunwillige Zuwanderer will die schwarz-gelbe Koalition dagegen die Gangart verschärfen. Das Bundesinnenministerium hat bei den Bundesländern eine Umfrage gestartet, welche Sanktionen gegen Migranten ergriffen wurden, die verpflichtende Integrationskurse geschwänzt haben. Das berichtete Sprecher Stefan Paris auf dpa-Anfrage. Die Ländern können in diesen Fällen die Sozialleistungen kürzen oder sogar das Aufenthaltsrecht beenden, verzichten aber oft darauf, weil sie gar keinen Überblick über die Teilnehmerzahlen haben.
Laut Focus bereitet die Koalition bereits einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Aufenthaltsrechts vor. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte mehr Sachlichkeit in der Integrationsdebatte. Es stehe doch außer Frage, dass "in Deutschland lebende Migrantinnen und Migranten die deutsche Sprache lernen und sich an unser Grundgesetz halten müssen", sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende laut Mitteilung. Dafür müsse verbal nicht immer stärker aufgerüstet werden.
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