Debatte über Energiewende: Feindbild Strompreise
Die Energiewende ist gefährdet – nicht wegen zu weniger Stromnetze, sondern weil Teile der schwarz-gelben Regierung nur noch über die Kosten reden.
Als hätte jemand ein Drehbuch geschrieben. Ein Drehbuch mit einem Plot, wie Medien, Politik und Öffentlichkeit Schritt für Schritt überzeugt werden, dass die Energiewende zu schnell, zu überhastet und zu teuer wird. Verfolgt man die öffentliche Debatte, entsteht genau dieser Eindruck.
Angela Merkel hat zwar klargestellt: Der Atomausstieg sei „beschlossen und unumkehrbar“. Doch allein das zeigt: So unumkehrbar scheint der Ausstieg für einige politische Akteure nicht zu sein.
Ihr Vehikel heißt: Strompreise. Als Nebendarsteller agieren Stromausfälle und Deindustrialisierung. Die gesamte öffentliche Debatte über die Energiewende kreist darum. Bis vor Kurzem gab es noch einen Bundesumweltminister namens Norbert Röttgen (CDU), der es mit der positiven Erzählung von Chancen und grünem Wachstum versuchte.
An diese Erzählung musste Merkel jetzt erinnern. Röttgen fehlt also. Denn sein Nachfolger Peter Altmaier (CDU) schwenkt voll auf die Linie der Bremser ein und erteilt dem eigentlichen Hintertreiber des Projektes, Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP), Absolution. Was die Energiewende angeht, ist Altmaier bisher Rösler II.
Wohlgemerkt, einiges an der Problemanalyse der beiden ist richtig, vor allem, dass sozial Schwache ein Problem mit ihrer Stromrechnung bekommen könnten. Nur ziehen sie falsche Schlussfolgerungen: Sie nehmen das Tempo aus der Energiewende und betonen ihre Probleme. Damit sorgen sie für so viel Verunsicherung in der Wirtschaft und der Öffentlichkeit, dass sie ihre eigene Prophetie erfüllen.
Allerdings: Nicht jede Problemanalyse ist gleich ein „Angriff auf die Energiewende“. So muss etwa der Ausbau von Windrädern und Solaranlagen dringend mit dem Ausbau der Netze synchronisiert werden. Der Bundesverband Erneuerbare Energie empfindet jede Debatte darüber als Versuch, die Energiewende zu stoppen. Mit dieser Art von Kompromisslosigkeit gewinnt man die Lufthoheit in der öffentlichen Debatte nicht zurück.
Blödsinn erzählt
Auf der anderen Seite lassen sich Teile der Industrie immer großzügiger von den Kosten für die Ökostromförderung und für die Netze befreien – und die Verbände jaulen, man müsse bald ins Ausland abwandern. Dreister geht es fast nicht. Reines Nebelkerzenwerfen, um von der eigenen Chuzpe abzulenken.
Wie wäre es damit: Angela Merkel gibt zu, dass sie Blödsinn erzählt hat, als sie versprach, die Strompreise würden wegen der Energiewende nicht steigen. Die mit Privilegien überhäuften Teile der Industrie nehmen in Kauf, dass sie im Gegenzug für volle Auftragsbücher durch die Energiewende auch was zu zahlen haben. Dafür bekommen Hartz-IV-Empfänger und sozial schwache Familien den Teil ihrer Stromrechnung, der zur Förderung erneuerbarer Energien eingesetzt wird, vom Staat zurück.
Überhaupt wird die Stromrechnung entrümpelt: Wer hat eigentlich noch auf dem Schirm, dass mit der Stromsteuer die Rentenkasse quersubventioniert wird – um die Lohnnebenkosten für die Wirtschaft zu drücken? Das wurde einst eingeführt, als Deutschland unter hohen Lohnnebenkosten ächzte. Heute ächzt Europa unter zu niedrigen Lohnnebenkosten in Deutschland.
SPD, Grüne und die Lobby für erneuerbaren Energien nehmen in Kauf, dass vielleicht nicht jeder Windpark genehmigt werden kann – ohne dahinter sofort eine Verschwörung der alten Atomkonzerne zu wittern. Philipp Rösler hört auf, das Lobbygeschwurbel von den Teilen der Großindustrie nachzuplappern, die seine Handynummer haben. Peter Altmaier fängt an, Umweltpolitik zu machen. Kurzum: Alle hören auf, die Energiewende für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Und setzten sie um.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen