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Debatte guter Aufstand, schlechter AufstandEin paar Tage sichtbar sein

Kommentar von Georg Seesslen

Ein guter Aufstand hat ein Ziel und Ideale. Ein schlechter Aufstand hat Opfer und ist sinnlos. Der schlechte Aufstand ändert die Verhältnisse nicht, er zeigt wie sie sind.

Guter Aufstand oder schlechter Aufstand? Ausschreitungen nach einer Demonstration für Bildungsreformen in Chile. Bild: dapd

M it Verwunderung wurde bemerkt, dass der Aufruf "Empört euch!" bei den Bürgern in der ökonomischen und sozialen Mitte viel mehr Gehör fand als bei den viel direkteren Verlierern von Neoliberalismus und Sozialabbau. Und nun "explodiert" auch in Europa einmal das Ghetto.

Doch statt eines Aufstandes sehen wir in Großbritannien ein sonderbares Durcheinander von Hooliganismus, Terror, Kriminalität, eine hedonistische Masse wendet sich blitzrasch vom ersten Anlass der Empörung, dem Übergriff der Polizei, ab und einer Destruktions- und Plünderorgie zu. Diese "Revolte", so scheint es, will nichts ändern, provoziert mit dumpfer Gewalt eine nicht weniger dumpfe Gegengewalt. Sie ist ein Schock, und sie ist, was zu erwarten war.

Guter Aufstand, böser Aufstand

Bild: privat
GEORG SEESSLEN

ist Publizist und Filmkritiker. Er lebt in Kaufbeuren und hat über 20 Bücher über das Kino geschrieben. Zuletzt erschien von ihm und Markus Metz: "Blöd-Maschinen: Die Fabrikation der Stupidität" (bei Suhrkamp).

Ein guter Aufstand hat ein Ziel und einen Diskurs. Ein schlechter Aufstand bricht aus oder entzündet sich. Ein guter Aufstand benennt den Gegner und sucht nach Allianzen. Ein schlechter Aufstand kommt übers "Wir zeigen es denen" nicht hinaus. Ein guter Aufstand formt in seinem Protagonisten Selbstbewusstsein, ein schlechter Aufstand erzeugt Rausch und Katzenjammer. Ein guter Aufstand hat Adressaten, ein schlechter Aufstand hat Opfer. In einem guten Aufstand geht es um Ideen und um Ideale, in einem schlechten Aufstand geht es um Randale, Flachbildfernseher und Schnaps. So einfach ist das?

Da ist der heroische, solidarische und kluge Aufstand der mittelständischen Jugend in der Arabischen Welt und in Israel. Und da ist der feige, materialistische und dumpfe Aufstand der Verwahrlosten. Da ist der gerechte Kampf einer Jugend, der man die Zukunft verweigern will, und da ist die sinnlose Brutalität von Kids, die nichts zu verlieren und nichts zu gewinnen haben als den schnellen Kick. Gewiss, so viel werden noch die empörtesten Kommentatoren zugeben müssen: Die tieferen Ursachen für die "guten" wie für die "schlimmen" Aufstände (und wenn die Grenzen einmal nicht mehr so eindeutig sind, wissen wir, wer die Definitionsmacht hat, sie zu ziehen) sind miteinander verwoben.

Wie die alten Diktaturen, so übertreibt es auch der neue Kapitalismus bei der Erzeugung von "überflüssigen Menschen", Menschen, die keine Zukunft aber sehr viel Energie haben. Und so, wie der bürgerliche Aufstand vor allem seine Bürgerlichkeit ausdrückt, drückt der Unterschicht-Riot seine Deplatziertheit aus. Dass man den eigenen Lebensort zerstört, ist nur konsequent, denn so wenig man Zukunft hat, so wenig hat man hier "Heimat".

Die moralische Empörung des bürgerlichen Aufstandes und die Energie der sozialen Revolte sind erst gemeinsam wirklich gefährlich. Doch so weit entfernt voneinander wie derzeit waren sie wohl noch nie. Nicht zuletzt, weil sich ein Bild zu festigen beginnt: Die Unterschicht des Neoliberalismus ist monströs, und sie hat offenbar kaum ein anderes "Klassenbewusstsein" als den Genuss dieser Monstrosität. Für den konservativen europäischen Mainstream ist die neue Unterschicht unerträglich, weil es sich für sie nur um ein "Anspruchsdenken" ohne "Leistungsbereitschaft" handelt.

Monströse Unterschicht

Das vielleicht Neue an der Unterschicht im Neoliberalismus ist eine ganze eigene Konsumkultur: Fernsehprogramme von erlesen schlechtem Geschmack, Überfluss von Nippes aus dem 1-Euro-Laden, Produktlinien der Ghettotextilien, das obligatorische Kapuzen-Outfit der Kids, die nur respektiert werden, wenn sie "böse" sind, und das rülpsende Massenentertainment der Eltern, das Herumhängen, spezifische Schnapssorten, eine eigene Sprechweise findet seine mediale Reflexion, sogar so etwas wie einen Unterschicht-Tourismus gibt es.

Wenn man alle Kulturwaren für die neue Unterschicht zusammennimmt, erkennt man eine doppelte Absicht: ein ökonomisches Segment, das dem Staat hilft, an Sozialleistungen zu sparen (diese neue Unterschicht lebt nicht im Mangel, sondern in einem giftigen Überfluss) und das den entsprechenden Konzernen enormen Profit abwirft einerseits, und die Erzeugung eben jener Dumpfheit und Blindheit, die man dann als Argument gegen das Verlangen einsetzt, aus diesem Ghetto herauszukommen.

Ist es nicht unerträglich, jemanden nicht aus Hunger, sondern wegen ein paar Markenartikeln aus der Fernsehwerbung rauben, plündern und sogar töten zu sehen, der vielleicht gerade eine Arbeit ausgeschlagen hat, weil er für die paar Kröten keinen Finger krumm machen will? Der Unterschichtler scheint sich dem Ethos des Kapitalismus so radikal zu verweigern wie er sich seinen Versprechungen und Illusionen unterwirft. Ist aber seine Rücksichtslosigkeit beim Haben-Wollen vom Kuchenstück nicht die direkte Spiegelung der Rücksichtslosigkeit des Bankers?

Bürgerkrieg gegen Plünderer

Aber noch unerträglicher als für das konservative Bürgertum ist die neue Unterschicht für die kritisch-dissidenten Teile des Bürgertums, die "sozialen Bewegungen" allzumal. So sind die allgemeine Lähmung und die eruptiven Riots der Unterschicht so wenig anschlussfähig wie diese Unterschichtkultur. Die Unterschicht im Neoliberalismus ist, bevor man sie als Opfer sieht, in ihrer medialen und öffentlichen Präsenz vor allem Karikatur des Systems. Im schlechten Aufstand plündern die Kids die Läden mit den Markenklamotten, denen der gute Aufstand den moralisch-ästhetischen Kampf angesagt hat.

Nicht minder vorhersehbar sind die Reaktionen in der Mitte. Dem Vater wird die Wohnung gekündigt, weil sein Sohn sich am Riot beteiligt hat. In der moralischen Empörung der Mainstream-Gesellschaft erkennt der Staat die Chance, schon wieder ein paar Elemente des Rechtsstaates über Bord zu werfen. Schon kursieren in England Internetpetitionen, in denen Randalierern das Recht auf Sozialhilfe abgesprochen wird, und dem Staat wirft man allenfalls vor, zu wenig Polizisten zu bezahlen. Kurzum: Es wird so etwas wie ein "Bürgerkrieg gegen den Terror" ausgerufen, und wie im so grandios gescheiterten Krieg gegen den Terror ist auch darin nur eines sicher: Die Produktion neuer Terroristen.

Hätten die "Randalierer" ein ähnliches Ziel wie die Terroristen, die wir als kalte Täter kennen, so hätten sie auch dieses erreicht: das Sichtbarmachen des Hasses in der Gesellschaft, das Sichtbarmachen des Unterschiedes. Die Stärkung der "Zellen" bzw. der Gangs. Es ist ein zweifellos terroristischer Selbstgenuss: Der Erfolg der Randale, neben ein paar am Ende wohl eher bescheidenen Beutestücken, ist das erhebende Gefühl, für ein paar Nächte Angst und Schrecken verbreitet zu haben, für einmal sichtbar geworden zu sein, und womöglich bleibt man es im Bürgerkrieg gegen den Unterschichtterror sogar für eine Weile.

Der schlechte Aufstand ändert die Verhältnisse nicht; er zeigt, wie sie sind. Wer will das schon sehen?

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24 Kommentare

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  • Jeder der sich nicht selbst belügen will. Wer wegguckt toleriert, dass was er eigentlich ja nicht sehen will. Hinschauen ist ein Weg zur Erkenntnis und der erste Schritt zur Verbesserung!

  • MK
    maria kübeck

    ach ja, und dann sind da noch die GUTEN intellektuellen, die sich zu obermoralität aufschwingen....

    wie schön, dass sie alles so gut wissen!

  • DG
    Das goldene Kalb

    Warum muss der Staat, Unternehmen oder Ich und Du Arbeitsplätze für andere zur Verfügung stellen?

    Wenn der Staat niedrig Qualifizierte Jobs zur Verfügung stellt, Straße kehren, Nachtwächter, Landarbeiter, werden eure Lieblinge zu frieden sein? Nein, denn sie werden diese Jobs nicht wollen, sie wollen Gansta-Rapper, Vorstandsvorsitzender, Musik-Agent, Werbefuzzi oder ähnliches werden, Hauptsache Status und Kohle.

    Wer wird Jobs zuweisen, wenn es staatiche Jobs für alle gibt? Und geht das nach Leistung, Alter, Durchsetzungsvermögen, Hautfarbe, politischer Einstellung? Was ist, wenn eure Lieblinge nach eurer eigenen Definition immer noch nicht Vorstandsvorsitzende werden dürfen?

    Müssen Eltern Kinder bekommen, die sie nicht erziehen können oder wollen? Wenn Eltern Kindern nichts an Bildung mitgeben, müssen die Kinder dann den ganzen Tag zur Schule/Kita, damit sie gleich gemacht werden? Oder ins Heim? Wer entscheidet darüber , ob sie dies müssen? Wenn Eltern und Kinder in die ausgestreckte Hand der Versorger beißen?

     

    "Lumpenproletariat. Zum ersten Mal gebraucht Marx den Begriff in seiner Auseinandersetzung mit Max Stirner, dem er vorhält, das Proletariat zu verwechseln mit „ruinierten Bourgeois und ruinierten Proletariern, [...] einer Kollektion von Lumpen, die in jedem Zeitalter existiert haben“, d.h. mit dem Pauperismus, welcher „die Lage nur des ruinierten Proletariats, die letzte Stufe ist, auf die der gegen den Druck der Bourgeoisie widerstandslos gewordene Proletarier versinkt, und nur der aller Energie beraubte Proletarier ein Pauper ist.“ [4]. Zu diesem „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“ zählte Marx „Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Tagediebe, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Zuhälter, Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen `la bohème´ nennen“ [5]. Im Kommunistischen Manifest beschrieben Marx/Engels die subproletarischen Gruppen als „passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft“. Wenn sie auch in der von den Autoren erwarteten proletarische Revolution „stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert“ werden würden, so würden sie doch ihrer ganzen Lebenslage nach „bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen“ [6]. Als „Mobilgarde“ der Reaktion [7] sah Marx im Lumpenproletariat eine Gefahr. Dass das in seiner Zusammensetzung sehr heterogene „Lumpenproletariat“ sich nicht wie die Industriearbeiterschaft organisieren lasse, ein geringes Bewusstsein seiner Interessenlage habe und offen für Bestechung durch den Klassengegner sei, sah man in der Arbeiterbewegung als Problem. Es schied wegen seiner Unzuverlässigkeit und seiner Unfähigkeit zur Entwicklung eines proletarischen Klassenbewusstseins als Bündnispartner der Arbeiterklasse aus."

  • TH
    Tiefschwarzes Hochdruckgebiet

    Bin über das spiegel Forum auf diesen Artikel gestossen. Sehr gut geschrieben. Werde mir als tiefschwarzer auf taz jetzt öfters den Horizont erweitern . Danke

  • F
    Furz

    @Rülps

     

    Ich glaube, dass der Autor und Sie gar nicht so unterschiedlicher Meinung sind.

     

    Vielen Dank für den guten Artikel!

  • R
    *Rülps*

    Womit die Fronten ja wieder mal geklärt wären: Ein schöner Selbstvergewisserungs-Artikel für satte Bildungsbürger.

     

    Schön oberflächlich, von den sozialen Verhältnissen in GB hat der Autor jedenfalls keine Ahnung. Hatten nicht auch Leute der middle class lustig mitgeplündert? (Drohende) Armut und der Kampf ums Überleben betrifft weite Teile der Bevölkerung. Ist jetzt der Besitz eines Blackberry's Beleg für einen materiellen ("giftigen") Überfluss? Hier mag das so sein, anderswo nicht. Der Autor argumentiert aus seinem feingeistigen deutschen Tunnelblick heraus.

     

    Warum sollte in England nicht noch eine veritable Protestbewegung entstehen? Die Gründe für die Krawalle sind eindeutig politischer Natur. Insofern bestehen beste Chancen für eine Re-Politisierung der Massen (ähnlich wie in den 80ern).

     

    Ich denke, der Autor wird sich noch verwundert die Augen reiben ....

  • WS
    Wahn Sinnige

    "Du bist, was du isst", heißt es. Und obwohl der Reim ziemlich haarig [D. Ziuk] ist, gilt offenbar außerdem: "Du wirst, was du hörst". Mensch muss wohl einfach nur lange genug die Ohren aufsperren, wenn er sich selbst gründlicher ruinieren möchte, als jeder andere es gekonnt hätte.

     

    Nachdem nicht einmal alle Kommentatoren auf dieser Seite den "tieferen Sinn" des Artikels begriffen zu haben scheinen, würde mich mal interessieren, ob der Publizist und Filmkritiker Georg Seesslen einen Zusammenhang sieht zwischen dem "Fernseh- [A.d.V.: Radio- und Kino-] programme von erlesen schlechtem Geschmack" das die "Unterschicht im Neoliberalismus" (und offensichtlich nicht nur die) mangels real existierender Alternativen zu konsumieren pflegt, und der Art und Weise, in der "schlechte Aufstände" die "herrschenden Verhältnisse" zeigen.

     

    Ich finde ja, die Umsetzung der medial allseitig propagierten und selbst in der taz hier und da mit wachsender Begeisterung multiplizierten Auf-Forderung: "Denk nicht, fühle!" ist in London (und zuvor in Paris oder in Süditalien) ausgesprochen gut gelungen.

     

    Dass der arabische Raum an dieser Stelle noch ein wenig hinterher hinkt, wundert mich im Übrigen nicht. Die Leute dort gehen ja gerade erst (und zwar in hier nur noch selten zu erlebender Einigkeit für die großartigen "Errungenschaften" auf die Straße, die wir Ossies seit nunmehr 20 Jahren genießen dürfen zum Dank für unseren "guten Aufstand". Also bitte: Nieder mit dem dorsolateralen präfrontalen Cortex! Freiheit fürs Stammhirn! Und ein Prosit der Gemütlichkeit!

  • S
    schwach

    @FRITZ

    lass es sein! du kommst niemals über dein NEIN hinaus... lächerlich

     

    abstoßend und ekeleregend!

     

    Nus so: Zumal die Frage gar nicht harmlos ist! Aber wie gesagt...

  • T
    Tutti

    Toller Artikel! Öffnet hoffentlich manchem die Augen

    und auch klasse Kommentar von "ein-langerGe-dank-e"!

     

    @Lisa L.: zu Ihrer Äußerung "Ich könnte platzen, der Artikel strotzt nur so vor Arroganz." - Entschuldigung Lisa L., haben Sie einen anderen Artikel als ich gelesen?

  • I
    impulshund

    Die Riots sind eine affirmative Revolte. Ich kann tw. zustimmen, dass der Gesellschaft der Spiegel vorgehalten wird und sie ihr Spiegelbild als das Bild des Fremden, des Eindringlings wahrnimmt.

    Mir fehlt aber die Auseinandersetzung mit der Zerstörung der Läden der Migranten und der Tötung der drei jungen Männer, die sich dem entgegenstellen wollten.

    Ein weiterer Aspekt, der mir fehlt, ist, dass wohl auch Gutsituierte geplündert haben.

    Die letzten beiden Ereignisse verweisen darauf, dass eine Faszination an der Ausnahmesituation gegeben war. Das beruhigt mich nicht unbedingt, das könnte auch von ganz rechts instrumentalisiert werden.

  • F
    FRITZ

    Es ist schon immer eine der widerlichsten Instrumente der Demagogie gewesen, vermeintlich harmlose Fragen in den Raum zu stellen und nicht zu beantworten (um sich dann auf das "man wird doch noch fragen dürfen zurückzuziehen, wenn man angegangen wird). Die Sprachfigur ist also nicht nur perfide sondern auch feige.

     

    "Ist aber seine Rücksichtslosigkeit beim Haben-Wollen vom Kuchenstück nicht die direkte Spiegelung der Rücksichtslosigkeit des Bankers?" schreibt der Schmierfink. Um das so nicht im Raum stehen zu lassen, eine kurze Antwort auf diese dumme Behauptung in Frageform:

     

    "Nein."

     

    Und um es dem Autor mal gleich zu tun: "Sind sprachliche Absonder- und Scheußlichkeiten wie "Haben-Wollen vom Kuchenstück" auch ca 30 Jahre nach Erscheinen von Henscheids "Dummdeutsch" noch notwendig?"

  • EC
    El Commandante

    Dem schließ ich mich an. Vielen Dank

  • AB
    Alex B.

    Dem kann ich mich nur anschließen. Der Artikel bringt es wunderbar auf den Punkt.

     

    Die einzige Hoffnung für unser aller Dasein kann es nur sein, dass sich irgendwann soziale Revolte und moralische Empörung vereinigen,sodass der zerstörerischen Richtung, in der sich die Welt entwickelt, endlich Einhalt geboten wird.

    Aber bisher funktioniert das divide et impera immer noch ausgezeichnet: Wir hier oben, die da unten. Selbst der Anti-S21- oder Atom-Demonstrant rümpft die Nase über den "Mob" in London oder Birmingham, wo doch die Aktion beider Gruppen im Endeffekt dieselben Ursachen und Gegner haben: Kapitalistische Verwertungslogik, Zerfall von Orientierung am Gemeinwohl und gesellschaftlicher Solidarität- Politiker, die sich um das alles einen Dreck scheren.

  • PM
    Peter M.

    Ich kann mich meinem Vorredner nur anschließen. Ein sehr gelungener Artikel. Vielen Dank.

  • JI
    Just in Biber

    So gut ich den Artikel ja prinzipiell finde, muss ich doch mal anmerken, dass ich dem letzten Absatz überhaupt nicht zustimme ("Der schlechte Aufstand ändert die Verhältnisse nicht; er zeigt, wie sie sind. Wer will das schon sehen?").

     

    Denn eine Veränderung ist per se noch nichts Gutes. Schließlich kann sich ja auch alles zum Schlechteren verändern.

    Und dass die Verhältnisse so, wie sie sind, nicht gut sind, ist noch längst nicht jedem klar.

     

    Enttäuschend verlaufen sind die Riots jedoch allemal. Der Thatcherismus hat die Revolte bekommen, die er sich selbst herangezüchtet hat: konsumeristisch, egoistisch und dumm.

  • S
    Skit

    Ganz großes Kino! Tausend Dank für diese gelungenen Worte

  • T
    Truchsess

    Ausgezeichneter Artikel. Inspirierend... auf tragische Weise. Auf jeden Fall eine Bereicherung der Sicht auf die aktuellen Zustände.

    Mal wieder: Danke Taz.

  • P
    Pringles

    Einer der besten, wenn nicht sogar der beste Artikel, den ich bzgl. der London-Riots gelesen habe!

    Vielen Dank dafür.

  • P
    PeterPan

    Kann mich der Zustimmung nur anschließen. Alles sehr schön auf den Punkt gebracht. Ich bin konservativ und der TAZ sehr dankbar, dass Sie mir hilft über den Tellerrand zu schauen und zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Dieser enthemmte Konsumismus ist eine Geißel, eine Hydra, die wir im Wahn des Wirtschaftsliberalismus geweckt haben und die im Begriff ist, das, was von unserer Gesellschaft noch über ist, vollends zu zerstören. Ihr leistet hier einen wichtigen Beitrag dafür, dass es nicht so kommen mag. Macht bitte weiter Ihr "roten Socken"!!!

  • A
    Anon

    Was ist der Unterschied zwischen englischen Randalierern und libyschen Freiheitskämpfern ?

    .

    .

    .

    .

     

    Luftunterstützung

  • E
    ein-langerGe-dank-e

    Hallo zusammen!

     

    Meine Lieblingskolumnistin hat wieder einen vom

    Stapel gelassen - oder:

    Wie kann man davon ausgehen, dass wenn man

    Menschen zwischen ihrem zweiten und 16ten

    Lebensjahr mit Werbung toller Produkte vollknallt

    und dann aber nicht die Strukturen schafft, so

    dass sie sich mit 16 Jahren die Produkte kaufen

    können, wie kann man dann ernsthaft annehmen, dass

    das alle hinnehmen? Und wozu?

     

     

    Liebe Unfreiheit!

     

    Auch wenn die Unruhen in England kein

    zitierfähiges Motiv haben und bei ihnen geplündert

    wird – sie sind politisch.

     

    Es ist das Grunddilemma einer jeden

    Berichterstattung über soziale Unruhen, dass sie

    sich zunächst mit deren Ästhetik beschäftigt und

    darin die Ursache zu finden versucht. Manche

    Kommentatoren meinen deshalb, jugendliche

    Engländer, die nachts ihre Infrastruktur

    zerstören, seien apolitisch, destruktiv und

    konsuminteressiert.

     

    In den vergangenen drei Jahren ist die

    Jugendarbeitslosigkeit in England um 40 Prozent

    gestiegen. Ein Fünftel aller unter 25-jährigen hat

    keine Arbeit. In Tottenham fallen auf eine

    Arbeitsstelle 57 Arbeitssuchende. Das

    Erscheinungsbild von Armut und Protest hat sich

    verändert. Früher kannte der Arme die Umstände

    seiner Armut nicht im Detail. Heute sind Vorgänge

    in Banken, im Parlament, auf dem Immobilienmarkt

    oder dem Börsenparkett transparenter. Auch der

    chinesische Wanderarbeiter und die indische

    Näherin verstehen, wo sie stehen und wo die

    anderen stehen.

     

    Du kannst heute ein Tunesier, Ägypter oder

    Algerier sein, der damit leben konnte, dass sein

    Staat korrupt und autoritär war, solange du dir

    Nahrung und Kleidung leisten konntest. Erst wenn

    du deine Arbeit verlierst, hast du das Gefühl, du

    wirst im Stich gelassen. Du kannst heute ein

    Israeli sein, der damit leben konnte, dass sein

    Staat weltweit über das höchste Militärbudget pro

    Kopf verfügt, solange du die Miete zahlen

    konntest. Wenn du merkst, dass dir das zunehmend

    schwerer gelingt, weil dein Lohn nicht reicht,

    fängt es an in dir zu brodeln. Du kannst heute ein

    Engländer sein, der sieht, dass sein Jugendzentrum

    geschlossen wird und dass der Schulabschluss

    nichts nützt und du merkst – es raubt dir den Bock

    aufs Leben.

     

    Ganz gleich ob in Tunesien oder Ägypten, Tel Aviv

    oder Tottenham, wenn du morgens aufwachst und

    siehst, dass dein Problem von hunderten oder

    tausenden Menschen geteilt wird, kapierst du, es

    liegt nicht an dir. Der Virus sitzt im System.

    Dann hast du Wut! Deine Wut mobilisiert deine

    Kräfte, du gehst hoch, du gehst los – gemeinsam

    mit anderen bist du die Bewegung; über ein

    Manifest oder zitierfähiges Motiv für die Medien

    machst du dir erstmal keinen Kopf.

     

    Die unterschiedlichen Protestformen sind abhängig

    von Einkommen und Bildungsstand der Massen. Die

    Mittelschicht gestaltet Plakate, wird in Talkshows

    eingeladen, schreibt Gastbeiträge in Zeitungen und

    meldet ihre Protestroute ordnungsgemäß an. Andere

    schütten ihr Herz in der Dunkelheit aus. Ein

    14-jähriger Engländer, der sieht, wie die Welt um

    ihn herum aufgemotzt, saniert und mit Eichenholz

    veredelt wird, derweil ihm nur die beschissene

    Bushaltestelle als Treffpunkt bleibt, äußert seine

    Wut anders als ein schlecht bezahlter Ingenieur

    und Familienvater aus einer Nebenstraße des Tel

    Aviver Rothschild Boulevard oder ein Student aus

    Teheran.

     

    Wir sollten aufhören, die einen mit Begriffen wie

    Plünderer und Randalierer zu entpolitisieren,

    während die anderen einer Demokratiebewegung

    zugeordnet werden, wo vielleicht sozioökonomische

    Aspekte im Vordergrund stehen.

     

    Was alle miteinander eint, ist, dass ihr Zorn und

    ihre Wut über drohende oder tatsächliche Armut sie

    unfrei macht. Wir müssen auch über Rassismus und

    Ausgrenzung reden. Es geht immer um Freiheit. Es

    geht darum, dass die Menschen auf der ganzen Welt

    sehen, dass die einen vermögender, gebildeter und

    freier werden und die anderen unfreier.

  • TF
    Thomas Fluhr

    Welche Gang gewinnt sieht man jeden Tag in den Medien und Nachrichten. Sie haben eine unschlagbare Waffe, Geld und das verteidigen sie mit wirklich allen Mitteln, außer etwas abzugeben.

  • LL
    Lisa L.

    Ich könnte platzen, der Artikel strotzt nur so vor Arroganz.

     

    So ein Müll. Wie kann man von Jugendlichen, die nur noch ein Minimalmaß an Zuwendung und Bildung erfahren, einen politischen Kampf in Europa erwarten? Es ist nun mal ein Unterschied, ob ich arm bin in einer Überflussgesellschaft oder ob ich arm bin in Palästin. Während in der westlichen Welt die Familienstrukturen das schon lange nicht mehr auffangen können, weil nicht mehr existent oder in schlimmstem Zustand, sind in der weitaus ärmeren Welt oft noch die Familien intern intakt und vermitteln Werte, trotz Represalien, Krieg und Armut.

     

    Es ist doch nicht die Schuld der Jugendlichen dass sie in deformierte westliche Gesellschaften hineingeboren werden.

     

    Der Artikel sagt alles aus, was ich an "Linksalternativen" so schreckliche finde, die Arroganz gegenüber denen die man als Assis bezeichnet, steht den Neoliberalen in Nichts nach.

  • D
    Danke

    Vielen Dank für diesen Artikel.