Debatte Zukunft der Bildung: Vom Server lernen
Der geplante "Trojaner" der Schulbuchverlage beweist, dass die Bildungskartelle wenig verstanden haben. Denn die Zukunft liegt nicht im Buch, sondern in der Cloud.
Seit Neuestem steht ein trojanisches Pferd vor deutschen Schulen herum. Es ist kein Holzpferd wie einst vor den Toren Trojas, sondern ein Computerprogramm, eine Software.
Erfinder dieses Schultrojaners sind die Schulbuchverlage. Sie haben gemerkt, dass die deutschen Lehrer sich ihren Unterricht nicht nur aus Büchern zusammenkopieren, sondern auch per "copy and paste" aus digitalen Lehrwerken. Die Verlage wollen Geld für solche Kopien.
Manche behaupten von dem Schultrojaner, dass er in Rechnern verbotene Kopien von Schulbüchern ausfindig machen und gewissermaßen zählen solle. Und sonst nichts. Allerdings kann das trojanische Pferd der Verlage viel mehr als wir denken. Niemand weiß, welche kleinen datenfressenden Soldaten es in seinem Bauch trägt.
"Vollkommen ungefährlich!"
Die Lehrerverbände denken nun, sie hätten das Pferd verscheucht. Kein Troja. Keine fremden Spione in Mailprogrammen, PC-Tagebüchern oder getarnten Ordnern von Lehrern und Schulen. Was sich die organisierten Lehrer vorstellen, ist naiv. Sie meinen, ihr empörter Ruf "Lehrer sind keine Raubkopierer!" habe die Akteure zivilisiert. Unsinn. An dem Schultrojaner wird selbstverständlich weitergebaut.
Der Trojaner, genauer die Plagiatssoftware der Verleger, wird wohl erst 2013 auf Rechnern in deutschen Schulen installiert. Aber die Verzögerung hat nichts mit den Muskeln der Lehrerverbände zu tun. Es hängt an der Komplexität der Sache. Was die Plagiatssoftware ganz genau untersucht und herausleitet, das wissen nur ein paar Nerds. Die Schulbuchverleger selbst wissen es jedenfalls nicht. "Eine sehr komplexe Angelegenheit", so raunen sie und versichern: "Es ist vollkommen ungefährlich!"
ist Bildungsredakteur der taz.
Diese Haltung ist ein starkes Stück. Nicht wissen, was gespielt wird - aber behaupten, es sei ungefährlich. Niemand könnte sich so etwas erlauben - nur die beiden Kartelle von Kultusministern und Schulbuchverlegern. Die Kultusminister ermächtigen private Unternehmer, eine Kontrollsoftware zu schreiben, die sich gegen Lehrer öffentlicher Schulen richtet. George Orwell ist ein Kobold, der uns ausspäht und sich obendrein über uns lustig machen will.
Beim Schultrojaner geht es aber um viel mehr als um ein paar unbezahlte Kopien. Auf der Tagesordnung steht (erstens) ein immer noch lukrativer Schulbuchmarkt und (zweitens) die Zukunft des Lernens.
Zum Ersten: Wie alle Verlage, die Bücher nach Gutenbergscher Art drucken, hat auch die Schulbuchbranche Angst vor der Zukunft. Wie lange kann das Buch in Zeiten von Internet und E-Book überleben? Nur die Schulbuchbranche hat als einzige Zugriff auf den Staat. Also versucht sie, ihr Quasimonopol zu konservieren.
Zweitens geht mit dem Schulbuch auch das Leitmedium der alten Schule verloren. Die ganze Lehrplanschule fußt auf dem Satz: Wir schlagen Seite 37 auf, alle! Die Schule ist um diesen Satz herum gebaut: ein Lehrer, der durch kanonisches Buchwissen navigiert; einer, der vorne steht und den Sinn des Ganzen vermittelt - leider oft auch ziemlich viel Unsinn.
Endlich liquides Lernen
Die Schule von morgen aber wird eine andere sein. Sie setzt nicht mehr auf frontale Wissensverklappung. Es wird nicht mehr monopolisiert, sondern in Teams nach besten Lösungen gesucht. Jeder Einzelne muss so kreativ sein, wie es nur geht - und er muss dabei mit anderen kooperieren. Kurz: Lernen1.0 ist frontal, autoritativ sinngebend und starr. Lernen2.0 ist dezentral, kollaborativ sinnstiftend und fluid. Liquid, wie die Piraten so gern sagen.
Das Buch als zentrale Basiseinheit unseres Wissens, es löst sich auf in die Cloud, es verflüssigt sich in Häppchen, Bits, Tröpfchen von Wissen. Wir stehen vor einem digitalen Klimawandel, wie der Web2.0-Denker Martin Lindner jüngst in der taz schrieb. Und wie beim richtigen Klimawandel stemmen sich auch bei diesem die alten Mächte gegen die Wirklichkeit. Sie krallen sich am Buch fest, die einen, weil es noch Geld abwirft (Verleger), die anderen, weil sie das Fundament ihrer alten Lernvorstellung ist (Kultusminister).
Um zu verstehen, wie absurd das alles ist, muss man nochmals einen Moment zum Schultrojaner zurück: Um das Buch zu schützen, errichten die Verleger nun eine riesige Datenbank, in der ein digitaler Zugriff auf alle Schulbücher besteht. Das ist der Vergleichspool, den die Plagiatssoftware im Kopf hat, wenn sie durch Schulrechner wuselt und nach verbotenen Kopien sucht.
Der Bau dieser gigantischen virtuellen Schulbibliothek aller Schulbuchverlage enthält zugleich eine ironische Wendung: Er zeigt uns die Zukunft. Denn das Wissen ist dann ja nicht mehr wie in einer Ecoschen Geheimbibliothek von Mönchen bewacht, nein, es befindet sich auf einem Server. Es steht anschlussfähig in einer Clowd bereit. Wenn Angriffspläne der US-Armee geknackt werden können, wieso sollte ausgerechnet der Schatz der Schulbuchverlage sicher sein? Ein Education-Hacker oder, am besten, ein findiger Achtklässler könnte ihn anbohren - und den Plagiatswurm in die andere Richtung fressen lassen.
Steinbruch des Wissens
Aus dieser Perspektive betrachtet ist der virtuelle Bücherturm keine Datenbank mehr, sondern die Grundlage offen zugänglicher Lernmaterialien, "open educational resources". Sie dienen nicht mehr als Metternichscher Zensurkanon, um andere zu bestrafen. Sondern aus ihr wird: ein Steinbruch des Wissens. Aus ihm teilen die Verleger nicht mehr vorformatierte Wissens- und Kontextpakete namens Buch zu. Nein, die Lehrer, letztlich alle Lernenden schürfen dort Schäufelchen des Wissens, das sie in neuem Kontext der Welt zur Verfügung stellen wollen.
Dieser Turm des Wissens ließe sich nicht nur anders anzapfen, sondern auch anders befüllen. In ihm stellen Lehrer anderen Lehrer aufbereitete Lernbausteine zu Verfügung: Aufgabensammlungen, Wochenpläne, Projektideen. Aber sie täten das eben nicht mehr auf Papier, sondern online.
Das ist die Zukunft des Lernens: Baut nicht den Schultrojaner, sondern eine Plattform, die als offener Wissensspeicher dient - für das Lernen von morgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch