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Debatte WirtschaftskriseKartell der Krawalljournalisten

Kommentar von Albrecht von Lucke

Kein führender Journalist hat die ökonomische Großkrise rechtzeitig erkannt. Trotzdem überbieten sich die breitbeinigen Meinungsmacher weiter in analytischer Haltlosigkeit.

Der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, analysiert die gegenwärtige Krise der Medien als eine Krise der Verleger und ihrer Profitinteressen (taz vom 7./8.2.2009). So richtig diese Diagnose ist, sie liefert noch keine hinreichende Erklärung dafür, warum von keinem Journalisten in den führenden Printmedien die ökonomische Großkrise rechtzeitig erkannt und analysiert wurde. Offensichtlich haben wir es nämlich auch mit einer Krise der schreibenden Zunft und ihrer Protagonisten zu tun.

Untersucht man die Bundesrepublik auf ihre Brüche seit dem Umzug von Bonn nach Berlin im Jahr 1999, dann stellt man massive Veränderungen im Bereich der sogenannten Vierten Gewalt fest. Für die Medien ist die aufgekratzte "Berliner Republik" im Vergleich zum beschaulichen Bonn ein erstaunliches Biotop, das vor allem journalistischen Profilneurotikern zur Blüte verhilft. Henryk M. Broder und Matthias Matussek seien hier als die vielleicht auffälligsten Vertreter des neuen Typus des Krawalljournalisten genannt.

Kennzeichnend für den neuen "Berliner Stil" ist ein eigentümlich machistisches Maulheldentum, dessen Ziel in größtmöglichem "Putz" besteht. Frauen sind auch in den publizistischen Chefetagen nur marginal vertreten. Scharfzüngige und kritisch-analytische Journalisten mit dezidiert linker Haltung kommen in den großen Medien mit Ausnahme von Heribert Prantl kaum vor - selbst wenn sie durchaus populär sind, man denke etwa an Friedrich Küppersbusch.

Der langjährige Spiegel-Korrespondent Jürgen Leinemann sprach unlängst davon, dass den Politikern zunehmend das "innere Geländer" eigener Überzeugungen fehle. Für die journalistische Zunft gilt das nicht minder. Die erzielte Aufmerksamkeit ist ihr zumeist allemal wichtiger als der transportierte Inhalt.

Dabei handelt es sich keineswegs um ein Phänomen bloß der journalistischen Beiboote, im Gegenteil. Die Journalistin Franziska Augstein stellte vor geraumer Zeit fest, dass im Fall des Spiegel der "Fisch vom Kopf stinke". Tatsächlich entwickelte sich das einstige selbsternannte "Sturmgeschütz der Demokratie" in der Ära Aust zum reißerischen Aufmacher-Magazin. Entscheidend in den Augen des einstigen Chefredakteurs war ganz primär - und letztlich völlig apolitisch - der Hefttitel, der über den Erfolg am Kiosk entscheidet.

Dieser Zug zum Marktschreierischen zeigt sich jedoch nicht nur beim Spiegel, sondern gilt bis heute für weite Teile der hiesigen Medienlandschaft. Wenn etwa ein maßgeblicher FAZ-Herausgeber sich als Apokalyptiker in Permanenz erweist, kann das auf die Dauer nur abstumpfen. Zumal dann, wenn Frank Schirrmacher binnen weniger Monate vom radikalen Gegner von Rot-Grün und von staatlicher Regulierung zum führenden Kapitalismuskritiker mutiert - und dafür prompt mit dem renommierten Börne-Preis ausgezeichnet wurde.

Dieses Chamäleonhafte der Person Schirrmachers ist nur der radikalste Ausdruck der Tatsache, dass heute bei den meisten Journalisten eine klare Unterscheidung nach den politischen Grundkategorien links oder rechts kaum mehr vorzunehmen ist. Das zeigt sich auch an der journalistischen Sprunghaftigkeit bei der Wahl ihres Arbeitsplatzes. Man möchte gar nicht wissen, wie viele einstige taz-Journalisten heute bei Springers Welt in Lohn und Brot stehen. Von politisch begründeter Blattbindung kann jedenfalls keine Rede mehr sein.

Zum Ausdruck eines zutiefst verluderten Betriebes wird diese Tendenz jedoch dann, wenn wir uns den zweiten repräsentativen journalistischen Typus anschauen, den des Machtjournalisten. Dafür stehen in erster Linie die Namen Aust, Schirrmacher, Döpfner und Dieckmann. Die weitgehende Auflösung einstiger klarer politischer Unterschiede der Medien - Vorreiter auch hier der Spiegel -, hat dazu geführt, dass an der Spitze heute jeder mit jedem kann. Hier gilt die Devise: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Denn alle verbindet ein primäres Interesse: Macht in den Medien und über die Medien.

Beim distinguiert sich gebenden Springer-Vorstandsvorsitzenden Döpfner und seinem glatten Bild-Chef Dieckmann gehört die Kumpanei quasi schon von Hause aus zum guten Ton - beide verkörpern auf ihre je eigene Weise den Springer-Verlag. "Pornographie von oben" nennt der Schriftsteller Rainald Goetz deshalb die "simulierte Seriosität" des Springer-Chefs. Und was für die Bild-Zeitung dann doch intellektuell zu anspruchsvoll ist, erledigt Welt-Chefredakteur Thomas Schmid, ehemaliger Intimus von Joschka Fischer und Chefideologe des "Revolutionären Kampfes", als Döpfners Mann fürs Feine.

Noch problematischer wird die Kumpanei allerdings im konzernübergreifenden Dreiecksgespann Dieckmann, Aust und Schirrmacher. Hier wäscht eine Hand die andere, so etwa wenn Bild-Zeitung und Spiegel weite Teile der Schirrmacher-Bücher "Methusalem-Komplott" und "Minimum" abdrucken - und damit zu den eigentlichen Geburtshelfern für den Bestseller avancieren. Umgekehrt darf sich die Bild-Zeitung dann gerne an einem ebenso reißerischen Schirrmacher-Artikel über die angebliche "Deutschenfeindlichkeit" hier lebender Ausländer gütlich tun, der dem Boulevard-Blatt willkommene Munition in Roland Kochs letztem Antiausländerwahlkampf lieferte.

Man könnte das neue journalistische Machtkartell getrost vernachlässigen, wenn es dabei nur um Werbung für die neuesten Schirrmacher-Bücher ginge. Doch das Netzwerk zwischen Bild-, FAZ- und Spiegel-Meinungsmachern ist deshalb so problematisch, weil es die gegenseitige Kontrolle innerhalb der Vierten Gewalt ausschaltet. Journalisten werden zu Selbstherrlichkeit und Geltungssucht regelrecht verführt, wenn sie nicht wenigstens intellektuell Rechenschaft für ihre politischen Einschätzungen ablegen müssen. Kontrolliert sich die Vierte Gewalt nicht wechselseitig, durch gegenseitige harsche Kritik und Beurteilung, dann tut es keiner. Das aber fördert erstaunliche Verantwortungslosigkeit - und erstaunliche Radikalurteile.

Bis heute hat sich noch keiner der nicht ganz wenigen Journalisten und Intellektuellen, die so energisch für den Irakkrieg getrommelt haben und von einem schnellen Sieg überzeugt waren, zu dessen Scheitern verhalten - ob sie nun Henryk M. Broder oder Wolf Biermann heißen. Von keinem hört man heute irgendeine Form der Selbstkritik.

Wer die Politiker kontrolliert, muss selbst kontrollierbar sein. Ohne kritische Auseinandersetzung gerade unter Journalisten kann es nicht verwundern, wenn vermeintliche Überzeugungen von heute auf morgen aufgegeben werden, der politische Journalismus immer mehr an Kontur verliert und letztlich zur eitlen Selbstbespiegelung verkommt. Kurzum: Kontrollieren wir die Kontrolleure. Andernfalls bekommen wir nur die Journalisten, die die Berliner Republik (noch) nicht verdient.

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10 Kommentare

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  • DI
    Denk ich an...

    deutsche Medien in der Nacht, schlafe ich sofort ein. Jedes Volk kriegt die Presslümmel, die es verdient.

     

    Übrigens, auch wenn Wahrheit manchmal weh tut: Man braucht weder "links" noch "rechts", um als Journalist einen Standpunkt zu haben. Und ihn ab und an zu wechseln, ist auch nicht ethisch-moralisch verwerflich.

     

    Die Analyse geht von der falschen Prämisse aus, daß der deutsche Journalismus nach 1945 über Jahrzehnte nicht durch und durch korrupt gewesen sei.

     

    Recherchiert doch einfach mal, warum zum Beispiel beim "Spiegel" über Jahrzehnte - mit einer frühen, einmaligen Ausnahme - die Tabakindustrie, Rauchen und Risiko ein Nicht-Titelthema war, auch lange nach den Zigarettenanzeigen. Und wer sich daran eine goldenen Nase verdient hat.

     

    Ganz spannendes Thema für einsatzfreudige Nachwuchsreporter.

  • MR
    Martin Rath

    Ich dachte, Stefan Aust habe mittlerweile einen Vollzeit-Job in der Pferdezucht. Wie er sich da noch mit Schirrmachers Frank und dem Diekmanns Kai die Bälle zuspielen soll, ist mir schleierhaft.

    Matussek ist auch schon seit ein paar Tagen degradiert und Henryk M. Broder würde ich erst dann wieder lesen, wenn die EMMA ihn zum Chefredakteur machte, was er jetzt so schreibt ist einfach zu leicht vorauszusehen. - Will sagen: Das ist keine wirklich spannende, wirklich aktuelle Analyse, oder?

  • P
    panne

    Der Bild-Chefredakteur heißt "Diekmann", Sie Nase.

  • C
    Colorado

    Sehr geehrter Herr Lucke,

    offenbar ist Ihnen bei Ihrer Pauschalkritik die Wirtschaftswoche entgangen. Deren Chefredakteur wurde gerade wegen der besonders frühen Berichterstattung zur Krise als "Wirtschaftsjournalist des Jahres" ausgezeichnet.

  • T
    Tim

    Gerade bei diesem Thema muß man sich doch auch den US-Journalismus anschauen. Es gab rechtzeitig Warnhinweise von Leuten, die den Krediterleichterungen der Clinton-Regierung skeptisch gegenüberstanden. Hier ein Beispiel von 1999:

    http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9C0DE7DB153EF933A0575AC0A96F958260&sec=&spon=&pagewanted=1

     

    Im Jahr 2003 wollte dann die Bush-Regierung gegensteuern, ist aber später von der demokratischen Mehrheit ausgebremst worden:

    http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=9E06E3D6123BF932A2575AC0A9659C8B63&sec=&spon=&pagewanted=all

  • HB
    Herbert Braun

    Ja, die Journalisten sind die Bösen und die Doofen. Auf die Medien einzudreschen ist ja noch einfacher, als die Habgier der Manager oder die Inkompetenz von Politikern zu geißeln.

    1) Wenn die mit ungleich besseren Informationen versorgte, mit ungleich höherer Verantwortung belastete und ungleich besser bezahlte Wirtschaftselite die Krise nicht vorhergesagt hat, wieso sollte es dann den Journalisten gelingen?

    2) Abgesehen davon erinnere ich mich an Artikel aus der Zeit von 2007, die durchaus in diese Richtung gingen - das müsste man aber nachprüfen, bevor man hier Pauschalurteile verbreitet.

    3) Wetterwendische Journalisten wie Schirrmacher sind schlecht, sture Journalisten wie Broder sind schlecht. Wenn Sie eine Rückkehr zum Grabenkampf-Journalismus der 70er-Jahre fordern, müsste Ihnen letztere Haltung doch eigentlich gefallen.

    4) Wenn Sie im Journalismus die scharfen Gegensätze zwischen links und rechts vermissen, liegt das möglicherweise daran, dass diese Gegensätze auch in Politik und Gesellschaft ziemlich verwaschen sind. Ein Glück, es gibt wichtigere Fragen auf der Welt.

    5) Und generell gilt: Jede Gesellschaft hat die Medien, die sie verdient.

  • F
    Flo

    Vielen Dank für den hervorragenden Artikel!

    Jetzt muss nur noch eine Lösung gefunden werden für diese katastrophale Situation. Das ist leider nicht ganz einfach. Es sei denn, der Markt bereinigt sich ob des immer offensichtlicher werdenden Qualitätsverfalls selbst. Ein Konkurs aller Mainstream Blätter ist aber wohl eher unrealistisch und zudem auch nicht gerade eine verlockende Aussicht. Die Frage ist: Wie bekommen wir wieder demokratische, seriöse und qualitativ hochwertige Berichterstattung?

  • H
    harri

    Machen wir uns doch nichts vor! Die Journalisten sind zur Journaille eines verkommenen Regimes verkommen. Seit Jahren segnen sie die kriminellen Aktivitäten verschworener Protagonisten - Verschwörungstheorie!- eines extrem kapitalismusfreundlichen Politzirkuses ab, der keine ethischen Regeln oder gar Beschränkungen mehr kennt! Das gilt für SÄMTLICHE der etablierten Parteien, die nur manchesmal zur Volkstäuschung Kreide fressen. Dass sie gegebene Versprechen nicht halten halten, gehört gewissermaßen zum guten Ton der Politmafia!

  • CG
    Christian G. Christiansen

    ...ein erfrischend ehrlicher Artikel über die fortschreitende Erosion der vierten Gewalt.

    Journalisten und Intellektuelle verallgemeinernd zusammen zu schmeissen, Beispiel Broder und Biermann, scheint mir doch sehr gewagt! Der politische Journalismus verliert immer mehr an Kontur; "die Presselandschaft wandelt sich spürbar. Der Verkauf von Anzeigen erscheint zunehmend wichtiger als die Veröffentlichung unabhängiger und kritischer Inhalte..."

    Zur Erhaltung der Pressefreiheit heisst es so in einer Eigenzeige der Blätter für deutsche und internationale Politik (08/08).

    Garnicht so falsch.

    Christian G. Christiansen, Berlin

  • MP
    M. P. Krapp

    Sehr geehrter Herr Lucke,

     

    schön, dass es mal jemand ausspricht, der auch zur klassischen journalistischen Zunft gehört.

    Sonst sind es meistens die sog. Netzjournalisten oder Blogger, welche, durchaus auch aus ganz eigenem Interesse, Medienkritik in dieser Form betreiben.

    Sicherlich bin ich nicht der einzige, der damit rechnet, dass man nach dieser Krise stillschweigend wieder zur Tagesordnung übergehen will, nicht nur in journalistischer Hinsicht.

    Es ist, neben der erstaunlichen, sicherlich freiwilligen „Gleichschaltung“ der Printmedien und ihrer Internetpendants, auch ein starker Hang zur Verbrüderung der Redaktionen untereinander, und damit einhergehend, ein Mangel an externer wie interner Kritik zu beobachten.

    Die Frage ist hier allerdings, wie man dem begegnen kann. Das diese Kartellbildung zumindest unter den interessierten und (teilweise) aufgeklärten Lesern kein Geheimnis mehr ist, löst das Problem leider nicht. Es ist deshalb schön, dass Sie sich, neben den Augsteingeschwistern und den erwähnten Bloggern, dieses Problems angenommen haben.

    Bleibt zu hoffen, dass Sie hier nicht alleine bleiben. So ist es an uns allen, die wir das hier lesen, und die wir uns für das Problem interessieren, diese berechtigte Kritik zu unterstützen. Sei es durch Leserkommentare, Briefe an die Redaktionen, Blogs oder direkte Beteiligung an dem „Medienzirkus“ (Sehr schön auf www.Freitag.de möglich). Man mag an der Größe der Aufgabe und der eigenen medialen Bedeutungslosigkeit verzweifeln, doch soll das kein Grund sein, es nicht wenigstens versucht zu haben.

     

    Hochachtungsvoll,

     

    M. P. Krapp