Debatte Wahlen: Ende des Projektgedönses
Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb, Rot-Grün - die Rezepte aus der Koalitionsküche haben jeden Charme verloren. Die Menschen sind weiter.
N atürlich geht Schwarz-Grün. Die Kombattanten, die im Brustton der Überzeugung von "Hirngespinsten" und "fehlenden Schnittflächen" reden, werden nach der jeweils nächsten Wahl selbstverständlich bereitstehen, das Kontaktverbot aufzuheben und - schweren Herzens versteht sich - jede Machterhaltungschance zu nutzen.
Gescheitert ist Schwarz-Grün trotzdem, aber nicht erst mit dem Bruch der ersten Landeskoalition im Stadtstaat Hamburg, genau wie alle anderen Patentrezepte aus der Koalitionsküche. Das rot-grüne Projekt der sozial-ökologischen Modernisierung ist steckengeblieben, das schwarz-gelbe Antiprojekt in wirtschaftsbürgerliche Stagnation versunken. Die beiden Lager, die sich nach dem Scheitern der Hamburger Lokalregierung und dem Stuttgarter Bürgeraufstand, reflexhaft wiedervereint haben, bieten Deutschland kein echtes Zukunftsprogramm. Rot-Grün, nach Lage der Dinge nur unter Einschluss der mehr oder weniger geläuterten postkommunistischen Linken möglich, droht sich auf Rückzugsgefechte gegen den Untergang des europäischen Wohlfahrtsstaats zu beschränken. Und Schwarz-Gelb, das an die Ängste vor dem Zusammenbruch eben dieses Wohlfahrtsstaates appelliert, wird sich damit zwangsläufig dem Rechtspopulismus anverwandeln. Dieses Trauerspiel ist auf der europäischen Bühne längst im Gange.
Lager ohne Zukunft
Schwarz-Grün war einmal eine Hoffnung - auf den Ausstieg aus dem Industrialismus, der seine Schattenseiten mit Zukunftsausbeutung kaschiert hat; das Lebenselixier wirtschaftlichen Wachstums wurde mit Staatsschulden und mit einer Naturzerstörung bezahlt, deren Folgen kommenden Generationen aufgebürdet wurden. Ein schwarz-grünes "Projekt" hätte vor zwanzig, dreißig Jahren genau darin bestanden, sich demgegenüber im besten Sinne konservativ zu verhalten, also "die Schöpfung" (christlich) zu bewahren und "Nachhaltigkeit" (säkular) nicht allein beim Schuldenmachen zu praktizieren. Was konservativ erschien, wäre in Wahrheit höchst progressiv gewesen - es hätte mehr Zukunft ermöglicht.
Gewählt hat die Union Helmut Kohls dagegen die Allianz mit dem Wirtschaftsliberalismus samt der damit verbundenen willentlichen Perforation des Sozialstaates - und der opportunistischen Anbiederung an den Rechtspopulismus. Was heute in der CDU/CSU und um sie herum als "konservativ" thematisiert wird, nämlich irgendetwas Gedönsartiges mit Familie, Leitkultur und Glauben, ist für die Beantwortung der aktuellen Problemlagen und die Zukunftsaufgaben ziemlich irrelevant.
Und wo die Modernisierer der Union noch etwas zu sagen haben, folgen sie dem Mainstream, der mittlerweile grün ist. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie gründet sich in der Hoffnung auf ein nunmehr grünes Wachstum. An der Basis der Union bleibt das blanke Ressentiment gegen das grüne Milieu und die Verbundenheit mit der Großindustrie. Und bei vielen Wählern und Funktionären der Grünen ist es spiegelverkehrt .
Neue Mehrheiten
Ein schwarz-grünes Regierungsbündnis hat kein Fundament mehr in gemeinsamen Aufgaben einer nachhaltigen Politik. Sollbruchstellen sind nicht zufällig Großprojekte wie Stuttgart 21, die noch längst nicht durchgewinkte Abwicklung des Nuklearkomplexes und seit Jahrzehnten bis zum Überdruss traktierte bildungspolitische System- und Statusfragen (Gymnasium versus Gesamtschule).
Dahinter steckt mehr: das generelle Versagen der Volksparteien, überhaupt noch innovative, nicht klientelverhaftete Mitglieder an sich zu binden. Die Union hat die von den Sozialdemokraten vorexerzierte Kernschmelze noch vor sich, weder eine national-populistische Partei noch eine wie auch immer radikal-christliche Pro-Life-Abspaltung werden sich ewig verhindern lassen. Die Grünen, durchaus auf dem Weg zur Volkspartei neuen Typs, können derzeit mobilisieren, weil sie dem bürgerlichen Milieu eine politische Heimat bieten und weil sie als politische Föderation interne Konflikte in diverse Unterabteilungen abschieben können - die Schwulen reklamieren das Ehegatten-Splitting für sich, das die Steuerpolitiker gerade abschaffen wollen, Industriepolitiker planen Windparks, gegen welche die Naturschützer aufbegehren, und so weiter. Als Regierungspartei, erst recht auf der Bundesebene und auf Augenhöhe mit dem jeweiligen Koalitionspartner, wird das kaum noch gut gehen.
ist Politikwissenschaftler und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen. Zuletzt erschienen: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten: Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie", zusammen mit Harald Welzer.
Meine Schlussfolgerung aus diesem Abgesang ist gleichwohl optimistisch, weil es außerparlamentarische Kräfte gibt und weil in den Parlamenten neue Konstellationen möglich sind. Erstens kristallisiert sich eine neue Form der Netzwerkpolitik heraus, die aktive Kräfte nachhaltiger Politik aus den jeweiligen Aktionsfeldern (Energie, Mobilität, Ernährung etc.) ohnehin nicht mehr als Mitglieder einplanen kann, sondern ihnen bestenfalls noch den Service intermediärer Organisationen anbietet, nämlich Interessen programmatisch zu bündeln und Interessenkoalitionen auf Zeit zu schmieden. Die Politik ist schon lange nicht mehr in der Parteipolitik.
Abgesang mit Optimismus
Zweitens wird es auch nicht länger gehen, dass man von Koalitionen vier, fünf Jahre lang sozusagen in Geiselhaft genommen werden kann. Nachhaltige Politik ist in diesem Land längst mehrheitsfähig, von den Wertpräferenzen und Einstellungen her sowieso, oft auch als virtuelle Stimmenmehrheit in den Parlamenten. Für eine alternative Agrarpolitik zum Beispiel hat man eine satte Mehrheit, die von CSU bis Linke reicht, die sich aber mit Rücksicht auf die Lagerinteressen und Vetospieler niemals zeigen darf.
Die Rettung von Schwarz-Grün läge also in der Aufhebung der Koalitions- und Fraktionsdisziplin, die Ad-hoc-Koalitionen der Nachhaltigkeitspolitik erlaubt, und in der Aufgabe des absoluten Führungsanspruchs der Parteien, der ihnen, nur scheinbar paradox, mehr Spielraum geben würde. Nach dem Super-GAU in Japan ist das notwendiger denn je. Der außerparlamentarische Protest gegen den atomaren Wahnsinn muss rabiat sein (das heißt nicht gewalttätig), noch einmal darf die Atomlobby nicht davonkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!