Debatte Wahl in Israel: Ein gefährliches Experiment
Die Rechte sollte nach den Knesset-Wahlen die Chance bekommen, ihre verrückten Ideen umzusetzen. Nur dann werden die USA aufwachen.
D ie Nachrichten vor der israelischen Wahl sind sehr ermutigend. Moshe Feiglin (Likud-Kandidat) will Arabern Geld geben, damit sie das Land verlassen; Yuli Edelstein (Minister für Information und die Diaspora, Likud), Zeev Elkin (Knesset-Abgeordneter, Likud) und Yariv Levin (Knesset-Abgeordneter, Likud) versprechen die Annektion der Westbank; Naftali Bennett (Shootingstar der israelischen Politik und Spitzenkandidat der Partei „Habajit Hajehudi“) verspricht, sich mit den Medien und dem Obersten Gerichtshof auseinanderzusetzen; und Yair Shamir (Platz 2 auf der Liste der Partei von Avigdor Lieberman, Yisrael Beiteinu) verspricht, dass es keinen neuen Staat „für Millionen von Menschen“ geben wird.
Das sind die besten Nachrichten, die wir seit langem hatten. Nun müssen wir nur noch darauf hoffen, dass diesen Leuten und ihren Gesinnungsgenossen endlich eine Chance gegeben wird, ihre Versprechen wahr zu machen. Die nächste Regierung muss eine der extremen Rechten sein – ohne Schminke oder Süßstoff, und vor allem ohne dass sich die Mitte-links-Parteien aus Gründen der politischen Balance daran beteiligen.
Partner im Verbrechen
geboren 1953, ist Kolumnist und Mitglied der Redaktionsleitung der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz. Letztes Buch: „The Punishment of Gaza“ (Verso Books, 2010) über den israelischen Einmarsch 2009.
Lasst den rechten Flügel und das Bennett-Feiglin-Team gewinnen. Wenn die israelischen Wähler dies wollen, ist es das, was sie verdienen. Die angemessene Regierung für Israel ist eine, der die selbsternannte Menschenrechtsaktivistin Orit Struck (Platz 10 auf der „Habajit Hajehudi“-Liste, eine der wichtigsten VertreterInnen der militanten Siedlerbewegung) aus der Avraham-Avinu-Siedlung in Hebron angehört. Sie wird sicherlich adäquater sein als die scheidende Regierung, mit der Arbeitspartei als Partner bei ihren Verbrechen, einem angeblich moderaten Verteidigungsminister Ehud Barak und all den Dan Meridors (stellvertretender Premierminister, Likud) und Michael Eitans (Minister, Likud) als Zierde.
Nur mit einer Regierung von Danny Danon (Likud-Abgeordneter, der sich gegen die Zwei-Staaten-Lösung ausgesprochen hat) und Tzipi Hotovely (Likud-Abgeordnete, die den Kampf der Palästinenser als religiösen Kampf des Islam bezeichnete) wird die Welt und Israel das wahre Gesicht das Landes erkennen. Nur mit einer Lieberman-Shamir-Regierung werden all die verrückten Ideen endlich in der Praxis getestet.
Nur mit einer Regierung von Benjamin Netanjahu und Miri Regev (Likud-Abgeordnete, die die afrikanischen Migranten in Israel als „Krebsgeschwür“ bezeichnete) werden endlich alle aufgeweckt werden. Schluss mit all den doppelzüngigen Regierungen; wir wollen endlich die wahre Liebe, nach der sich die meisten Israelis sehnen.
Schlafende Schönheit Europa
Wenn Feiglin transferiert, Elkin annektiert und Bennett sich mit Medien und dem Obersten Gerichtshof auseinandersetzt, wird sich die Welt einmischen. Dann – und nur dann – werden die Israelis von ihren Wahnvorstellungen lassen und aus ihrem Winterschlaf aufwachen. Wenn der erste Bus mit Vertriebenen den Jordan überquert, wenn die erste Annektierung legalisiert und israelischen Arabern verboten wird, zu wählen, und 60.000 afrikanische Migranten in die Flugzeuge gesetzt werden, werden wir ein völlig anderes Land haben, und die Welt wird angemessen reagieren. Eine extremistische Regierung wird auch der Schlüsselfigur in dieser Auseinandersetzung, US-Präsident Barack Obama, den nötigen Schubs geben, und sie wird die schlafende europäische Schönheit aufwecken.
Bevor dieser Wahnsinn realisiert wird, wird nichts davon geschehen. Wir sprechen hier nicht von dem simplen marxistischen Ansatz „Je schlechter es wird, desto besser“. Wir reden über die Notwendigkeit, die Wahrheit auszusprechen und nach ihr zu handeln. Die extreme Rechte muss endlich, endlich den wahren Willen des Landes abbilden und zeigen, wohin sie uns führen will.
Es ist ein gefährliches Experiment, aber das andauernde wilde Gebaren bei dem gegenwärtigen Maskenball ist unendlich gefährlicher. Es ist betäubend, und die Zeit, die währenddessen verstreicht, verbaut jede mögliche Lösung.
Wir werden sehen, was am Tag nach dem Transfer und der Nacht nach der Annektierung geschehen wird. Wir werden sehen, ob wir wirklich in einem Land ohne Journalismus leben wollen, ohne Menschenrechtsgruppen und ohne den Obersten Gerichtshof, ohne Araber, ohne den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, ohne Migranten und mit Apartheid als erklärter Politik.
Wir werden sehen, wie man in einem Land lebt, dem aus dem Weg gegangen und das boykottiert wird, ohne Unterstützung der Vereinigten Staaten und aus Europa. Nicht mal die Färöer-Inseln werden uns helfen. Wir werden sehen, ob wir einen solchen Staat am Leben erhalten können.
Regierung ohne Weißwäscher
Nach all den Jahren, in denen Israel stolz darauf war, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein – und als solche unendlichen Kredit und endlose Geduld vom Rest der Welt geschenkt bekam und dieser Stolz seinen Bürgern eine scheinheilige Selbstzufriedenheit verschaffte –, wird eine extrem rechte Regierung mit alldem Schluss machen.
Es sollte keine Kollaborateure geben. In diese Regierung sollten keine Weißwäscher kriechen, keine mäßigenden Elemente, niemand, der das Pack koscher machen will. Nur ohne die Arbeitspartei, ohne Hatnuah (die neue Mitte-links-Partei der früheren Außenministerin Tzipi Livni) und ohne Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“, die Partei des früheren Fernsehmoderators Yair Lapid) in der Regierung wird es eine Zukunft geben.
Das Pendel, das in den letzten Jahren die israelische Gesellschaft in die Untiefen der Rechten geführt hat, wird nur gestoppt werden, wenn der Rechten die Chance gegeben wird, ihre Drohungen wahr zu machen. Sobald sie dies tut, wird es eine fassungslose, aber beständige Bewegung in die andere Richtung geben. Bis dahin hält eine Orit-Struck-Regierung das größte Versprechen von allen für uns bereit.
Übersetzung aus dem Englischen: Martin Reeh
Erläuterungen in Klammern zu den Personen: taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“