Debatte Umverteilung: Wer gerne gibt
Ohne eine abgabenbereite Mittelschicht gibt es keine gerechte Gesellschaft. Die linken Parteien haben damit ein Problem.
E s ist in diesen Wochen schwierig auszumachen, wer denn nun die ärmste Sau ist in Deutschland, die dringend der Hilfe der Allgemeinheit bedarf. Sind es die Opel-Facharbeiter? Verkäuferinnen? Mittelständische Unternehmer? Wie geht es eigentlich den Ärzten? Und sind wir nicht alle benachteiligt?
Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz. Sie interessiert sich besonders für die Auswirkungen von gesellschaftlichen Entwicklungen auf Biographien und ist immer wieder überrascht darüber, wie wandelbar das Empfinden von "Gerechtigkeit" ist.
Erst recht seit der umstrittenen Rettungsaktion für Opel ist die Umverteilung zugunsten der vermeintlich "Schwachen" in eine Legitimationskrise geraten. Das ist ein Problem im beginnenden Wahlkampf, in dem immerhin drei linksgerichtete Parteien um Wählerstimmen konkurrieren.
Es wirkt auch nicht mehr seriös, die Lasten öffentlicher Hilfen durch Staatsverschuldung in die Zukunft zu verlagern, auf kommende Generationen. Wollen die Parteien glaubwürdig sein, müssen sie eine Umverteilung auch in der Gegenwart vertreten. Doch woher soll das Geld kommen?
Interessante Erkenntnisse liefert ein Blick in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linken. Hier wird versucht, die Abgaben auf weiter entfernte Bevölkerungsteile zu verschieben. Die Reichen! Nur ist es offenbar mühsam, diese Gruppe einzugrenzen.
Wer ist reich?
Bei der SPD fangen die Reichen ab einem Bruttoeinkommen von 10.000 Euro im Monat an. Wer mehr verdient, dessen überschießendes Einkommen soll mit einem erhöhten Spitzensteuersatz von 47 Prozent belegt werden. Eine solch kleine Gruppe von Hochverdienern ein bisschen mehr zu belasten, bringt aber wenig Geld, sondern vor allem Gerechtigkeitssymbolik.
Die Grünen, sich ihrer Bionade-Klientel bewusst, wollen den Spitzensteuersatz nur auf 45 Prozent anheben und gleichfalls erst ab höheren Verdiensten, "um mittlere Einkommen nicht zusätzlich zu belasten", wie es im Wahlprogramm heißt.
Die Linke fordert forsch einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent. Sie weist in ihrem Wahlprogramm aber auch beruhigend darauf hin, dass dies nur bedeute, dass dann "Steuerpflichtige von jedem Euro, den sie über 84.000 Euro pro Jahr verdienen, 53 Cent abführen müssen". Auch das betrifft nicht allzu viele.
Die Mittelschicht soll geschont werden. Das Problem ist nur: Ohne die mittleren Einkommen funktioniert sie nicht, die Umverteilung im Sozialstaat.
Wir können nämlich in Deutschland gar keine aggressive Enteignungspolitik gegen die Reichen betreiben: Eine starke Substanzbesteuerung, wie die Linke sie vorschlägt, verbietet das Bundesverfassungsgericht, weil dies einer "Teilenteignung" gleichkäme. Eine befristete niedrigprozentige Vermögensteuer kann und sollte man machen, ebenso wie eine Erhöhung der Spitzensteuersätze beim Einkommen. Aber das wird nicht ausreichend Geld bringen. Und nicht das Problem lösen: Wie umgehen mit der Mittelschicht?
Die Verteilungsfrage ist heikel, denn Metallfacharbeiter, VerkäuferInnen, Lehrer befinden sich in einer Doppelrolle: Sie sind Beitrags- und Steuerzahler einerseits und Leistungsempfänger andererseits. Auch Geringverdiener mit einem Einkommen von monatlich 2.500 Euro brutto müssen im internationalen Vergleich hierzulande relativ hohe Abgaben aus Sozialbeiträgen und Steuern berappen, stellte die Wirtschaftsorganisation OECD fest.
Die linken Parteien versuchen, diese Gerechtigkeitsprobleme zu lösen, in dem man erwägt, von bestimmten Privilegiertengruppen Geld abzuschöpfen. Man könnte beispielsweise die privat Krankenversicherten und deren Privatkassen in eine Bürgerversicherung eingemeinden, wie es alle drei linksgerichteten Parteien vage in Aussicht stellen. Man könnte auch die Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen erhöhen und so die Besserverdiener stärker belasten.
Das kann man machen, doch es schafft neue Spaltungen quer durch die bürgerlichen Milieus, wenn die Höherverdienenden mehr für Leute mit geringerem Einkommen und die Armen zahlen sollen. Denn erstens haben höhere Abgaben derzeit einen schlechten Ruf. Und zweitens gibt es Ambivalenzen bei den Ausgaben.
Eine Verkäuferin beispielsweise, die vielleicht sogar Linkspartei wählen würde, weil die Linke eine Millionärssteuer fordert, sieht andererseits vielleicht nicht ein, dass genau diese Partei den Regelsatz für Hartz IV hochschrauben will, damit ein Arbeitsloser 850 Euro im Monat bekommt. Gerade Wenigverdiener haben etwas dagegen, wenn es das gleiche Geld wie ihr Gehalt auch ohne Arbeit gibt.
In dieser schwierigen Gemengelage brauchen die linksgerichteten Parteien vor allem eines: Glaubwürdigkeit. Auf große Wahlversprechen verzichten, den Leuten weder Steuererleichterungen noch breite Wohltaten versprechen, das wäre ein erster Schritt.
Sozialmoralische Ressourcen
Im Wahlkampf sollten die linken Parteien auf begrenzte Projekte setzen. Wir brauchen eine neue Überschaubarkeit in der Sozialpolitik. Glaubwürdiger wäre es zum Beispiel, nicht vage eine allgemeine "Bürgerversicherung" zu versprechen, sondern konkret erst mal nur in der Pflege die Zusammenlegung von Privat- und gesetzlichen Kassen zu fordern und zu bewerben. Damit wäre die Versorgung auf viele Jahre hinaus finanziert.
Auch eine Hartz-IV-Erhöhung wird eher akzeptiert, wenn der Regelsatz offen neu berechnet wird unter Berücksichtigung der gestiegenen Gesundheits- und Energiekosten. Vielleicht sollte man die zusätzliche punktuelle Abrechnung von Sachleistungen erwägen, damit sich auch Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende wieder Brillen, nicht rezeptpflichtige Medikamente und Ersatzkühlschränke leisten können. Eine neue Überschaubarkeit kann auch in andere Gebiete einziehen, in die Bildungsförderung, die Gesundheitsversorgung.
Die globale Wirtschaftskrise hat bekanntlich ihre Ursache in bestimmten Fehlsteuerungen des Kapitalismus und nicht in einem Übermaß an Umverteilung. Es wäre deshalb absurd, wenn als Folge der Krise gerade die Parteien, die sich um sozialen Ausgleich bemühen, von den Erwerbstätigen gemieden würden.
Es gibt ja Abgabenbereitschaft, Großzügigkeit, "sozialmoralische Ressourcen", wie der Soziologe Heinz Bude sagt. Die Politik muss nur sorgsam damit umgehen.
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