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Debatte US-WahlkampfHat Amerika noch eine Chance?

Kommentar von Norman Birnbaum

Von den Präsidentschaftswahlen in den USA sollte sich Europa nicht zu viel erwarten. Die politische Kultur des Landes gibt derzeit wenig Anlaß zur Hoffnung auf Veränderung.

E iner eher nicht so glücklichen prophetischen Eingebung folgend sagte Karl Marx einmal, dass die Vereinigten Staaten aus der Tatsache, keine Vergangenheit zu haben, den Vorteil ziehen würden, sich schnell in Richtung Sozialismus zu entwickeln. "Gebt der Hoffnung eine Chance", diese Worte hört man häufig von Reverend Jesse Jackson - und der braucht nun wahrhaftig keine Lektion über die sozialen und geistigen Widersprüche, die unsere nationale Einheit so destruktiv und so zerbrechlich zugleich gemacht haben.

Mit meiner Frage, ob es noch Rettung für die USA gibt, habe ich mich auf theologisches Terrain begeben: sind die USA doch eher so etwas wie eine Kirche (oder eine große Sekte) als eine Nation nach europäischem Muster. Meine eigenen Hoffnungen sind jedenfalls gedämpft ... .

Tatsächlich beschwören die Präsidentschaftskandidaten beider größeren Parteien zwingend die Vorstellung vom "Wandel". Für die Republikaner ist dies eine verkappte Möglichkeit, um von Bush abzurücken, weil es ihnen (mit Ausnahme des Baptistenpredigers Mike Huckabee und des exzentrischen Arztes Ron Paul aus Texas) an Format fehlt, dies offen zu tun.

Unter den Demokraten wird gestritten, wer das Ruder der Nation am effektivsten herumreißen kann - wobei bei vielen der Zweifel wächst, ob Hillary Clinton überhaupt irgendetwas anderes plant, als nur jene kapitalistische Eliten und deren eifrige technokratische Diener wieder an die Fleischtöpfe der Macht und des Wohlstands zu führen, die sie einst unter ihrem liebenswürdigen Ehemann Bill so genossen.

Angesichts der jüngsten Vergangenheit müssten die Demokraten eigentlich die Präsidentschaft und breitere Mehrheiten im Repräsentantenhaus wie im Senat sowie Mehrheiten in den Legislativen der einzelnen Staaten und mehr Gouverneursposten gewinnen. Die Wirtschaft befindet sich auf einem unsicheren, abwärts führenden Pfad, die Kriege in Afghanistan und Irak finden kein Ende, der Abscheu der Welt gegen Bushs Clique ist offensichtlich, und breite Teile des Kapitals und seiner bürokratischen und politischen Vertreter bereiten sich darauf vor, die Republikaner einfach mit ihren religiösen und sexuellen Obsessionen allein zu lassen.

Aber genau das ist das Problem: ob / die erfolgreiche Demokrat/in am Ende Clinton oder Obama oder Gore (der, in extremis, noch immer berufen werden könnte) heißt: der/die neue Präsident/in wird sich mit fest zementierten Machtzentren konfrontiert sehen, die es gewohnt sind, jede Reform zu blockieren oder sie zumindest aufzuhalten, ehe sie zu weit geht.

So geschwächt die sozialistischen und sozialdemokratischen Fraktionen in Europa auch sein mögen - sie können sich trotzdem noch immer auf Gewerkschaften und Bürgerbewegungen stützen, um Wähler zu mobilisieren. In den USA sind diese quantitativ und qualitativ schwächer aufgestellt. Es ist kein Zufall, dass Hillary Clintons Chefberater ein Lobbyist und Marketing-Experte ist, der vor allem weiß, wie man eine kulturell und sozial fragmentierte Nation zu manipuliert. Wo die Selbstbehauptungskräfte der Gesellschaft nicht vorhanden und der aufklärerische Kampf so unterentwickelt sind, ist eine wahrhaft demokratische Politik nicht möglich.

Die breite Mehrheit der Schüler in den USA wird ihren Illusionen und Ressentiments überlassen, die eine politische Mobilisierung behindern. Die Colleges und Universitäten - nicht nur die Einrichtungen der Elite - sind zwar weitaus kritischer, sehen sich aber ständiger Beobachtung und drohenden Repressionen ausgesetzt.

In den Kirchen, Bürgerbewegungen, Gewerkschaften und Universitäten gibt es eine Vielzahl von Denkern, die zum Teil auch auf Erfahrungen in Regierung und Politik zurückblicken können und in der Lage wären, realistische politische Pläne für eine Neujustierung des amerikanischen Kapitalismus zu entwickeln. Auch eine bedeutende Mehrheit der Öffentlichkeit ist im Grunde bereit, finanzielle Eingriffe des Staates zu akzeptieren, um Bildungschancen, Gesundheitsversorgung und Jobsicherheit zu schaffen. Doch die Öffentlichkeit hat keine Vorstellung, wie dies zu erreichen ist, und so bleibt sie trotz ihrer Zweifel passiv angesichts der endlosen Propaganda für die Marktwirtschaft, wie sie von den Medien in ihrer Darstellung der Wirtschaftslage direkt und indirekt verbreitet wird. Erinnerungen an ganz andere soziale Projekte sind Sache der Historiker des New Deal - vieles, was in anderen Staaten von Generation zu Generation weitergegeben wird, gerät in den USA in Vergessenheit.

Der selbstgerechte Calvinismus mit seiner "Verantwortung des Einzelnen" verführt eine bedeutende Minderheit dazu, jede Maßnahme der Regierung abzulehnen. Und diejenigen, die am ehesten die Hilfe und Unterstützung des Staates benötigen, waren früher durch Rassismus gespalten und wettern nun gegen die Einwanderer. Falls es nicht zu einer - unwahrscheinlichen - Wiederbelebung der Gewerkschaften oder zur Entwicklung einer innovativen Politik der sozialen Fürsorge kommt, werden die normalen Amerikaner vermutlich noch eine ganze Weile an ihrer eigenen Ausbeutung und Unterordnung selbst mit Schuld sein. Ein Großteil der Amerikaner mit Hochschulbildung ist zwar durchaus kritisch eingestellt. Doch wenn man gemeinsame Projekte mit den mittleren und unteren Schichten der Arbeiterschaft entwickeln will, gestaltet sich das als sehr, sehr schwierig.

In der Außenpolitik sind Veränderungen schon eher wahrscheinlich. Dies ist jedoch weniger auf Druck der Öffentlichkeit als auf eine sich langsam entwickelnde Opposition innerhalb des Bürokratie- und Militärapparates zurückzuführen. Verteidigungsminister Gates, zögerlich unterstützt von Außenministerin Rice (die verzweifelt versucht zu retten, was von ihrem schwindenden Ansehen noch zu retten ist), hat in einem schleichenden Staatsstreich das Kommando übernommen, um Vizepräsident Cheney zu isolieren und den Präsidenten zu gelegentlichen Anfällen von Rationalität zu zwingen.

Die Demokraten, die Angst haben, als Schwächlinge denunziert zu werden, in jedem Falle aber unfähig und unwillig zum Widerspruch gegenüber der Israel-Lobby sind, können in dieser Hinsicht kaum Verdienste für sich reklamieren. In Umfragen hat die Öffentlichkeit ihre wachsende Skepsis gegenüber der Kompetenz und Ehrlichkeit des Präsidenten zwar deutlich gezeigt, ansonsten ist sie aber passiv geblieben.

Es gibt Diskussionen an verschiedenen Universitäten und in den Teilen der Medien, die in der Lage sind, Gedanken zum US-Imperialismus mit mehr als einfachen Worten zu formulieren. Dennoch hat die Öffentlichkeit bisher zum Beispiel noch nicht die Frage gestellt, weshalb die Truppen, die wir 1898 auf die Philippinen geschickt haben, heute noch immer dort sind. Es besteht nur ein geringer Bedarf nach einer Senkung der Militärausgaben, um damit wirtschaftliche und soziale Transferzahlungen und Investitionen in den Sozialbereich zu ermöglichen.

Nur eines ist sicher: ein neuer Demokratischer Präsident wäre multilateralistischer, offener gegenüber Umweltproblemen und Menschenrechtsfragen als der jetztige Präsident - es weniger zu sein wäre auch schlicht unmöglich. Ein radikaler außenpolitischer Kurswechsel, der über veränderte Methoden und Rhetorik hinaus geht, ist jedoch unwahrscheinlich.

Selbst diese bescheidenen Veränderungen aber könnten durch einen Anschlag im Inneren der USA, zum richtigen Zeitpunkt durch geführt, sofort wieder zunichte gemacht werden. In einer Nation, die Martin Luther King und die beiden Brüder Kennedy auf dem Gewissen hat, ist so etwas gerade deshalb durchaus zu befürchten. Die USA sehen sich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet mit zunehmenden Konflikten konfrontiert. Darüber hinaus tragen sie schwer daran, in einer widerstrebenden Welt ihre globale Hegemonie zu behaupten.

Die Führer der EU, einschließlich der deutschen Kanzlerin, verhalten sich so, als würden sie in einer Zeitmaschine leben - im Jahr 1998 statt im Jahr 2008. Würden sie gegenüber den USA eine realistischere Herangehensweise an den Tag legen, würde dies auch dem rationaleren Teil unserer Öffentlichkeit und unserer Eliten helfen. Es ist schließlich nicht nur Gott, der weiß, wie viel Hilfe wir brauchen.

Übersetzung von Beate Staib

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