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Debatte UN-Friedensmission im KongoDem Elend weiter zugearbeitet

Kommentar von Annette Weber

Die UN hat den Schutz der Zivilbevölkerung über die Unantastbarkeit der staatlichen Souveränität gestellt. Doch in der Praxis ignoriert sie den Paradigmenwechsel.

H underttausende Menschen stehen im Ostkongo weiterhin im kalten Regen und harren darauf, dass etwas passiert. Sie hoffen auf die Möglichkeit, wieder zurück in ihre Dörfer gehen zu können. Fliehen, zurückkehren, wieder fliehen, weil eine neue politische Gruppierung die Macht für sich beansprucht und ein neuer Konflikt eskaliert - im Ostkongo ist das schon seit über dreizehn Jahren die Dynamik.

Bild: archiv

Annette Weber arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie beschäftigt sich aktuell mit dem Scheitern von Staaten und der Regionalisierung von Konflikten, vor allem am Horn von Afrika.

Neben der Zivilbevölkerung stehen die gepanzerten Fahrzeuge der Monuc, der Friedenstruppe der Vereinten Nationen. Die indischen, pakistanischen und uruguayischen Soldaten, die in den Fahrzeugen sitzen, scheinen überfordert zu sein. Anstatt die Zivilbevölkerung zu schützen, muss sich die Monuc nun vor aufgebrachten Zivilisten schützen. Seit 2000 ist sie mit Zivil- und Militärpersonal in einer Stärke von über 17.000 Menschen weltweit die größte Friedensmission im Land und soll den Frieden garantieren. Nur: Frieden gibt es nicht im Kongo.

Was also läuft schief? Die Antwort ist so einfach wie fatal: Die gewählten Lösungsansätze passen nicht zum Problem. Das Problem ist die ungerechte Macht- und Ressourcenverteilung und das militarisierte Denken, mit dem politische Probleme angegangen werden. Die Lösungsansätze hingegen konzentrieren sich zumeist auf einen humanitären Zugang, der durch eine internationale Militärmission abgesichert werden soll. Sie konzentrieren sich damit auf die vermeintliche Linderung von Symptomen anstatt die Konfliktursachen zu beseitigen.

Nach dem dramatischen Scheitern der internationalen Staatengemeinschaft beim Völkermord in Ruanda 1994 erarbeitete eine Kommission 2001 das Konzept der Schutzverantwortung. Diese wurde unter dem englischen Kürzel R2P ("Responsibility to Protect") bekannt. Das Konzept schreibt die Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft fest, die staatliche Souveränität zu verletzen, wenn die Regierung nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Zivilbevölkerung vor Völkermord oder Kriegsverbrechen zu schützen. Es wurde vor vier Jahren beim Weltgipfel der UNO angenommen. Zum ersten Mal also soll der Schutz des Individuums über der Souveränität des Staates stehen. Das ist revolutionär. Theoretisch.

Umgesetzt wurde die Schutzverantwortung bislang nicht. Denn obwohl das umfassende Konzept eine Präventions-, eine Reaktions-, und eine Wiederaufbaukomponente vorsieht, blieben insbesondere Prävention und Wiederaufbau nicht nur im Falle des Kongo nahezu unberücksichtigt. Der fortschreitende Zerfall des riesigen Landes, die Existenz lokaler Ordnungsmächte, die unabhängig von der Hauptstadt agieren, setzen sich im Kongo auch nach der Waffenruhe von 2006 fort. Obgleich sich die Konflikte früh ankündigten, fanden keine Verhandlungen mit allen Parteien im Ostkongo statt. Stattdessen gab man sich der Hoffnung hin, dass sich das Land durch die ausgegebenen Stimmzettel quasi von selbst demokratisieren und die Aufgabe der Monuc nur noch in der Überwachung des Friedens bestehen würde. Diese Hoffnung konnte nur enttäuscht werden. Sofort nach den Wahlen zeichnete sich ab, dass in Kinshasa die politische Opposition massiv verfolgt und angegriffen wurde.

Für den Osten der DR Kongo, der jetzt der Flüchtlinge wegen erneut in die Schlagzeilen geraten ist, war der Konflikt de facto nie beendet. Die Mehrzahl der registrierten Flüchtlinge ist schon seit Jahren auf der Flucht. Nur 300.000 der rund 1,2 Millionen vertriebenen Menschen sind das Resultat der Eruption der jüngsten Gefechte zwischen Rebellenführer Nkunda, der Regierungsarmee und der mit ihr verbündeten Milizen, sowie ruandischer Hardliner der Interahamwe und schließlich auch der Monuc. Die UN-Friedenstruppen haben sich auf die Seite der Armee gestellt und sind damit selbst zum Gewaltakteur geworden. Den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen ist ihnen nicht gelungen. Die Rufe nach einer europäischen Militärmission muten vor diesem Hintergrund wie Aktionismus an.

Der eklatante Widerspruch zwischen Reden und Handeln hat auch damit zu tun, dass eine Politik, in der die Menschenrechte über staatlicher Souveränität stehen, komplexer ist als die bekannte Realpolitik, in der das Recht des Staates über dem des Bürgers liegt. Selbst wo die Staatengemeinschaft ihrer Schutzverantwortung gerecht werden will, verfügt sie weder über die Mittel noch die Erfahrung, sich politisch mit nichtstaatlichen Konfliktpartnern zu verständigen. Die Mittel der zwischenstaatlichen Diplomatie greifen hier nicht. Zumal wenn es, wie im kongolesischen Konfliktgebiet, keinen handlungsfähigen Staat mehr gibt. Deswegen ist die Entwicklung konfliktspezifischer Strategien gefragt. Das ist ein voraussetzungsreicher und zeitintensiver Prozess - umso mehr wenn die Regierung selbst die Verantwortung für Verbrechen gegen ihre Bevölkerung trägt. An einer notwendig langfristigen politischen Einlassung sind aber weder die auf schnelle Ergebnisse drängende internationale Öffentlichkeit noch die von ihrer Wählerstimme abhängigen Politiker westlicher Demokratien interessiert. In Deutschland kommt die unsinnige Trennung zwischen Außen- und Entwicklungspolitik erschwerend hinzu. Prävention und Wiederaufbau aber kommen ohne Kohärenz nicht aus. Ministerien aber auch Staaten müssen sich untereinander deutlich besser abstimmen.

Die Schutzverantwortung sieht vor, die Zivilbevölkerung zu schützen, egal wer die Täter sind. Die Politik der externen Akteure, also der Monuc und der Staatengemeinschaft, ist aber weiterhin nach dem Prinzip Freund und Feind geregelt. In komplexen Konflikten mit ungeheurer Fragmentierung der Gewaltakteure, wird eine Intervention, die auf die Unterstützung eines Akteurs zielt, zur gefährlichen Parteinahme. So wird im Kongo die Regierung international als Partner behandelt, die Rebellen als Feinde betrachtet. Im Sudan hingegen gilt die Regierung als Feind, während die Rebellen in Darfur die Freunde darstellen. Leider berücksichtigt keine dieser Einschätzungen das tatsächliche Verhalten der Kontrahenten.

Anstatt die Rebellen klar auf ihre Verantwortung für die Zivilbevölkerung hinzuweisen, führte die Freund/Feind-Unterteilung dazu, dass Rebellen der westlichen Öffentlichkeit ihre Partikularinteressen andienen konnten. Der in Paris residierende Rebellenführer Abdel Wahed al-Nur etwa benutzt die Schutzverantwortung für seine Zwecke. Dadurch hält er nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die internationalen Akteure als Geisel: Nur wenn die internationale Gemeinschaft in Darfur interveniere und Sicherheit garantiere, werde er sich an einem politischen Prozess beteiligen. Der Schutz der Zivilbevölkerung ist also in weite Ferne gerückt - im Sudan wie im Kongo. Verantwortlich dafür sind das Desinteresse von Regierungen und Teilen der Rebellen in beiden Ländern desgleichen wie die politische Kurzatmigkeit der Staatengemeinschaft.

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