Debatte Systemwechsel in Bulgarien: Ambivalente Nostalgie

20 Jahre nach dem Ende des Kommunismus in Bulgarien lässt sich die Bevölkerung nicht von ihren guten Erinnerungen abbringen.

Da das Jubiläum des Jahres 1989 in ganz Osteuropa offiziell als Sieg begangen wird, folgt auch die Erinnerung an die Ereignisse größtenteils offiziell verordneten Vorgaben: erstens, dass 1989 eine "friedliche Revolution" stattfand, und zweitens, dass eine "Vergangenheitsbewältigung" [i. O. deutsch, Anmerk. d. Ü.] nach dem Vorbild der Deutschen notwendig sei. Trotz des Sonderfalls gilt die deutsche Herangehensweise an die eigene Geschichte - die umstrittene Gleichsetzung der "zwei Diktaturen" 1933-1945 und 1945-1989 - als normativ in Osteuropa. Dabei sind trotz aller systemischen Ähnlichkeiten der osteuropäischen Gesellschaften die Besonderheiten mehr als deutlich.

Diese müssen ernst genommen und mit besonderer Rücksicht auf die jeweiligen historischen Traditionen erklärt werden. Und eine solche Aufarbeitung kann nicht in den weit verbreiteten Schemas erfolgen, die angebliche mitteleuropäische "Pioniere" anderen osteuropäischen "Nachzüglern" gegenüberstellen oder die Länder einteilt in solche mit "liberalen Prädispositionen" und solche mit "fest verwurzelten sozialistischen Mentalitäten".

Schauen wir uns also an, wie die bulgarische Gesellschaft heute die eigene kommunistische Geschichte bewertet. 1989 wird in Bulgarien nicht als Revolution, sondern als "promianata" bezeichnet, was übersetzt so viel bedeutet wie "Wende". Zwar steht das Jubiläum nicht im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, doch nicht zu übersehen ist, dass die Erinnerung an die kommunistische Ära in verschiedenen Bereichen und auf sehr eigenartige Weise aufrechterhalten wird.

Beispielsweise in der Architektur. Jene antifaschistischen Monumente, die nach 1989 nicht demontiert wurden, erfahren eine wesentlich größere Aufmerksamkeit als zu der Zeit, in der sie erbaut wurden. Zusammen mit den Denkmälern für die "Opfer des Kommunismus" erlangen sie erst jetzt den ehrwürdigen Status, den die realsozialistische Regierung angeordnet hatte.

Im Bereich der juristischen Aufarbeitung war der Versuch, die kommunistische Regierung Bulgariens mithilfe von Enthüllungen als kriminell abzustempeln, im Gegensatz zu anderen osteuropäischen Ländern nicht erfolgreich. Zwar wurden geheime Akten offengelegt, Strafprozesse gegen ehemalige kommunistischer Politiker angestrengt, Privateigentum und Landrechte wieder eingeführt, doch die beabsichtigte kathartische Funktion erzielten diese Maßnahmen nicht. Zwar hält die Mehrheit der Bulgaren heute das kommunistische Regime für restriktiv hinsichtlich politischer und ökonomischer Freiheit, dennoch sieht sie in ihm nach wie vor einen Garanten der individuellen Sicherheit. Die schlechter werdenden Lebensstandards nach 1989 und die dubiosen Wege, auf der die neue Elite zu ihrem Vermögen kam, trugen maßgeblich zu dieser Wahrnehmung bei.

Im Bereich der Geschichtsschreibung hat sich seit Ende der 1990er-Jahre viel getan. Bis dahin war das Projekt, die "Geschichte neu zu schreiben", fast ausschließlich auf Massenmedien, Memoiren und die populistische Geschichtsschreibung beschränkt. Als die Unumkehrbarkeit der Wende deutlich wurde, stieg die Zahl der veröffentlichten gelehrten Literatur, die die kommunistische Zeit neu bewertete, rasant an. Der theoretische Deutungsrahmen reichte von Totalitarismus (mit wachsender Kritik an seiner Anwendbarkeit), Staatskapitalismus, Paternalismus, Ökonomie des Defizits, beschleunigter Modernisierung, Elitismus und sogar Dada.

Die spezifische Form von Erinnerung in Bulgarien gilt heute als "postkommunistische Nostalgie". Doch das Beklagen der Verluste, die mit dem Kollaps des Staatssozialismus einhergingen, impliziert nicht automatisch den Wunsch, er möge zurückkehren. Es wird lediglich nicht alles an ihm verteufelt. Die ideologische Aufbereitung aus dem Mainstream jedoch würde uns gern glauben machen, dass es nur ein Gesamtpaket gibt: dass sich Vollbeschäftigung nicht ohne Kürzungen erreichen ließe, dass sich interethnischer Frieden nicht ohne eine erzwungene Homogenisierung herstellen lasse und eine kostenlose Gesundheitsversorgung nicht ohne Totalitarismus möglich sei.

Ideologisch suspekt

Und weil man angeblich nichts nur für einen Teil der Gesellschaft fordern kann, was nicht für alle gelten soll, wird jede positive Erwähnung der sozialistischen Vergangenheit als ideologisch suspekt betrachtet. Doch wer würde auf die Idee kommen, die Forderungen der Detroiter Autoarbeiter nach Arbeitsplätzen mit sozialistischer Nostalgie gleichzusetzen? Es würde auch niemand auf die Idee kommen, bei Bauchtänzern, die sich zu orientalischen Melodien bewegen, von "osmanischer Nostalgie" zu sprechen. "Postkommunistische Nostalgie" aber besteht nicht nur aus dem Verlangen nach Sicherheit, Stabilität und Prosperität, sie beinhaltet auch das Gefühl des Verlusts einer besonderen Form von Geselligkeit.

Darüber hinaus gibt es unter denen, die den Kommunismus erlebt haben - auch wenn sie im Gegensatz zu ihm oder seiner Ideologie gleichgültig gegenüber standen -, den Wunsch, ihrem Leben Bedeutung und Würde zu verleihen und nicht als Verlierer oder "Sklaven" dargestellt, erinnert oder bedauert zu werden.

Ich möchte mit einem Witz enden, der die Ambivalenz der Haltungen zur kommunistischen Vergangenheit aufzeigt und die traditionellen Antworten der Bulgaren nach dem Kommunismus wiedergibt: Eine Frau sitzt mitten in der Nacht kerzengerade in ihrem Bett. Sie springt auf und stürmt ins Bad, um in den Arzneischrank zu schauen. Dann rennt sie in die Küche und öffnet den Kühlschrank. Schließlich flitzt sie zum Fenster und schaut auf die Straße. Erleichtert kehrt sie ins Schlafzimmer zurück. Ihr Gatte fragt: "Was ist los?" - "Ich hatte einen schrecklichen Albtraum", antwortet sie. "Ich habe geträumt, dass wir es uns immer noch leisten können, Medikamente zu kaufen, dass der Kühlschrank voll war und dass die Straßen sicher und sauber waren." - "Warum ist das denn ein Albtraum?" Die Frau schüttelt den Kopf: "Ich dachte, die Kommunisten sind wieder an der Macht." MARIA TODOROVA

Aus dem Englischen von Doris Akrap

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