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Debatte SyrienEine Intervention ist möglich

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die völkerrechtlichen Debatten um Syrien drehen sich im Kreis, denn sie setzen einen internationalen Konsens voraus. Es ist an der Zeit, mehr Fantasie zu entwickeln.

Syrische Kinder spielen nahe Homs auf einem zerstörten Polizeipanzer. Bild: dapd

A m Freitag erst verabschiedete die neu gegründete "Syrien-Kontaktgruppe" eine neue Erklärung. Diese dürfte Präsident Baschar Assad ebenso wenig dazu bewegen, die Gewalt gegen die eigene Bevölkerung einzustellen, wie die Verurteilung seines Regimes durch die UN-Vollversammlung in der letzten Woche.

Leider sind auch die Erfolgschancen des neu ernannten gemeinsamen Sondervermittlers von UNO und Arabischer Liga äußerst gering - obwohl Kofi Annan sicherlich die beste aller denkbaren Personen für diese schwierige Aufgabe ist.

In Syrien droht ein landesweiter und langwieriger Bürgerkrieg mit voraussichtlich weit mehr Toten als in Libyen. Das Land könnte zerfallen, und das würde die gesamte Nahostregion empfindlich destabilisieren.

Referendum

Inmitten andauernder Gewalt hat am Sonntag in Syrien das Referendum über eine neue Verfassung begonnen. Rund 14,6 Millionen Wahlberechtigte waren dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Vor allem in den umkämpften Regionen wie der belagerten Protesthochburg Homs, der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes und der Region Daraa im Süden rechneten Beobachter allerdings mit einer geringen Wahlbeteiligung.

Der Verfassungsentwurf sieht ein Mehrparteiensystem sowie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mal sieben Jahre vor. Gegner von Präsident Baschar Assad kritisierten die Pläne als oberflächliche Reform, die nichts an der Macht des Regimes ändere.

Um dieses schlimmstmögliche Szenario doch noch zu verhindern, bleiben zwei bislang unversuchte Optionen: eine "humanitäre Intervention" im internationalen Konsens oder das Angebot der strafrechtlichen Immunität und eines sicheren Exils für den Präsidenten Baschar al-Assad.

Redundanz der Völkerrechtler

Berthold Meyer hat nach sorgfältiger Abwägung der sechs wichtigsten politischen und völkerrechtlichen Kriterien von einer "humanitäre Intervention" in Syrien abgeraten. Dabei verwies er zu Recht auf fragwürdige oder gescheiterte Interventionen der jüngsten Vergangenheit: Libyen 2011 und Kosovo 1999.

Ich stimme Meyers Argumentation in fast allen Punkten zu. Das Problem aber ist: Seine Argumentation verbleibt innerhalb der politischen Rahmenbedingung, dass die fünf Vetorechte im UN-Sicherheitsrat sich nicht einigen konnten. Nach dem Motto: Wenn der Sicherheitsrat den Dissens nicht überwinden kann, kann man auch nichts machen. Doch wenn ein Eingreifen zur Verhinderung oder Beendigung von Völkermord oder Verbrechen zu Debatte stand, waren sich die Staaten noch nie einig (mit Ausnahme von Ruanda 1994). Seit dem Kalten Krieg ist das die politische Realität. Die Debatten über Handlungsmöglichkeiten angesichts schwerster Menschenrechtsverletzungen haben sich in dieser Realität inzwischen allzu bequem und allzu fantasielos eingerichtet.

In Syrien müsste es darum gehen, eine "humanitäre Intervention" im Konsens zwischen den fünf Vetomächten zu beschließen und dann auch gemeinsam umzusetzen. Als Erstes müssten eine Blauhelmtruppe stationiert und Landkorridore eingerichtet werden. Das sichert, dass die Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern versorgt wird, und es erlaubt den Transport von Verletzten und Flüchtlingen. Als weitere Aufgabe könnte die Sicherung von Städten und anderen zivilen Zielen hinzukommen.

Kreative Angebote

Bild: kristin flory
Andreas Zumach

ist UNO-Korrespondent der taz mit Sitz in Genf. Zuletzt veröffentlichte er "Die kommenden Kriege - Präventivkrieg als Dauerzustand?" bei Kiepenheuer und Witsch.

Vielleicht würde Assad gegen einen entsprechenden Konsensbeschluss zunächst noch protestieren. Aber wenn dann tatsächlich nicht nur US-amerikanische und russische, sondern auch chinesische, britische und französische Blauhelmtruppen in Syrien stationiert würden, ist schwer vorstellbar, dass Assads Streitkräfte gegen diese Truppen Krieg führten. Naive Illusionen eines Spinners?

Im Herbst 1998 hieß der Spinner Alexander Vershbow, damals immerhin Botschafter der USA bei der Nato in Brüssel. Angesichts der schweren Menschenrechtsverstöße serbischer "Sicherheits"kräfte gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo und der eskalierenden Gegengewalt der kosovarischen "Befreiungs"bewegung UCK unterbreitete Vershbow der Regierung Clinton in Washington einen detaillierten Plan für die Stationierung einer vom Sicherheitsrat mandatierten russisch-amerikanischen Blauhelmtruppe im Kosovo. "10.000 Soldaten wären erforderlich, wenn Serbiens Präsident Milosevic einwilligt, 30.000, wenn er dagegen ist", kabelte der Botschafter damals nach Washington. Sein Vorschlag landete dort im Papierkorb.

Allein diese Episode widerlegt die Behauptung der Nato, ihre ab März 1999 per völkerrechtswidrigem Luftkrieg gegen Serbien geführte "humanitäre Intervention" sei die einzige Möglichkeit gewesen, die serbischen Menschenrechtsverletzungen im Kosovo zu beenden. Zurück nach Syrien.

Von Washington bis Peking beteuern inzwischen alle an der Debatte beteiligten Regierungen, nichts sei so wichtig wie das Blutvergießen zu beenden. Sollten diese Beteuerungen ernst gemeint sein, müsste auch eine "humanitäre Intervention" im internationalen Konsens möglich werden.

Das kleinere Übel

In Moskau und Peking herrscht allerdings der Verdacht vor, es ginge dem Westen und den sunnitischen Mitgliedsregierungen der Arabischen Liga nicht um die Menschenrechte der Syrierinnen, sondern um den Sturz des Regimes Assad. Womöglich sei die Intervention nur die Vorstufe für einen Krieg gegen den Iran, um auch in Teheran die Regierung zu stürzen.

Der Westen könnte einiges dafür tun, diesen Verdacht zu entkräften und damit die Chancen für ein gemeinsames Vorgehen mit Russland und China zu erhöhen. Und selbst wenn dies nicht gelingt oder gar nicht gewollt ist, gibt es immer noch eine Alternative zum Nichtstun: das Angebot strafrechtlicher Immunität und eines sicheren, komfortablen Exils für Assad und die Mitglieder seines Familienclans. Sie sind laut einer Liste des UN-Menschenrechtsrates hauptverantwortlich für die bislang in Syrien verübten Verbrechen gegen die Menschheit und andere schwere Menschenrechtsverstöße.

Kofi Annan wäre der geeignete Mann, ein solches Angebot in einer Weise zu formulieren und zu überbringen, die Assad das Gesicht wahren lässt und damit die Chance erhöht, dass er annimmt. Gegen diese Option spricht zwar die Überzeugung vieler - auch meine -, dass die Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen und ihre strafrechtliche Ahndung eine wesentliche Voraussetzung für Gerechtigkeit und Versöhnung sind und damit für dauerhaften Frieden und die innere Stabilität eines Landes.

Doch angesichts des drohenden Worst-Case-Szenarios für Syrien und seine Nachbarn wäre Exil und Straffreiheit für Baschar al-Assad das vergleichsweise kleinere Übel.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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6 Kommentare

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  • T
    Theo

    Andreas, Du solltest Dich erinnern wenn Du schreibst: "Als Erstes müssten eine Blauhelmtruppe stationiert und Landkorridore eingerichtet werden." Genau dies hat das UNPF Desaster erst so richtig herbei geführt. Die Situation würde sich also nur verschlimmern. Die Resultate anderer Friedensmissionen geben auch nicht gerade Anlass zur Hoffnung das Syrien eine Ausnahme werden könnte. Folglich würde ein Failure den Falken in die Hände spielen die auch seinerzeit, noch vor dem Kosovo, den Akashi benutzten um ein Szenario a la Screbrenica entstehen zu lassen. Robert Fisk schrieb das Bashar vor allem den Schweinestall innerhalb seiner Familie aufräumen muss. Bashar selbst gab ein gutes Interview dem WSJ, das er von ihm darin erwähnten Reformen nicht durchsetzen konnte liegt daran, dass er nur nach dem Tod seines Vaters installiert wurde, weil er keinen Dreck am Stecken hatte. Insofern haben Leute wie Gideon Rachman von der FT recht: es gibt mehr Gründe NICHT einzugreifen als Gründe es zu tun.

  • P
    Peter

    Die Waffengewalt von "Assads Regime" richtet sich ja nicht nur gegen "friedliche Demonstranten" (so es sie überhaupt noch gibt", sondern auch und vor allem gegen bewaffnete Freischärler und Deserteure. Und wenn schon über Möglichkeiten eines unbedingt notwendigen Endes der Gewalt gesprochen wird, sollte man auch über ein Ende der logistischen, finanziellen und personellen Unterstützung der bewaffneten Anti-Assad-Kräfte sprechen, z.B. durch die Türkei.

  • V
    vic

    Es darf keinesfalls ein militärisches Eingreifen geben. Wo das hinführt, konnte und kann man mehrfach beobachten. Zuletzt in Afghanistan und Irak.

    Die Verhältnisse für die Zivilbevölkerung sind nach der Intervention schlimmer als zuvor.

  • O
    oliver

    Die Freiheit ist ein hohes Gut. Aber wieviele Menschenleben ist sie wert?

     

    Beflügelt durch die nicht nur moralische sondern insbesondere auch militärische Unterstützung der westlichen Welt in Kosovo und Libyen, wagen "Freiheitskämpfer" - es sei dahingestellt, ob sie jeweils eine Mehrheit des jeweiligen Landes repräsentieren - mehr und mehr bestehende Gesellschaften zu ihren Gunsten auch mit Gewalt verändern zu wollen.

    Ob sie dabei primär die Freiheit des Einzelnen im Blick haben, oder die fehlende Freiheit, dass zu tun und zu lassen, dass ihren eigenen Interessen entspricht ist immer auch fraglich.

    So heizen die mächtigen Staaten der Welt Bürgerkriege an, die mehr Tote fordern, als ein niedergeschlagener Aufstand sie je gefordert hätte.

     

    Geht das nicht auch anders ? Wenn man Menschen mit Millionen und Abermillionen bestechen kann, ihr Handeln im Sinne wirtschaftlicher Interessen zu ändern ... kann man dann nicht die Milliarden, die man zur Unterstützung von Bürgerkriegsparteien durch Militäreinsätze ausgibt, besser nutzen, um einem Volk einfach die Freiheit zu erkaufen ?

  • MK
    Michael Kruse

    Die Sache mit den Blauhelmen hört sich ja erst einmal gut an.

     

    Natürlich wären die westlichen Staaten in der Lage unter zu Hilfenahme militärischer Mittel den Kampf gegen die Zivilbevölkerung zu stoppen.

     

    Aber was kommt danach?

     

    Ich sehe keine Möglichkeit das Land dauerhaft von außen zu befrieden.

     

    Und wenn ich von Anfang an weiss, dass ich die Sache nicht sinnvoll beenden kann....

     

    Dann sollte ich die Finger davon lassen!

     

    Ansonsten haben nämlich wir wieder den "Schwarzen Peter".

     

    Wollen wir das wirklich?

     

    So leid mir das für die Menschen dort tut, manchmal muss man einfach zugucken.

  • D
    Dirk

    Die Hauptsache ist, in Syrien zu verhindern (oder zumindest nicht zu unterstützen!!!), dass nach einem menschenverachtenden säkularen Regime nicht ein weit menschenverachtenderes sunnitisch-islamistisches Regime an die Macht kommt (untersützt von saudischen Geldern).