Debatte Syrien-Konflikt: Mit Placebos gegen Krieg
Die von Obama propagierte „jemenitische Lösung“ wird in Syrien nicht funktionieren. Die Länder sind zu unterschiedlich, um Modelle zu übertragen.
N ach dem Aussetzen der UN-Beobachtermission ist die internationale Gemeinschaft erneut im Zugzwang, Lösungsansätze zu finden, um die Gewalt in Syrien zu beenden. Leider hat der G-20-Gipfel wieder gezeigt: Die UN-Mächte blockieren sich gegenseitig. Die USA können nicht ohne Russland und China. Doch die wollen nicht. Vereinzelte Drohungen einer Intervention waren bis jetzt vor allem rhetorisches Druckmittel: Russland wird jedes militärische Eingreifen mit seinem Veto im UN-Sicherheitsrat blockieren, und auch Europa und die USA scheuen ein militärisches Engagement im komplexen syrischen Konflikt.
Stattdessen wird das zuletzt von US-Präsidenten Barack Obama beim G-8-Gipfel im Mai vorgebrachte „Jemen-Modell“ als Lösung für den syrischen Konflikt diskutiert. Im Jemen wird versucht, die durch die arabischen Revolutionen ausgelöste Krise mit einem Kompromiss zu bewältigen: Der Präsident dankt ab, bleibt jedoch vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Weite Teile des Regimes bleiben bestehen und bilden zusammen mit der Opposition eine Übergangsregierung. Doch in Hinblick auf Syrien ist die Jemen-Option vor allem eine Strategie, um aus dem internationalen Patt herauszukommen. Die Gewalt wird sie nicht beenden.
Im Mittelpunkt der jemenitischen Lösung steht ein vom Golfkooperationsrat (GCC) entwickeltes Abkommen. Der Abschluss war möglich, weil sich die Staaten mit dem größten Einfluss auf die jemenitische Politik einig waren. Sie vereint die Angst, al-Qaida könne in dem schwachen Staat stärker werden. Entsprechend übte der Westen zusammen mit den Golfstaaten Druck auf das Saleh-Regime aus und drohten mit Sanktionen.
Da der Jemen abhängig ist von externer Hilfe, musste er diesem nachgeben. Aus Angst vor einer Isolation stimmte der Präsident im November 2011 im Austausch gegen Immunität formal einem Machtverzicht zu. Bei Syrien fehlt die Einigkeit. Die Befürworter des „Jemen-Modells“ wissen, dass ihr Einfluss in Damaskus schwach ist. Die Rolle der Großmacht, die freundlich Druck ausübt, kann hier nur Russland übernehmen.
Wie Russland einbinden?
Andrea Jud ist Politikwissenschaftlerin an der Uni Erlangen, forscht über Islamismus in Ägypten und beschäftigt sich stark mit der Situation in Syrien, wo sie sechs Monate lebte.
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Mareike Transfeld ist Politikwissenschaftlerin an der Uni Erlangen, lebte mehrere Jahre im Jemen und forscht auch über die aktuellen Entwicklungen im Land.
Doch der Kreml stellt sich quer. Als internationale Schutzmacht Syriens blockiert Russland im UN-Sicherheitsrat Sanktionen, liefert trotz Kritik weiterhin Waffen nach Damaskus und unterstützt die Rhetorik der syrischen Führung, nach der die Oppositionellen vor allem Terroristen sind. Prinzipiell gewichtet Moskau die Souveränität von Staaten stärker als den Schutz von Bevölkerungen vor ihrer eigenen Regierung.
Mit dem „Jemen-Modell“ als scheinbarer Erfolg ohne militärische Intervention versuchen die westlichen Mächte Russland in eine diplomatische Lösung des Konflikts in Syrien einzubinden. Der Westen versucht, Moskau den Vorteil einer Beteiligung zu zeigen: Indem der Kreml seine Beziehungen zur syrischen Elite und den Sicherheitskräften für einen kontrollierten Führungswechsel nutzt, sei zugleich garantiert, dass Russlands wirtschaftliche und militärische Interessen auch unter einer neuen syrischen Führung bewahrt werden.
Doch selbst wenn sich Russland von dieser Argumentation überzeugen lässt, wird die internationale Gemeinschaft bei der Umsetzung des „Jemen Modells“ in Syrien auf kaum zu bewältigende Herausforderungen stoßen. In der jemenitischen Opposition fanden sich bei der Verhandlung um das GCC-Dokument Ansprechpartner, die zur alten Elite zählten und sich eine bessere Position im System erhofften. In kürzester Zeit gelang es ihnen, weite Teile der Protestbewegung zu dominieren.
Durch gute Kontakte zu Oppositionsparteien und Reformern innerhalb der Regierung konnten die USA, die EU und Saudi-Arabien die Verhandlungen vorantreiben. Die im Laufe des Aufstands gebildeten Jugendkomitees lehnten den Dialog mit dem Regime sowie das GCC-Abkommen ab. Für die internationale Gemeinschaft und die jemenitischen Politiker hatten sie jedoch kein politisches Gewicht und wurden ignoriert.
Anders als im Jemen sind die im syrischen Aufstand wichtigen Oppositionsgruppen erst 2011 entstanden. Der Syrische Nationalrat als Repräsentant der Opposition nach außen ist von internen Machtkämpfen gespalten. Viele Mitglieder befinden sich im Exil oder bleiben anonym, was ihrer Glaubwürdigkeit schadet.
Keine Akzeptanz für „Jemen Modell“
Die Freie Syrische Armee, die aus Deserteuren des Militärs besteht, ist zwar formell einem Kommandanten im türkischen Exil unterstellt. In der Praxis verhalten sich die Kämpfer jedoch so lokal und unabhängig wie auch andere Milizen. Nach der dramatischen Eskalation der Gewalt in Syrien wird es überzeugende Sicherheitsgarantien brauchen, um die Bewaffneten zum Aufgeben der Kämpfe zu bewegen. Sowohl die oppositionellen Milizen als auch die alawitische Minderheit, welche die staatlichen Sicherheitskräfte dominiert, fühlen sich bedroht.
Die blutige Bilanz der Assad-Herrschaft lässt daran zweifeln, ob das „Jemen Modell“ in Syrien auf Akzeptanz stößt. Die Opposition wird darauf bestehen, dass die Sicherheitskräfte von Grund auf reformiert und die für die Gewalt Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Auch im Jemen verurteilen die Demonstranten Salehs Straffreiheit. Ihre Forderungen wurden nicht erfüllt: Trotz Rücktritt Salehs hat die Präsidentenfamilie durch das Militär weiterhin Einfluss in der Politik. Eine zukünftige politische Rolle von Salehs Sohn ist nicht ausgeschlossen. Trotz der Bemühungen der neuen Regierung wird es schwer sein, ihn zu verdrängen.
Die syrische Opposition wird einen Kompromiss, der weite Teile des Regimes intakt lässt, kaum akzeptieren. Die Elite scheint ihrerseits nicht bereit, Macht abzugeben. Gemessen an der Amtszeit arabischer Präsidenten und im Gegensatz zum gesundheitlich angeschlagenen Saleh steht Baschar al-Assad noch am Anfang seiner Karriere. Der Präsident setzte angesichts der Proteste bisher klar auf Gewalt. Alles oder nichts. Und während die Internationale Gemeinschaft diskutiert und auf einen Placeboeffekt hofft, geht in Syrien das Blutvergießen weiter.
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