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Debatte Symbolpolitik in SüdafrikaFrauentag am Kap

Kommentar von Rita Schäfer

In Südafrika gehört das Gedenken an den Widerstand von Frauen gegen die Apartheid zur Staatsraison. Ihre aktuelle Lage aber ist fatal.

D ie ANC-Regierung hat den 9. August zum nationalen Frauentag in Südafrika erklärt. Damit gedenkt sie der größten Demonstration, die es bis dahin in der Geschichte des Landes gegeben hat: Am 9. August 1956 zogen über 20.000 Frauen in einem friedlichen Protestmarsch vor das Parlamentsgebäude in Pretoria, um gegen den Zwang für Nicht-Weiße zu protestieren, zu jedem Zeitpunkt ein umfängliches Passbuch bei sich zu tragen.

Dieses Passbuch enthielt neben einem Foto und dem Geburtsort, neben Zeugnissen des Arbeitgebers sowie der Polizei, gegebenenfalls eine Erlaubnis, dass sich die InhaberIn von ihrem Wohnort wegbewegen durfte. Die Kriminalisierung von Mobilität für Nicht-Weisse gemeinsam mit der Zwangsumsiedlung von schwarzen Alten und Frauen in abgelegene Wohngebiete mit katastraphaler Infrastruktur, hatte schwerwiegende Folgen: Viele hunderttausend Wanderarbeiter, die in den Gold- und Kohleminen schufteten und von weißen Vorarbeitern drangsaliert wurden, konnten nicht mehr mit ihren Familien zusammenleben. Den Ehemann ohne amtliche Erlaubnis zu besuchen, wurde so zur Straftat ebenso gefährlich wurde Jobsuche etwa als Haushaltshilfe jenseits des Wohnortes. Zudem wurden die Frauen gezwungen, sich pseudo-traditionellen Autoritäten in den Homelands zu fügen, so genannten Chiefs. Diese waren vom Apartheidregime eingesetzt worden.

Beginn einer Frauenbewegung

Rita Schäfer

ist Ethnologin. Zuletzt publizierte sie "Im Schatten der Apartheid. Frauenrechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika" (2005) und "Frauen und Kriege in Afrika" (2008).

Auch wenn der Protestmarsch der Frauen weder die Pässe verhindern noch die Homelandpolitik aushebeln konnte - er machte Frauen zum Teil der Widerstandsbewegung gegen das südafrikanische Apartheidsystem. Als Anfang der 1990er Jahre die erste demokratische Verfassung in Kraft trat, hatten Aktivistinnen durchgesetzt, dass in dieser Frauenrechte festgeschrieben werden und Frauen als vollwertige Rechtspersonen gelten. Diese Gleichstellung versuchte der Dachverband der Chiefs zu verhindern. Auch einige ANC-Politiker wollten die Chiefs aus politischem Kalkül nicht verprellen. Sie waren der Ansicht, auf deren Unterstützung bei Kommunalwahlen angewiesen zu sein. Dennoch erreichten die Frauenrechtsaktivistinnen nach zähem Ringen ihre Ziele.

Der nationale Frauentag schafft einen Anlass, um auf das historische Erbe im Kampf gegen die Apartheid zurückzublicken und gleichzeitig eine Bilanz der ANC-Geschlechterpolitik fünfzehn Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen zu ziehen. Inwieweit also trägt die offizielle Erinnerungspolitik zu einer realen Situationsverbesserung von Frauen und zur Geschlechtergerechtigkeit überhaupt bei? Und: Wie ist die Frauenpolitik des seit knapp einhundert Tagen amtierenden Präsidenten und ANC-Chefs Jacob Zuma zu bewerten?

Auf den ersten Blick hat das Land am Kap heute gute Gründe zum Feiern: Seine geschlechtergerechte Verfassung gilt weltweit als vorbildlich. Sie schützt die Rechte von Frauen unabhängig von ihrem familiären Status, was vor allem für Witwen, geschiedene Frauen und Teenager-Mütter wichtig ist. Auch das Recht auf Gesundheit, der Schutz vor Gewalt, Frauenquoten in politischen Gremien, Gender-Leitlinien für die öffentliche Verwaltung und geschlechtergerechte Haushaltsplanungen sind beispielhaft.

Dennoch ist die Umsetzung der institutionellen Vorgaben und der Verfassungsgrundlagen eine große Herausforderung, der sich Regierung und staatliche Institutionen nur unzureichend stellen. Zwar wurde das Ehe- und Erbrecht reformiert, aber in der Praxis wird oft gegen Frauenrechte verstoßen. Zahllose Männer nehmen die Reformpolitik der Regierung als Angriff auf ihr maskulines Selbstverständnis wahr und gehen weiterhin mit Gewalt gegen Frauen vor. In den letzten Jahre fehlten Programme, um Männer als Mitstreiter für gesellschaftliche Veränderungen zu gewinnen. Diese jedoch wären notwendig gewesen, um gewaltgeprägte Männlichkeit - ein Erbe der Apartheid - zu überwinden. Man darf ja nicht vergessen: Über Generationen hinweg wurden schwarzer Männer von weißen Vorgesetzten nicht zuletzt in ihrem Selbstverständnis als Mann gedemütigt. Gleichzeitig trug die Militarisierung der gesamten Gesellschaft dazu bei, Gewalt als Mittel der Interessendurchsetzung im Alltag zu verankern.

Massenhaft Vergewaltigungen

Heute ist Südafrika Spitzenreiter in den international vergleichenden Vergewaltigungsstatistiken, wobei nur ganz wenige Fälle strafrechtlich verfolgt werden. Auch die Tatsache, dass zahlreiche Vergewaltigunsopfer mit HIV infiziert werden, führt nicht zu einem Umdenken. Diese bis heute nahezu ungebrochene Kontinuität gewaltgeprägter Männlichkeitsbilder und die daraus resultierende Lebensrealität von Frauen und Mädchen steht im eklatanten Widerspruch zum offiziellen Gedenken an die Leistungen politischer Aktivistinnen und die Bekenntnisse zur Geschlechtergleichheit.

Entsprechend skeptisch bleiben Frauenrechtsaktivistinnen auch bei der Frage, inwieweit die neue ANC-Regierung unter Jacob Zuma diese Probleme angeht. Einige ranghoher ANC-Politiker inszenierten sich im Wahlkampf und nach ihrem Wahlsieg mit sexistischen Äußerungen, der höchst umstrittene Freispruch von Zuma von einer ihm zur Last gelegten Vergewaltigung tat sein Übriges. Auch die Einrichtung eines neuen Frauenministeriums, das gleichzeitig für Jugendliche und Behinderte zuständig ist, sorgt für Irritation. Viel wichtiger als eine neue Behörde wäre es ja, die Umsetzung der Verfassungsrechte anzugehen. Der Aufbau einer Parallelstruktur zu bestehenden Institutionen hingegen erinnert an Rückgriffe auf Modelle aus den 1980er Jahren, die in anderen afrikanischen Ländern Geschlechterhierarchien de facto verstärkt haben.

Viele Südafrikanerinnen sind zu Recht stolz auf ihre Mitwirkung an der Überwindung der Apartheid. Doch für die Zahllosen, die nach wie vor in Armut und Gewalt leben, gibt es am nationalen Frauentag nicht viel zu feiern. Um so beachtlicher sind die Basisinitiativen von Frauen, die Strukturprobleme kritisieren und nicht müde werden, den Schutz vor Gewalt einfordern. Gerade weil sie die offizielle Erinnerungspolitik und die neue Verfassung als Maßstab für die ANC-Entscheidungsträger anlegen, sind sie die eigentlichen Heldinnen des Tages.

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